Auf der Suche nach den besten Zutaten für das beste Restaurant der Welt

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Sammler

Auf der Suche nach den besten Zutaten für das beste Restaurant der Welt

Um an die geschmacksintensivsten Pflanzen zu kommen, hängt sich Elijah Holland schon mal von einer Klippe herab. Er sammelt exklusiv für das noma in Sydney wild wachsende Pflanzen im australischen Busch.

Elijah (EJ) Holland ernährt sich von dem, was er in seiner Umgebung findet und riskiert für sein Essen manchmal auch sein Leben. Der 23-jährige Koch begann seine Karriere im Norden Sydneys im zarten Alter von 13 Jahren und ist damit bereits die Hälfte seines jungen Lebens als Koch unterwegs. Seine Eltern arbeiteten als Botaniker, Töpfer und Gärtner, sodass EJ mit Pflanzen aufgewachsen ist. Zusammen mit seinem besten Kumpel und Geschäftspartner Bojan Grdanovic hat er sich auch beruflich mit Nature's Pick ganz der Suche nach essbaren einheimischen Pflanzen verschrieben. Und kürzlich lebte er den Traum eines jeden professionellen Jägers und Sammlers: Als das noma in Sydney in Australien zu Gast war, hat er aufgrund seines fast schon enzyklopädischen Wissens der lokalen Flora das Restaurant bei der Auswahl der Zutaten beraten.

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Das noma von René Redzepi vor allem bekannt dafür, einheimische und saisonale Zutaten kreativ zu verwenden, die entweder direkt vor Ort gesammelt oder angeliefert werden. ZuHause in Kopenhagen ist Michael Larsen genau dafür verantwortlich und arbeitet eng mit Redzepi und seinem Team zusammen, um einzigartige Gerichte zu erschaffen. Als Redzepi sich dann entschied, das noma, eines der besten Restaurants der Welt, für kurze Zeit auf die Südhalbkugel zu verlegen, brauchten sie natürlich einheimische Experten. Das noma ist bekannt dafür, dass es das terroir eines Orts in seinen Gerichten einfangen kann, aber René Redzepi und sein überwiegend europäisches Team hatten nur wenig Ahnung von der Flora und Fauna des Outbacks. Gegenüber der New York Times beschreibt Redzepi Australien als riesig im Vergleich zu Dänemark, vergleichbar mit der Entfernung zwischen Dänemark und Marokko. Also hat sich Redzepi an ein paar Freunde in Australien gewandt, um einen Expertensammler vor Ort zu finden. Und so kamen er und EJ in Kontakt. Zuerst trafen sie sich im April 2015, Elijah Holland brachte zu dem Treffen gleich einen riesigen Batzen australischer Pflanzen von seiner letzten Tour mit und begeisterte Redzepi mit seinen Ideen. Er war sofort engagiert. Und die zehn Wochen zusammen mit Sternekoch Redzepi haben sich für EJs Karriere bereits ausgezahlt.

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Holland foraging at Bondi Beach.

Das MAD Symposium, Redzepis Version des G20-Gipfels, fand dieses Jahr in Melbourne und nicht in Kopenhagen statt. Zwei Tage vorher habe ich mich mit Elijah Holland getroffen und ihn bei seiner Suche nach den besten essbaren Pflanzen begleitet, um zu sehen, wie viel er über den Busch weiß. Außerdem war das der vorletzte Tag des nomas in Australien, Holland und das noma-Team befanden sich also in den letzten Atemzügen. Wir treffen uns im noma, es ist gerade Mittagszeit, das Team ist schwer beschäftigt, alle sind stilvoll gekleidet mit gestärkten Hemden und Schürzen. Elijah hingegen trägt ein Tanktop von Stüssy, abgetragene schwarze Jeans und hellbraune Outdoor-Stiefel. Durch die Küche geht es auf den Parkplatz, wo wir uns in seinem schon ziemlich mitgenommenen Wagen auf die holprige Fahrt machen.

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Erst geht es durch die Straßen Sydneys zum Bondi Beach, einen der am meisten besuchten Strände in Australien. Plötzlich entdeckt Elijah am Straßenrand einen Maulbeerbaum. „Jeder sollte wissen, was einen umgibt. Ich wette, die meisten wissen nicht, dass dort etwas wächst." Ich frage mich, ob wir alle einfach zuGuerilla-Sammlern werden sollten. Elijah gibt zu, dass nicht jeder so wie er sich von seiner Umgebung ernähren kann und dass es auch nicht jeder muss. Er hat sein Wissen über einheimische Pflanzen über viele Jahre hinweg gepflegt und erweitert und weiß auch jetzt immer noch nicht alles. Aber wirklich jeder, der Fleisch und Pflanzen isst, sollte versuchen mehr über die Herkunft unseres Essens zu erfahren. „Na ja, wenn es hart auf hart kommt, wie willst du denn bitte überleben?", fragt er mich. Ich blicke auf meine Schuhe, die vorne offen sind, und meine Plastikflasche mit Wasser und war dankbar, mich in so erfahrenen Händen zu wissen. Ich fühlte mich irgendwie unpassend gekleidet.

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Wer jemals am Bondi Beach war, weiß, dass er zwar wunderschön ist, man aber erst über einen Hügel—oder sollte man sagen kleinen Berg—dorthin gelangt. Während wir runter zum Wasser gingen, macht Elijah schon die ersten hier wuchernden Pflanzen aus: Warrigal Greens, das an vielen Stränden in ganz Australien wächst. Diese spinatähnliche Wildpflanze—deshalb auch bekannt als Neuseeländischer Spinat—wird als Suppe gekocht, kurz angebraten oder als Salat zubereitet. Beim noma kommt es bei den Abalone zum Einsatz, den Seeohren, und zwar als „Nomamite", eine Anspielung auf Vegemite zum Seeohren-Schnitzel, dazu noch einheimische Nüsse und Algen. Als ich mir eines der Blätter bewusst auf die Zunge lege, schmecke ich den salzigen, erdigen Geschmack sofort heraus.

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Ein paar Schritte weiter entdeckt Elijah wilde Wasserkresse und Kapuzinerkresse, die ja fest zum noma gehört. Aber dann hört er plötzlich mitten im Satz auf zu reden und pflückt sich ein paar Blätter einer schilfähnlichen Pflanze, der lomandra longifolia, die ich mal probieren sollte. Dann steckt er seine Hand mitten in die Pflanze rein, wühlt ein wenig und zieht eine weiße Wurzelknolle heraus. „Probier mal", befiehlt er mir und ich gehorche. Während ich also auf der mehligen, leicht nach Erbsen schmeckenden Wurzel herumkaue, erzählt mir Elijah, dass die ersten europäischen Siedler in Australien sich von dieser Pflanze ernährt hatten, weil sie ihr Geschmack an die grünen Erbsen von zu Hause erinnerte.

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Je heißer es während unseres „Spaziergangs" wird, desto weniger Klamotten trägt Elijah. Er zieht sein schwarzes Tanktop aus und entblößt seinen gebräunten, leicht muskulösen Oberkörper. Die Wasserkresse wächst an der leicht zugänglichen Seite der Klippe, aber die anderen Pflanzen, die er noch braucht, hängen von einem Klippenvorsprung über dem stürmischen Wasser herab. Ich schaue ihm einfach nur zu, wie er mit freiem Oberkörper die Blüten sammelt. Als er gerade genug für den Abend hat, schreit ein Jogger: „Mach dir keine Mühen, Junge." Ein anderer Fußgänger schlendert an uns vorbei und fragt mich, ob ich Elijah gewarnt hätte, dass das da gerade ziemlich gefährlich ist.

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Ich verstehe, dass sich viele ärgern, dass ein Abend im noma in Australien umgerechnet rund 325 Euro kostet. Das ist für die meisten von uns unerreichbar. Aber wenn man sieht, wie Elijah sein Leben riskiert, nur um eine Klippe nach Blüten für ein einziges Gericht abzugrasen, dann denkt man nochmal darüber nach, wie viel die Zutaten wirklich kosten.

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Er steigt die Klippe herab und wir gehen weiter runter zum Strand, um Wasserkresse zu finden. Die alte Sammler-Weisheit gilt auch bei Elijah:„Wenn du dir nicht hundertprozentig sicher bist, was es ist, fass es lieber nicht an." Er hat nie etwas gesammelt, das er nicht sicher kannte und hat auch kein Verständnis für professionelle Sammler und Köche, die bei wild gesammelten Zutaten Risiken eingehen. Dabei fiel mir ein, dass ich schon wieder vergessen hatte, welche der zwei Pflanzen, die er mir gerade gezeigt hat, giftig war. War es die mit den blauen Blüten oder die mit dem leichten Pelz? „Als hättest du zwei Tabletten. Du weißt, eine davon ist Aspirin, die andere Ecstasy. Entweder du weißt, welche welche ist oder du nimmst keine davon." Ich nicke und wir laufen weiter.

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Wenn er nicht nach wilden Pflanzen sucht oder kocht, vertreibt er sich seine Zeit bei der Jagd oder beim Speerfischen. „Das ist eben mein Leben. Ich liebe es einfach, im Busch unterwegs zu sein. Wenn du dich selbst auf die Suche begibst, schmeckt und riecht einfach alles anders, eine komplett andere Erfahrung.Er verschlingt Buch um Buch und recherchiert endlos—was er auch tun muss, wenn er auf der sicheren Seite sein will. Er zeigt mir, welche Teile des Wandelröschens man essen kann: Die Blüten und die Beeren sind lecker, aber die Blätter und die unreifen Früchte sind giftig.

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Das noma ist nicht das erste Restaurant in Sydney, das mit Warrigal Greens, australischen Fingerlimetten oder Quandong kocht, die findet man auch auf der Karte vom Billy Kwong oder dem Quay. Aber die Köche hier, Kylie Kwong und Peter Gilmore, beziehen die einheimischen Zutaten von Vertragsfarmern. Die Pflanzen findet man an den äußersten Stadträndern von Sydney oder man fährt zwei Stunden mit dem Auto in die Blue Mountains, wo auch Elijah jeden Tag unterwegs ist. Man muss sie nicht in großen Mengen kaufen, wenn man weiß, wo man sie findet. Elijah weiß genau, wie viel er bei einer Pflanze abpflücken darf, damit sie noch gesund bleibt und versucht auch an einem Ort nicht zu viel zu ernten: Dafür hat er eine Art innere Karte in seinem Kopf abgespeichert mit all seinen Sammelplätzen.

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Das Sammeln von Wildpflanzen ist umweltfreundlich, solange man nicht zu viel davon pflückt. Elijah meint, dass 90 Prozent der Pflanzen, die er auf der Klippe gesammelt hat, Arten waren, die es in Hülle und Fülle gibt. Wenn man zum Beispiel Warrigal Greens anbaut und dafür ein eigenes Bewässerungssystem installiert und den Boden bearbeitet, geht viel von dem einzigartigen Geschmack verloren. Aber wenn sie in der Nähe von Salzwasser wachsen, in der Nähe vom Strand eben, wo der Boden von Natur aus sehr nährstoffreich ist, sind die Blätter viel geschmacksintensiver als nur bei normalem Wasser.

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Jetzt wo die Zeit des nomas in Australien vorbei ist, konzentriert sich Elijah wieder auf Nature's Pick und beliefert die besten Restaurants der Gegend mit wild wachsenden Zutaten. Sein Tag beginnt um fünf Uhr morgens und endet gegen Mitternacht. Die Arbeit ist, gelinde gesagt, körperlich anstrengend. Ob er sich jemals für einen Serienmarathon einfach auf die Couch fläzt? „Ja, aber nicht oft."