Wie ich ernsthaft dachte, ich könnte einen FIFA-Profi besiegen
Alle Fotos: Benedikt Niessen

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Wie ich ernsthaft dachte, ich könnte einen FIFA-Profi besiegen

Ich wähnte mich als sehr guten FIFA-Spieler, der jeden dreckigen Trick im Repertoire hat. Dann trat ich gegen den Schalker FIFA-Profi Cihan Yasarlar an.

Ich war eigentlich immer der Meinung, dass ich ein ganz guter FIFA-Spieler bin. Mit meinem Lieblings-FIFA-Team Crystal Palace—die Offensive um Bakary Sako, Yannick Bolasie und Wilfried Zaha war letzte Saison ein absoluter Traum—konnte ich regelmäßig Barcelona-, Bayern- oder Chelsea-Stümper regelrecht auseinandernehmen. Mit einem eigentlich mittelmäßigen Team hatte ich mich in die erste Liga des Seasons-Modus gespielt. Deswegen war mein innerer Ibra auch überzeugt, einen Wettkampf auf Augenhöhe auszutragen, als mein Chef den Besuch von Cihan Yasarlar ankündigte. Cihan verdient sein Geld mit FIFA, steht im eSports-Team von Schalke 04 unter Vertrag und sollte mir spielend ein paar Tricks zeigen, um noch besser zu werden.

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Das war allerdings nicht mein Anspruch. Klar wollte ich was lernen, aber noch mehr wollte ich einen FIFA-Profi besiegen. Ich könnte mir im Fall der Fälle in meinem Freundeskreis Sprüche von hier bis nach Meppen anhören, aber sollen die Bauern nur reden. Mit meinen mehr oder weniger kaputten Controllern erhoffte ich mir sowas wie einen Heimvorteil. Im DFB-Pokal schimpfen die Bundesligateams ja auch gerne mal über die Platzverhältnisse bei den Drittligisten. Außerdem konnte ich auf Youtube Videoanalyse betreiben. Der Kern meiner Taktik war allerdings psychologische Kriegsführung. Sich selbst stark und den Gegner klein reden, aber zur Not den (heilen) Controller verantwortlich machen und ihn gleichzeitig mit Interview-Fragen bombardieren. Es gab nur ein kleines Problem: Cihan war die Ruhe in Person, weswegen sich meine Taktik schon beim Händedruck als pubertär erwies.

Als er im Trainingsanzug von Schalke vor der Tür stand, war mir schnell bewusst, dass ich nicht der einzige war, der um jeden Preis gewinnen wollte. Ich würde hier nichts geschenkt bekommen, so entschlossen war sein Blick. Cihan stand schon im Viertelfinale der Virtuellen Bundesliga, die auf Sky ausgestrahlt wurde. Der Junge weiß, wie es in K.O.-.Spielen zur Sache geht.

Cihan kennt keine Gefangenen, auch nicht bei der Aufstellung

Beim ersten Spiel nahm ich Lazio Rom. Zum einen existierte das Offensivgespann von Crystal Palace nicht mehr, zum anderen bin ich kein Fan von Fünf-Sterne-Mannschaften, da man mit diesen gefühlt immer die drei gleichen Paarungen hat. Zu meiner Ernüchterung fiel mir erst zu spät ein, dass Antonio Candreva fehlte. Er war im Sommer zu Inter Mailand gewechselt. Fuck! Ich ließ mir meinen Unmut nicht anmerken, dann müssen es eben Ricardo Kishna, Felipe Anderson und Keita Baldé Diao richten. Cihans Wahl fiel auf Besiktas Istanbul. Da ich immer mit einem offensiven 4-3-3 auflaufe, wollte ich wissen, welches System er bevorzugt. „Eigentlich sind alle 4-3-3-Aufstellungen ganz gut. Bei schwachen Gegnern geht auch 3-4-3. Damit kann man gut Druck machen", pflichtete er mir bei. Es schmeichelte mir, dass er erstmal auf die offensive Ausrichtung verzichtete. Er gab mir noch einige wertvolle Tipps.

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  • Die Außenverteidiger und eventuell noch einen zentralen Mittelfeldspieler lässt man bei Angriffen am besten hinten, um ärgerliche Kontertore zu vermeiden.
  • Die Anweisung für den Mittelstürmer hängt von dessen Geschwindigkeit ab: Langsame Spitzen sollten als Anspielstation dienen und die Abwehrreihen unter Druck setzen, da sie in Laufduellen ihre Defizite haben. Die Aubameyangs und Agüeros sind wiederum effektiver, wenn sie die Abwehrreihen überlaufen.

Beim Spiel erwartete ich, dass ich mit Spezialbewegungen und viel Ballbesitz auseinandergenommen werden würde. Cihans Qualitäten waren andere: Zum einen verlor er gefühlt keinen Zweikampf, außerdem konnte er sich anbahnende Großchancen in kürzester Zeit zunichte machen. Als ich es dann doch mal vor das Tor schaffte, setzte Ciro Immobile meine einzige Großchance an den Pfosten. „Genau deswegen wollte in Dortmund niemand mit dir essen gehen!", ärgerte ich mich. In der Vorwärtsbewegung biss ich mir mehr und mehr die Zähne aus. Ob das mit einem Miro Klose in seiner Prime genauso gewesen wäre? Wohl nicht. Da die Defensive auch einen rabenschwarzen Tag erwischte, endete die Begegnung 0:5. Grazie per niente, Lazio!

So zynisch das nach einem solchen Ergebnis klingen mag, wollte ich Cihans Einschätzung, wie ich so spiele. „Du kannst schon was und du spielst nicht mit klassischem Verteidigen. Ich habe mal gepostet, dass das wie Cheaten ist, seitdem versuchen das alle gegen mich." In der Offensive fehle es mir außerdem an Variabilität. Wer Tore schießen will, muss alles können.

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5-8 Torschüsse, 0-5 Tore, Effektivität hat einen Namen. Meiner ist es nicht.

Als wir als nächstes die 4,5-Sterne-Mannschaften Napoli und Tottenham auswählten, wollte ich wissen, was sein Lieblingsteam (abgesehen von Schalke) ist. Die allermeisten Profis spielen mit Real Madrid. „Ronaldo ist halt der beste Spieler in FIFA und Real hat mit Sergio Ramos auch einen schnellen Innenverteidiger. Aber ich mag von den Spitzenteams eigentlich Juventus am meisten." Kaum war die erste Halbzeit gespielt, merkte ich, dass ich die nächste italienische Mannschaft auf die Schlachtbank geführt hatte. Bisher war immer darauf Verlass, dass sich Lorenzo Insigne, Dries Mertens oder José Callejón „irgendwie" durch die gegnerischen Abwehrreihen wuseln. Kurz vor dem Strafraum war jedes Mal Schluss und auch die Gewaltschüsse fanden nicht ihren Weg ins Netz. Auf der Gegenseite ein anderes Bild: Die Abwehr um Kalidou Koulibaly tat ihr Bestes, um die Niederlage abzuwenden, und ließ auch verhältnismäßig wenige Chancen zu. Der Haken an der Sache war nur, dass Cihan jedes Mal, wenn er vor dem Tor stand, auch traf. Jedes. Mal. Sein Kommentar dazu: „Flach ins lange Eck ist oft ziemlich effektiv." GRAZIE PER NIENTE, NAPOLI!

Ich hatte vorerst mehr als genug vom italienischen Calcio. Ich suchte mich durch die Teams der verschiedenen Ligen. Als ich kurz überlegte, Paris St. Germain zu nehmen, meinte Cihan: „PSG will ja auch in den eSports einsteigen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die August Rosenmeier (gilt als bester FIFA-Spieler der Welt; Anm. d. Red.) verpflichten wollen, aber den finde ich persönlich nicht soo krass. Und noch Huge Gorilla. Ich weiß nicht, wie der wirklich heißt, aber der ist wiederum richtig gut… Generell würden wir von jedem großen Team profitieren, das einsteigt." FIFA steht im professionellen Bereich noch in den Kinderschuhen. Deshalb werden dort auch die im Profifußball verhassten Scheichclubs gerne gesehen, da sie zum steigenden Prestige beitragen. Während ich immer dachte, dass professionelles Gaming eher in Asien eine große Nummer ist, scheint auch das Herz des virtuellen Fußballs in Europa zu schlagen. In England, Spanien, Frankreich und Deutschland soll es laut Cihan die besten Spieler der Welt geben. Neben Schalke 04 wagte sich hierzulande allerdings bisher nur der VfL Wolfsburg an das Experiment „professionelles FIFA-Team". Im Gespräch merkte ich schnell, dass das Verhältnis zwischen den beiden Teams nicht gerade freundschaftlich ist. „Der Neue von Wolfsburg ist ganz gut. Aber du musst dir vorstellen, einer von denen hat mal gegen einen Zuschauer verloren. Das ist super peinlich."

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Den Hype um manche FIFA-Stars kann der 23-Jährige nicht ganz nachvollziehen: „Es gibt unter denen so viele, die booten." Im Laufe des Nachmittags kam Cihan immer wieder auf das Thema „booten" zurück. „Kennst du das, wenn du spielst, 3:0 vorne liegst und dann deine Serververbindung unterbrochen wird? Dann kannst du davon ausgehen, dass der Gegner nebenbei am Computer sitzt und deine Internetverbindung lahmlegt. Bei den EA-Servern wirkt das dann so, als hättest du das Spiel abgebrochen und er bekommt den Sieg. Bei der virtuellen Bundesliga ist eine 90-0-0-Bilanz das Ziel und wenn manche Spieler bei 80-0-0 keine Lust mehr haben, fangen die an zu betrügen. Es sind auch schon ein paar Spieler gesperrt worden, aber die ESL ist da noch nicht besonders konsequent."

Auch bei Schalke? „Nein, mein Trainer hat mir immer gesagt, dass wir fair spielen. Würde ich das machen, wäre ich sofort meinen Vertrag los." Wenn man seinen Ausführungen folgt, scheinen nur wenige das Thema Fair Play ernst zu nehmen. „Es kommt auch immer mal wieder vor, dass da im Chat beleidigt wird. Erst neulich hat da einer ‚Salafist' geschrieben, wegen meinem Bart. Aber ich bin da cool, die machen das am Ende ja auch nur, weil ich besser bin. Ich finde auch, dass solche Provokationen zu Sperren führen sollten. Eine andere gängige Form des Betrugs ist, wenn ein paar Profis für ihre Freunde spielen. Das ist unprofessionell hoch zehn. Das bringt auch niemandem was, wenn die dann Turniere spielen und das Niveau nach unten drücken."

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Sein Coach, Joshua Begehr, ist einer der besten FIFA-Spieler der Welt. Er konnte sowohl die Weltmeisterschaft als auch mehrmals die Europa- und deutsche Meisterschaft gewinnen. Ein Training laufe in der Regel so ab, dass die beiden via Headset Fehler besprechen. Andere Spieler nutzen auch die Aufzeichnungen der Spiele zur Videoanalyse. Cihan ist allerdings kein Freund davon. Das Stichwort brachte mich auf die Idee zu fragen, wie es denn in der FIFA-Szene um Freundschaften steht. „Das ist krass, du hörst da so oft Ausdrücke… Hass ist vielleicht das falsche Wort, aber ich sag mal so: Man mag sich nicht."

Joe Hart im Tor, der alten Zeiten Willen.

Beim dritten Duell erhoffte ich mir mit Manchester City gegen Juve den großen Wurf. Lange standen meine Chancen gut. Mehr oder weniger glücklich schaffte ich es, einen 0:1-Rückstand in die Halbzeit zu retten. Obwohl sich David Silva verletzte, witterte ich meine Gelegenheit. Die Euphorie fand in einem Gewaltschuss von Miralem Pjanic allerdings ein jähes Ende. Als dann kurz vor Schluss noch das 0:3 folgte, verlor ich langsam aber sicher die Lust. Für jemanden, der das Verlieren hasst, war es ein reiner Albtraum. Mein vermeintlich breites Repertoire an Tricks, Spielzügen und Überraschungen schien der Schalker schon x-mal gesehen zu haben. Das anschließende 0:7 war daher nur konsequent.

Auch als sich die Frage nach einer möglichen Zweitkarriere bei mir wohl erübrigt hatte, wollte ich „für einen Freund" wissen, wie man FIFA-Profi wird. Bei Cihan startete sie in seiner Heimatstadt Berlin, genauer gesagt am FIFA-Stand der IFA 2015: Nachdem er dort mit seinen Leistungen einen bleibenden Eindruck hinterlassen konnte, wurde er bei dem Clan „SK Gaming" aufgenommen. „Die haben es gesehen: Der Junge ist gekommen und hat rasiert", meinte Cihan selbstbewusst über das Interesse von Schalke 04 und den anschließenden Deal. Für mich wirkte der eSports mit seinen ganzen Ligen, Clans, Turnieren und Verbänden dennoch relativ abstrakt, weswegen meine Nachfragen manchmal zu einem Stirnrunzeln beim Schalker führten. Als ich wissen wollte, ob es auch außerhalb dieser Richtlinien Turniere gäbe, bejahte Cihan das zwar, meinte aber gleichzeitig, dass er das nicht mehr machen würde. „Vor meiner Zeit als Profi habe ich mal hier in Berlin bei einem 2-gegen-2-Turnier mitgespielt und gewonnen, aber am Ende wurde uns weder unser Startgeld noch unsere Prämie von 600 Euro überwiesen. Seitdem spiele ich nur noch sichere Turniere."

Während ich die Playstation abbaute, wurde ich doch nochmal überrascht. „Du bist schon ganz gut", meinte Cihan. Auch wenn es an diesem Tag nicht gereicht hatte, wurde mir versichert, dass ich besser sei als Eric-Maxim Choupo-Moting. Na ja, immerhin.