FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Das Reisebüro in den Dschihad

„Bruder Timur“ gab sich in Youtube-Videos wohltätig, soll aber Terroristen in Syrien finanziert haben. Gerade steht er vor Gericht in Düsseldorf.
Bild: Screenshot Youtube

In seinen Youtube-Videos verschenkt „Bruder Timur" Geld an syrische Kinder, bringt Kleidung und Essen in das zerbombte Land. Doch vor allem soll Mirza Tamoor B. seit 2013 terroristische Organisationen unterstützt haben, so steht es in der Anklage der Generalbundesanwaltschaft. Seit letzter Woche Mittwoch muss sich der knapp 60-jährige Mann mit weißem Haar und Vollbart mit vier weiteren Angeklagten vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf verantworten.

Anzeige

Mirza B. soll der Kopf eines Netzwerks von etwa 40 Unterstützern gewesen sein. Nicht nur Spenden, sondern auch Kämpfer soll er nach Syrien vermittelt haben—er übernahm die Funktion einer Art Reisebüro in den Dschihad.

Der Fall von „Bruder Timur" und seinem Netzwerk könnte deutschen Ermittlern Aufschluss darüber bieten, wie es Dschihad-Unterstützern gelingt, Geld und Material in die Kriegsgebiete zu bringen. Trotz geheimdienstlicher Überwachung, Grenzkontrollen und dem Kollaps syrischer Infrastruktur schaffen es westliche Dschihadisten, Nachschub für den Kampf von Terrormilizen nach Syrien zu organisieren.

Rundum-Paket

Gemäß der Anklage geht es um Anwerbung, Beratung, Finanzierung und Organisation der Ausreise: Es scheint, als habe Mirza B., der zuletzt in Bergisch-Gladbach lebte, mit seinem Netzwerk ein Rundum-Paket angeboten. Den Erkenntnissen der Ermittler zufolge hat die Gruppe Ausreisende in ihren Plänen bestärkt und unterstützt. Bart abrasieren und bis zur Ausreise unauffällig bleiben, soll der Ratschlag an einen Dschihad-willigen gewesen sein. Mit einem neuen Pass gelingt es dem Mann tatsächlich, sich nach Syrien abzusetzen, 2014 stirbt er. Für einen anderen sollen sie den Flug organisiert haben.

Auch für die Ankunft der Ausgereisten in Syrien soll alles vorbereitet gewesen sein. Laut der Anklage vermittelte das Netzwerk um Mirza B. Kontakte zu verschiedenen Terrormilizen in Syrien und traf mit diesen auch Absprachen über die Rekrutierung von Kämpfern. Einer, der ebenfalls in den Kampf zog, war Jakub B.—der Sohn von Mirza B. Laut der Generalbundesanwaltschaft erhielt Jakub B. für seine Reise in den Irak Unterstützung von seinem Vater. Später fällt Jakub B. im Kampf für den Islamischen Staat, sein Vater soll ihn als Märtyrer gefeiert haben.

Anzeige

Terrorvereinigung oder Verhandlungspartner?

Mit welchen Milizen das Netzwerk um Mirza B. in Kontakt stand, ist in diesem Verfahren entscheidend. Laut Anklage geht es auch um die Unterstützung der Gruppe „Ahrar-al-Sham", die vom Außenminister Walter Steinmeier zu den Syrien-Gesprächen nach Genf eingeladen worden war. Eine absurde Situation, auf der einen Seite sollte die Gruppe als Gesprächspartner an einem Tisch mit Diplomaten sitzen, auf der anderen Seite stehen ihre Unterstützer als Terrorhelfer nun vor Gericht in Düsseldorf und anderen Orten. Sollte der Justizminister die Verfolgungsermächtigung von „Ahrar-al-Sham" widerrufen, könnte dies das Verfahren in Düsseldorf beeinflussen, womöglich sogar beenden. Laut dem Gutachter Guido Steinberg, der die Islamisten-Prozesse begleitet, arbeiten Ahrar-al-Sham und die al-Nusra Front zusammen. Sie gründeten etwa eine gemeinsame Armee bei einer Offensive im Frühjahr 2014 gegen die Gruppierung, die sich später der „Islamische Staat" nennt.

Unterstützen, Einstehen, Geben, alles für Syrien—nur darum scheint es bei „Helfen in Not" zu gehen. Die Facebook-Seite des Vereins zählt mehr als 15.000 Likes. Spenden für Syrien, dafür werben sie. Und für „Helfen in Not" wirbt Mirza B. in Videos auf Youtube. Der NRW-Verfassungsschutz warnt vor der Organisation, stuft sie als extremistisch ein und sieht klare Bezüge zur salafistischen Szene. Auch Nils D. hat für „Helfen in Not" Spenden in Dinslaken gesammelt. Kurz danach reiste er nach Syrien aus und landete bei der Geheimpolizei des Islamischen Staates.

Anzeige

Die Kirchenräuber

Doch Spenden allein waren möglicherweise nicht die einzige Einnahmequelle—am Landgericht in Köln läuft derzeit ein weiteres Verfahren gegen die „Kirchenräuber", bei denen es zum Teil um dieselben Personen geht. Kais B. O. beispielsweise ist in beiden Verfahren angeklagt und muss sich momentan abwechselnd in Düsseldorf und in Köln vor Gericht verantworten.

Kais B. O. soll mit anderen Angeklagten eine Bande gegründet haben. In Köln und Siegen begingen sie Einbrüche in Kirchen und Schulen, neun davon kamen zur Anzeige. Die Männer brachen Opferstöcke auf, raubten Geld aus Klingelbeuteln, in den Schulen entwendeten sie Laptops und EC-Karten. Laut Staatsanwaltschaft Köln erbeuteten sie dabei insgesamt 19.000 Euro, womit sie den Dschihad in Syrien unterstützen wollten.

„Marginale Beträge", nennt das einer der Verteidiger, „die nicht dazu führen können, dass irgendwelche Dschihad-Gruppen in Syrien oder sonstwo auf der Welt Unterstützung finden können, in einem messbaren Bereich." Wie genau die Gelder zwischen den Gruppen geflossen sind, sei bislang noch unklar, so die Generalbundesanwaltschaft gegenüber Motherboard.

Bild: Screenshot Youtube

Aus anderen Verfahren weiß Motherboard, dass Personen in Syrien durch Western Union-Transfers an Geld aus Europa kamen. Dabei läuft das Geld über ein Treuhänder-System in der Türkei. Familie oder Freunde schicken in Deutschland per Western Union-Transfer Geld in die Türkei. Dort nimmt ein Treuhänder das Geld in Empfang und bestätigt seinem Kontakt in Syrien die Ankunft und die Höhe des Geldes. Dieser Kontaktmann zahlt das das Geld dann in bar an den Empfänger in Syrien aus. Es ist allerdings unklar, ob die Spenden-Gelder von Mirza B. und seinem Netzwerk auch mit dieser Methode ihren Weg zu den Mitgliedern von Terror-Milizen fanden.

Und sowieso will Mirza B. die eingenommenen Spenden nur für humanitäre Zwecke benutzt haben. Auf Youtube inszeniert er sich als Helfer, der Gummistiefel an Kinder verschenkt und mit Banknoten wedelt. Den Erkenntnissen der Behörden zufolge soll allerdings ein Großteil der Spenden in die Unterstützung terroristischer Vereinigungen geflossen sein.

Mit dem Krankenwagen zu den Terrormilizen

So auch die insgesamt 15 Fahrzeuge, vor allem Krankenwagen, die Mirza B. besorgt hat. Die Reisen dokumentiert er für „Helfen in Not". Mehrfach fährt er in organisierten Konvois über die Grenze nach Syrien, und soll die Fahrzeuge terroristischen Organisationen übergeben haben. Bei einem dieser Transporte soll Marko Korbik mitgefahren sein. Früher war Korbik Messdiener in einer Kirche in Köln bei Bergheim, später hat er den Dschihad im Kopf. Korbik kämpft in Syrien, schließt sich später der Terrororganisation an, die sich heute "Islamischer Staat" nennt und stirbt Ende 2013.

Die Taten in Syrien sind laut der Generalbundesanwaltschaft den Angeklagten schwieriger nachzuweisen. Im Fall von Mirza B. und seinem Netzwerk hätten Durchsuchungen jedoch viel Beweismaterial zu Tage gefördert, ebenso die umfassenden Abhörprotokolle, die mehrere zehntausend Seiten umfassen sollen. Die Angeklagten wollen zu den Vorwürfen schweigen, das kündigten ihre Verteidiger an. Der Prozess begann mit einer mehrstündigen Verzögerung, nachdem einige Verteidiger Befangenheitsanträge und Beschwerden gegen die Vorsitzende Richterin Ute Hohoff vorgetragen hatten. Morgen geht die Verhandlung weiter.