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Darf sich Michael Oher dank Cam Newton auf 'The Blind Side 2‘ freuen?

Michael Oher ist kein Fan des Films „The Blind Side", der seinen Aufstieg vom Niemand zum NFL-Profi erzählt. Doch Star-Mitspieler Cam Newton kitzelte aus einem der schlechtesten Offensive Tackles der Liga wieder das Stehaufmännchen heraus.
Foto: Imago

Michael Oher ist ein ruhiger Typ. Kein Freund großer Worte und exzentrischer Outfits. Auch auf dem Feld sind für die große Show andere zuständig, da die Position des Offensive Tackle vergleichsweise glanzlos ist. Trotzdem steht der 143 Kilogramm schwere Hüne zeit seiner Profikarriere im Fokus der Öffentlichkeit. Denn 2009 wurde er nicht nur in der ersten Runde von den Baltimore Ravens gedraftet, sondern auch wegen des Films ‚The Blind Side' über Nacht berühmt. Ruhm, auf den der 29-Jährige gerne verzichten würde.

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Es ist die Geschichte des amerikanischen Traums, die Hollywood—im Gegensatz zu Oher selbst—so liebt. Er stört sich an einigen Details, unter anderem daran, dass er teilweise dümmlich wirkt und dass der Fokus nicht auf seiner Leistung, sondern vielmehr auf seiner bewegten Lebensgeschichte liegt. Der Schutz der Blind Side des Quarterbacks (der bei seinen Würfen vertikal steht, dementsprechend eine Seite nicht im Blick hat und dort besonderen Schutz braucht) wurde primär als Metapher des Schutzes der Familie benutzt, weswegen der spielerische Aspekt fast gänzlich in den Hintergrund geriet. In Anlehnung an den Film machen sich sämtliche Mannschaftskollegen seit Jahren einen Spaß daraus, ihn sowohl mit Hilfe von Zitaten als auch mit dem Spitznamen ‚Big Mike' zu ärgern.

Ein glücklicher Tag für Oher und seine Familie: Er wird von den Ravens gedraftet. Foto: imago/ZUMA Press

Oher wurde als sechstes von zwölf Kindern in Memphis, Tennessee, als Sohn einer Crack- und Alkoholabhängigen geboren. Sein Vater war aus verschiedenen Gründen Dauergast im Gefängnis und wurde dort auch während Michaels letzten High-School-Jahres ermordet. Da sich niemand um ihn kümmerte, besuchte Michael in neun Jahren elf Schulen und war vorübergehend obdachlos. Alles deutete darauf hin, dass er sein Leben lang in diesem Teufelskreis gefangen sein würde—genau wie seine biologischen Eltern. Jedoch konnte Michael Oher mit der Hilfe von Leigh-Ann, für deren Darstellung Sandra Bullock einen Academy Award gewann, und Sean Tuohy, dem Besitzer zahlreicher Fast-Food-Franchises, aus dem Kreislauf ausbrechen. Sie ersetzten seine biologische Familie, adoptierten ihn später und halfen ihm auch finanziell beim Sprung in die wichtigste Football-Liga. Mit dem Draft endete der Film—der weitere Verlauf seiner Karriere bot allerdings genug Stoff für ein mögliches Sequel.

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Oher am Ziel seiner Träume. 2013 gewinnt er mit den Ravens gegen die 49ers den Super Bowl XLVII. Foto: imago/Icon SMI

Bei den Ravens überwachte er die Blind Side von Joe Flacco besser als Jimmy McNulty die Handys der Gang um Stringer Bell und Avon Barksdale in der ebenfalls in Baltimore angesiedelten Serie ‚The Wire'. Nachdem der Offensive Tackle in den ersten beiden Jahren in den Playoffs ausschied, schaffte er es im dritten Anlauf, den Superbowl gegen die San Francisco 49ers um Colin Kaepernick dank eines 34:31 für die Ravens zu gewinnen. Nachdem die beiden folgenden Jahre mäßig erfolgreich ausfielen, sollte letztlich ein Tapetenwechsel her.

2014 kehrte er in seine Heimat zu den Tennessee Titans zurück. Was zunächst nach einer sportromantischen ‚Homecoming'-Story klang, entpuppte sich als vorläufiger Tiefpunkt seiner Karriere. Wenn man in der Symbolik des Films bleibt, könnte man annehmen, dass das Verhältnis zwischen Oher und dem spielenden Quarterback ungefähr so war wie das zu einem betrunkenen Onkel zweiten Grades, der bei Familienfesten stets unangenehm auffällt. Nach einer unterirdischen Saison, in der nur zwei der 16 Spiele gewonnen werden konnten, wurde Oher mehrfach zu einem der schlechtesten Offensive Tackles der Liga gekürt. Dass er das komplette Jahr sowohl an einer Bizeps- als auch an einer Zehenverletzung laborierte, trug er aus Stolz nie groß an die Öffentlichkeit. Mit gerade einmal 28 Jahren stand er vor den Trümmern seiner Karriere. Wären da nicht Cam Newton und sein Bruder Cecil.

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Cecil, der auch in diesem Jahr für die Ravens auflief, freundete sich während der gemeinsamen Zeit in Baltimore mit Michael Oher an und schaffte es, seinen kleinen Bruder Cam von den Qualitäten des Offensive Tackle zu überzeugen. Zwischen den zahlreichen belanglosen Nachrichten, die den bulligen Spieler mit ‚Blind Side'-Zitaten aufzogen, fand sich nun auch eine wichtige vom Quaterback der Carolina Panthers. ‚Ich möchte dich nicht nur, ich brauche dich!'

„Sie gab mir ein heimisches Gefühl", sagte Oher später, als er nach der besagten SMS gefragt wurde. Ironischerweise hatte ihn Newton am Ende dank des unliebsamen Bildes, das der Film von ihm vermittelt, ködern können. Nachdem er in der Off-Season an seinem Comeback und seiner Genesung arbeitete, startete er in dieser Saison in sämtlichen Spielen. Das essenzielle Erfolgsrezept der Panthers ist wie gemacht für den sensiblen 29-Jährigen: Die Mannschaft scheint auf und neben dem Feld am meisten Spaß im Kollektiv zu haben. Nach einer fast perfekten Regular Season, in der nur ein Spiel verloren ging, wurden auch die Gegner bis zu den NFC-Finals nach Belieben dominiert. Dies liegt vor allem an der enorm variablen und statistisch besten Offensive der Liga. Auch Oher hatte maßgeblichen Anteil daran, dass Newton (der von den Migos den treffenden Beinamen ‚Dab Daddy' bekam) sämtliche Freiheiten und Zeit hatte, sein Spiel bestmöglich aufzuziehen. Als klarer Favorit zog die Mannschaft mit breiter Brust in den Super Bowl ein.

Die allgemeine Skepsis war groß, ob die überragende Defense der Broncos, trotz der eiernden Würfe des 39-jährigen Quaterbacks Peyton Manning, für einen Sieg im Super Bowl reichen würde. Da die Panthers in der Saison kaum Schwächen offenbarten, ließen sie in kaum einer Hinsicht Zweifel aufkommen. Doch die nahezu perfekte Leistung der Defense um den späteren Finals-MVP Von Miller demontierte die O-Line der Panthers nach allen Regeln der Kunst. Zermürbt ließ diese sich daraufhin immer wieder zu teils amateurhaften Fehlern hinreißen. Besonders für Oher war es ein Tag zum Vergessen. Ein ums andere Mal kamen auf seiner Seite die Verteidiger bis zum Quaterback durch. Ein Call wegen „False Start" zeigte neben Ohers Verunsicherung auch sinnbildlich die Überforderung der gesamten O-Line. Im letzten Viertel standen Resignation und Enttäuschung der kompletten Mannschaft—so wie auch Eli Manning—ins Gesicht geschrieben.

Während in Denver die Ära des Peyton Manning wahrscheinlich beendet ist, stehen die jungen Panthers noch am Anfang. Sollte ‚Big Mike' noch ein paar Jahre in Charlotte, North Carolina, verbringen, scheint ein zweiter Ring in naher Zukunft nicht unwahrscheinlich. Dass er ein Stehaufmännchen (bzw. Stehaufriese) ist, hat er schon oft genug eindrucksvoll bewiesen.