So viel verdient der Staat, wenn du den Mittelfinger zeigst

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Staatshaushalt

So viel verdient der Staat, wenn du den Mittelfinger zeigst

Eine völlig ernstgemeinte Hochrechnung auf wahren Grundlagen.

Fotos: Lisa Ziegler.

"Einmal Mittelfingerzeigen kostet 900 Euro", stand diese Woche in den Schlagzeilen.

Oha, dachten wir erst, endlich wissen wir, was Ex-SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück uns schuldet.

Aber wir mussten feststellen: Jooooaaaa. Stimmt leider nicht wirklich.

Steinbrück wäre vor Gericht vielleicht nochmal glimpflich davongekommen. Der erste Wichser geht meist noch als Gratis-Bagatelle durch. Im schlimmsten Fall drohen dir sogar zwei Jahre Haft. Kein Scheiß. Meistens blüht allerdings nur eine Geldstrafe.

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"Zu sagen, dass einmal Mittelfingerzeigen pauschal 900 Euro kostet, ist einfach falsch", sagt die Sprecherin der Berliner Strafgerichte, Lisa Jani, gegenüber VICE. "Das war ein einzelnes Urteil. Die Höhe der Geldstrafe hängt davon ab, wie viel man verdient und ob jemand vorbestraft ist."

Dieses Geld geht dann an den Staat. Könnten wir alle, wenn wir nur oft genug beleidigen würden, sogar den Haushalt sanieren? Wäre das ganze Schuldenloch, das unsere Eltern und Großeltern uns hinterlassen, stopfbar, würden wir sie nur oft genug so lange provozieren, bis sie uns den Mittelfinger zeigen? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir mit vereinten Kräften hochwissenschaftlich nachgerechnet, wie viel Geld der Staat im Jahr mit dem Wichser verdient. Wir, das sind in diesem Fall eine Redakteurin und ein Praktikant.

In Berlin wurden 2015 rund 1.500 Menschen wegen Beleidigung verurteilt, sagt uns die Senatsverwaltung für Justiz. Rechnen wir damit, dass im Schnitt jede dritte Beleidigung, die vor Gericht kommt, ein Mittelfinger ist.

(Entschuldigung, dass ich mich hier mal kurz einhaken muss. Als Praktikant weiß ich sehr genau, wie oft es einem gequälten Arbeitnehmer am Tag im Finger juckt. Es müssen viel mehr sein!)

OK, OK, ich erkläre dir, wie ich darauf komme.

Eine Strafverfolgung wegen Beleidigung wollen hauptsächlich drei Gruppen Menschen: Beamte, die sich dadurch in ihrer Arbeit gestört fühlen. Menschen, die sich Hass im Netz nicht mehr gefallen lassen wollen. Und Autofahrer, die an der Ampel stehen, dem Wichser, der ihnen den Wichser gezeigt hat, einen reinwürgen wollen und sich das Kennzeichen aufschreiben. Gegen Beamte trauen sich die meisten dann doch nur Schimpfwörter. (Nur zwei aus 20 Fällen von Beleidigungen gegen Ordnungsamt-Mitarbeiter waren Mittelfinger, sagt ein Sprecher des Berliner Ordnungsamtes VICE.) Online sind es auch Worte. Aber im Straßenverkehr, da ist die Geste stärker als jedes "du Sau", das vom Rauschen sofort verschluckt wird. Im Schnitt könnte also etwa jede dritte Beleidigung vor Gericht ein Mittelfinger sein. Bei insgesamt 1.500 verurteilten Beleidigungen in Berlin macht das 500 verurteilte Wichser im Jahr.

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(Ich bin nicht überzeugt. Es ist ein absolut befreiendes Gefühl, den Arm zu heben und den längsten aller Finger nach vorne schnellen zu lassen. Die Revolution des kleinen Mannes. Gerade in Berlin beobachte ich dieses Phänomen recht häufig (U-Bahn). Ich halte deine Zahl für vollkommen untertrieben, es sind mindestens 1.000 Wichser im Jahr.)

Schwachsinn. Weißt du, wie viele tolle Schimpfwörter es gibt, du Postleitzahlenaddierer? Ich rechne mit 500 Urteilen weiter. Mach du doch, was du willst.

Mittelfinger wurden in bekannten Urteilen mit 600 bis 4.000 Euro bestraft. Nehmen wir also als Durchschnitt 1.000 Euro pro verurteiltem Finger. Einfach, weil sich damit leicht rechnen lässt. Das macht also 500 (verurteilte Mittelfinger) mal 1.000 Euro (Strafe) gleich 500.000 Euro für die Staatskasse allein durch Berliner Mittelfinger.

(Natürlich ist der Wichser bei allen Bevölkerungsschichten beliebt, aber Studenten und andere brotlose Künstler teilen sich ihre Stinkefinger gut auf, denn viele sind nicht drin im Budget. Die meisten Wichser müssen also von Besserverdienern stammen. Und da die Strafgelder abhängig vom Einkommen sind, halte ich 1.000 Euro für stark untertrieben. Sagen wir 2.000 Euro, das sind dann 2 Millionen Euro für die Staatskasse jährlich.)

Kannst du mal bitte aufhören zu nerven? ICH MUSS RECHNEN VERDAMMT.

Also, Berlin haben wir, es fehlt nur noch die Frage, wie viel ganz Deutschland mit Wichsern einnimmt. Gehen wir davon aus, dass die Berliner etwas rotziger sind als alle anderen Deutschen. Wenn also in Berlin drei Millionen Menschen für 500 Mittelfinger sorgen, dann sorgen im Mittel vielleicht 11 Millionen Deutsche für 1.000 verurteilte Mittelfinger. Macht etwa 7.000 verurteilte Mittelfinger auf 77 Millionen Deutsche, plus die 1.500 der 3 Millionen Berliner kommen wir deutschlandweit auf 8.500 verurteilte Mittelfinger jedes Jahr.

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Mal 1.000 Euro Strafe macht 8,5 Millionen Euro für die Staatskasse durch Wichser im Jahr. Ha! Wie sieht's bei dir aus?

(Ich weiß zwar nicht mehr genau, was ich hier rechne, aber auf meinem Taschenrechner steht gerade die Zahl 61.670.456 Euro. Was machen wir denn jetzt?)

Nehmen wir die Mitte zwischen deinem und meinem Ergebnis. 35 Millionen. Damit dürften wir auf jeden Fall nicht unter dem liegen, was der Staat tatsächlich mit Mittelfingern einnimmt. Aber ganz ehrlich: Das Schuldenloch lässt sich damit nicht wirklich schließen. Das finanziert ja noch nicht mal das geplante Tierwohl-Kennzeichen für Supermarkt-Fleisch gegen Kükentöten, das spätestens 2018 kommen soll. Allein das kostet 70 Millionen.

(Es wäre auch zu schön gewesen.)

Ihr kommt auf eine andere Zahl? Schreibt @SFaltenbacher und @DanielFrevel auf Twitter.
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