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Klüger, lustiger, kreativer: Warum du ein besserer Mensch bist, wenn du einen Kater hast

Du bist nicht du, wenn du einen Kater hast. An manchen Tagen tut es einfach nur weh, an manchen bist du ein besserer Mensch.
Bild vom Autor

In meiner WG rufen wir ab und zu mal Cliff an, einen vollbärtigen Flaschensammler mit oranger Warnweste, der ein paar Tage später mit seinem Einkaufswagen vorbeikommt, um den Flaschenpfand dankend anzunehmen, den wir so produzieren. Warum ich ihn sehr gern habe, merkte ich mal wieder beim letzten Telefonat, denn zum Abschied gab er mir noch einen Rat mit: „Ihr seid nur einmal so jung, also trinkt ordentlich dieses Wochenende—dann haben wir alle was davon!"

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Heute ist Mittwoch, Cliff hat ein paar große Tüten Leergut in Empfang nehmen können und ich einen leichten Kater von gestern Abend. Auch wenn die Gläser und Flaschen gut gefüllt waren, liegen meine Augenlider heute unter dem Eichstrich. Mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, fällt mir in diesem Zustand nicht leicht. Manchmal habe ich aber das Gefühl, dass ich gewisse Dinge besser bewältigen kann, wenn ich einen Kater habe, weil ich das Wesentliche nicht beachte und mir ganz andere Dinge auffallen. Der Autor Jonah Lehrer schreibt in Wired davon, dass man durch den aus Müdigkeit und Betrunkenheit ausgelösten Kontrollverlust bei kreativen Aufgaben zu ganz anderen Lösungswegen als den routinierten kommen kann, weil man den eigenen, ständigen Fokus nicht hält und so neue Lösungswege in Betracht zieht. Man ist klüger, weil das Hirn nicht richtig funktioniert. Und ich bin sowohl noch etwas betrunken als auch ganz schön müde!

Kleiner, süßer Kater: Kreativität. Bild via Imago

Da ich eh mit meiner Mutter zum Telefonieren verabredet war, frage ich sie, woran das genau liegt, dass ich mich so dizzy fühle und mein Gehirn wächst, wenn ich einen Kater habe. Sie ist Allgemeinmedizinerin in einem Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen.

MUNCHIES: Hi Mum. Ich hab gestern mal wieder das berühmte Getränk zu viel ausgeleert und heute geht es mir nicht wirklich gut. Woran liegt das?
Mum: „Ich fühl' mich auch ganz schön groggy gerade, aber das liegt eher an dem Nachtdienst, den ich hatte. Wenn du Alkohol zu dir nimmst, führt das unweigerlich zu einer Entwässerung des Körpers durch den Abbau von Kochsalzen aus deinem Gefäßsystem, die vermehrt durch den von der Niere produzierten Urin ausgeschieden werden. Und da ein Körper im gesamten Organismus einen gleichen Salzspiegel antreibt und zum Ausgleich Wasser dahin driften lässt, wo mehr Salz ist, kann es zu einer leichten Schwellung deines Gehirns kommen. Dort zieht der Alkohol nämlich keine Salze ab. Die Folge: Kopfschmerzen."

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OK, ich habe also Kopfschmerzen weil mein Hirn schwillt? Kopfschmerzen habe ich aber heute nicht wirklich.
„Es muss ja auch nicht immer gleich Kopfweh auftauchen, hast du leicht zittrige Hände und bist schlapper als sonst?"

Ja.
„Bedanke dich bei deinem Gehirn! Es gibt aber auch einige andere Ursachen, warum du dich nicht frisch fühlst. Unterzuckerung oder körperliche Beschwerden durch den Abbau von Alkohol über die Leber zum Beispiel. Denn Alkoholabbau hat für die Leber immer Vorrang, andere Stoffe bleiben erstmal auf der Strecke. Die können dich dann auch kodderig fühlen lassen. Gleichzeitig entsteht beim Abbau das Zwischenprodukt Acetaldehyd, das die Augen, Atemwege und deine Haut reizen kann. Der Körper hat mit Alkohol immer viel zu tun und es gibt viele Gründe für einen Kater. Alkohol gehört halt nicht zu den göttlich vorgegebenen Nahrungsmitteln, die der Körper braucht—wenn man übertreibt, bekommt man eben die Quittung."

Großer Kater: Gefahr. Bild via Imago.

Nach dem Gespräch hatte ich die Hälfte vergessen, da ich einfach noch sehr müde war, dank des eingeschalteten Aufnahmegeräts konnte ich aber den essenziellen Teil rekonstruieren. Dass ein Kater die Arbeitsleistung fördern kann, glaubt sie nicht. „Aus medizinischer Sicht ist das Quatsch."

Was ich aber immer wieder merke ist, dass so ein zarter Kater besonders an freien Tagen und für kreatives, nicht-lineares Arbeiten eben auch sehr gut tun kann. Der Kater macht mein Hirn irre und deswegen denke ich Dinge, die ich so nicht denken würde, ich mache die besten Witze, die ich dann mir selber erzählen muss, weil ich keinen Menschen sehen will. Wenn sich über die eigene Welt ein sanfter, post-alkoholischer Flaum aus Langsamkeit legt, kann man viel besser abschalten, als wenn man sich nüchtern wirklich über alles genaue Gedanken macht und seine eigenen Ideen sofort wieder verwirft. Und weil ein Kater die Verspannungen des eigenen Alltags durch ein Gefühl von Trägheit überdeckt, entfesselt gerade der leicht veränderte Bewusstseinszustand manchmal ungeahnte Ideen, die man sonst an sich nicht kennt—die Perspektive zu wechseln war noch nie verkehrt. Gib dem Körper was zu tun und dein Kopf kann mit etwas Glück freier werden, auch wenn er ordentlich dabei dröhnt. Und klar, ab einem gewissen Schmerzlevel ist es dann auch wieder mit dem Um-die-Ecke-Denken vorbei.

Weniger trinken geht aber auch nicht. Das würde Cliff ja wenig bringen.