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Wie „Anquatschversuche" der Polizei die Fanszenen vergiften

Die Fanhilfe Magdeburg machte Anwerbeversuche der Polizei in den eigenen Reihen öffentlich. Auch in anderen Fanszenen versprechen Polizisten Vergünstigungen gegen Informationen. Soll mit der Methode Unfrieden unter Fans gestiftet werden?
Foto: Imago/Picture Point

„Wir raten strikt davon ab, mit der Polizei zusammenzuarbeiten", erklärt Christian Oberthür von der Fanhilfe Magdeburg. Es ist ein Satz, der sinnbildlich für das zerrüttete Verhältnis zwischen aktiver Fanszene und der Polizei steht. Die Fanhilfe Magdeburg, die wie bei anderen Klubs aus der Fanszene heraus entstanden ist, um Fußballfans bei Rechtsfragen und Konflikten mit Institutionen wie dem DFB oder Polizei zu beraten, muss sich mit einem nicht ganz neuen Problem auseinandersetzen: Vergünstigungen gegen Informationen.

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„Wir möchten Euch darüber informieren, dass es zuletzt mehrfach Anwerbeversuche der Polizei, auch bei Fanhilfe-Mitgliedern, gegeben hat", erklärte die Fanhilfe Magdeburg vor einigen Tagen auf ihrer Facebook-Seite. „Ziel dieser Anwerbeversuche war es, relevante Informationen aus der Fanszene bspw. über Treffpunkte für Spiele, Zugtermine u.ä. zu erhalten", heißt es. „Diese 'Anquatschversuche', wie sie in der Szene heißen, finden sehr häufig verdeckt statt", erklärt Christian Oberthür, Vorstandsmitglied der Magdeburger Fanhilfe, im Gespräch mit VICE Sports. „Unsere Erfahrung zeigt, dass dies vor allem passiert, wenn die Leute wegen einer anderen Sache aufs Revier müssen. Wenn Fans wegen eines laufenden Verfahrens oder einer Anzeige befragt werden, werden sie meistens hintenrum angequatscht und ihnen werden Vergünstigungen gegen Informationen geboten." Die Vergünstigungen sollen etwa die Reduzierung einer möglichen Strafe oder gar das Fallenlassen einer Anzeige sein.

Die Fanhilfe warnt ihre Mitgliedern und die anderen Fans jedoch vor dieser Zusammenarbeit. „Die Fans haben da keinen Gewinn von. Die Polizei wird keine Anzeige gegen einen Fan fallen lassen, weil er Internas aus der Fanszene ausplaudert. Das ist eine Utopie", schildert Oberthür, der auch darauf hinweist, dass es am Ende die Entscheidung eines Richters sei, ob der Fan verurteilt wird oder nicht. Die Fanhilfe, die laut eigenem Leitbild neben einer „konkreten Fallberatung für Betroffene auch präventiv über Rechten und Pflichten aufklärt", will Fans über solche Anwerbeversuche informieren. „Wir versuchen unsere Leute zu sensibilisieren und wir wollen die Anquatschversuche offenlegen, um die Fans zu schützen", so Oberthür.

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Doch nicht nur die Mitglieder der Fanhilfe Magdeburg beobachten seit Jahren solche „Anquatschversuche". „Beim Fanhilfen-Treffen im Januar kam heraus, dass sich die Fanhilfen deutschlandweit Anwerbeversuche der Polizei mitbekommen", schildert Oberthür. Erst zum Jahreswechsel berichtete die Fanhilfe Hannover von ähnlichen Anwerbeversuchen durch die Polizei. Im September machte eine Ultragruppe von Eintracht Trier öffentlich, dass einem Gruppenmitglied durch einen Polizisten 400 Euro im Monat dafür geboten wurden „Informationen über die Trierer Ultra-Szene zu sammeln und mitzuteilen!" Neben der Polizei hat auch der Verfassungsschutz Interesse an Informationen aus der Fan- und Ultraszene: Im Jahr 2014 wurde der Fanforscher Martin Thein als Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz enttarnt. In Köln, Dresden und Nürnberg, wo Thein unter anderem forschte, soll es versuchte Anwerbungen von Ultras als V-Männer gegeben haben.

Ob in der Fanszene des FC Magdeburg ebenfalls V-Leute vom Verfassungsschutz angeheuert wurden, weiß die Fanhilfe in Magdeburg nicht. Um das herauszufinden, arbeiteten sie schon mit verschiedenen Abgeordneten zusammen. Auf eine Anfrage an den Landtag Sachsen-Anhalt durch den Abgeordneten Uwe Loos (Die Linke), ob die Landesregierung Kenntnis vom Einsatz von V-Leuten, Informantinnen und Informanten und verdeckten Ermittlern in Fußball-Fanszenen hat, wurde jedoch nur ziemlich ausweichend und nicht klar geantwortet:

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Unterstellt man, dass Informanten in Anspruch genommen bzw. Vertrauenspersonen oder Verdeckte Ermittler in den Fußball-Fanszenen des Landes für die Polizei oder die Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt eingesetzt waren - ob dies tatsächlich der Fall war, bleibt hier ausdrücklich offen -, dann könnten durchaus im Wege eines Ausschlussverfahrens Rückschlüsse auf die Identität der betreffenden Personen gezogen werden. Dies könnte zu Rachetaten gegenüber diesen Personen und ihrer Angehörigen führen, die geeignet wären, deren Leib, Leben und Freiheit langfristig zu gefährden.

Während das Ministerium für Inneres und Sport von Sachsen-Anhalt eine Anfrage von uns nicht beantwortete, widerspricht die Polizei den Vorwürfen der Fanhilfe. „Die von der Fanhilfe getroffenen Aussagen hinsichtlich des Anwerbens von V-Leuten werden vom Polizeirevier Magdeburg nicht bestätigt", erklärte Frank Küssner, Leiter der Pressestelle der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord, auf Nachfrage von VICE Sports. „Danach erfolgten und erfolgen durch Polizeibeamte des Polizeireviers keinerlei Anwerbeversuche von Fußballfans als Informanten, V-Person oder ähnlichen", so Küssner weiter. Dabei verweist er jedoch auf einige Ausnahmen: „Hingegen gibt es anlassbezogene dienstliche Kontakte von Polizeibeamten, insbesondere sogenannter szenekundiger Beamter, im Rahmen der Bewältigung von Fußballeinsätzen." Von flächendeckenden Anwerbeversuchen will die Polizei jedoch nichts wissen.

Die Fanhilfe Magdeburg munkelt, dass es keine offizielle Marschroute innerhalb der Polizei gibt. „Wir haben das Gefühl, dass sehr viele Anwerbeversuche aus der Motivation einzelner Polizisten heraus entstehen, die einfach mal gucken, wie weit sie für den Erhalt von Information gehen können. Und dann gibt es natürlich auch die Fälle, wo Personen zivil vor der Haustür stehen und konkret nach Infos fragen. Diese Anfragen gab es jedoch seltener", erklärt Oberthür. Doch auch diese finden schon länger statt, wie er verrät: „Schon bei der WM 2006 sind die Beamten die polizeibekannten Fans abgefahren und haben nachgefragt, zu welchen Spielen sie fahren wollen." Bei Fans, die schon straffällig geworden sind oder gar zur Hooliganszene gehören, sollen die Beamten daher öfter mal an der Tür klopfen. „Magdeburg hat eine Freundschaft zu Braunschweig und zum BFC Dynamo. Die Fans werden dann auch immer wieder gefragt zu welchen Spielen sie denn fahren wollen", so Oberthür. „Wir erfahren aber wohl nur von einem Bruchteil dieser Gespräche zwischen Fans und Polizei." Das schafft Skepsis.

„Diese Versuche belasten das Verhältnis zwischen Fans und Polizei immens", erklärt Oberthür von der Fanhilfe. „Dadurch schafft die Polizei nur noch mehr Misstrauen." Oberthür sieht jedoch auch eine gewisse Taktik im Vorgehen der Beamten: „Vielleicht sucht die Polizei auch keine Informationen, sondern es ist ihre Strategie Unruhe in der Szene zu stiften." Diese scheint in Magdeburg zumindest teilweise aufzugehen. Denn die Anwerbeversuche belasten nicht nur Verhältnis zwischen Polizei und Fans, sondern sorgen auch für Unruhe unter den Fans. „Die Skepsis untereinander ist im Alltag in der Fanszene schon wesentlich größer geworden", schildert Oberthür.

Besonders in Magdeburg, wo das Stadion meistens voll ist und man um den Aufstieg in die zweite Liga kämpft, ist das Misstrauen gegenüber neuen Fans groß. „In der Regionalliga konntest du im Block jeden persönlich die Hand reichen, nun verliert man total den Überblick. Das ist auch eine Gefahr", so Oberthür über die Vorverurteilungen mancher Fans mit der sich die Fanhilfe auch auseinandersetzt. „Leute, denen vorgeworfen wird, dass sie Spitzel seien, nehmen so etwas mit nach Hause und es belastet sie. Und in der Regel fallen die Vorwürfe zu Unrecht." Und er fasst traurig zusammen: „Damit erreicht die Polizei den Effekt, Unfrieden zu stiften." Ob die Polizei das am Ende wirklich möchte, bleibt ihr Geheimnis. Vertrauen schafft dieses Verhalten allerdings nicht.