Was mir mein Aufenthalt auf einer Hare Krishna-Farm über Käfer und Kapitalismus beigebracht hat

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Argentinien

Was mir mein Aufenthalt auf einer Hare Krishna-Farm über Käfer und Kapitalismus beigebracht hat

Unweigerlich stellte ich mir Fragen wie: Wieso ist mein Haferbrei braun? und Was ist dieses matschige Zeug in meinen fleischlosen Pattys? Am Ende meines Aufenthaltes fühlte ich mich wie ein Trottel.

Eine Mischung aus hochgeschraubten Erwartungen, Langeweile und Neugier brachte mich dazu, während meiner Schulzeit einen Hare Krishna-Tempel in Laguna Beach in Kalifornien zu besuchen. Jeden Sonntag Abend aßen meine Freunde und ich riesige Portionen Curry, lernten etwas über Mantras und Meditationsperlen und unterhielten uns angeregt mit dem spirituellen Führer des Tempels, dem ehemaligen Drogenabhängigen Touka.

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Kürzlich besuchte ich, ausgestattet mit rudimentären Kenntnissen über ihren Glauben und ihre Rituale—also Auferstehung, Nirvana und Veganismus—, eine Hare Krishna-Kommune in Argentinien. Die Entscheidung traf ich eigentlich weniger bewusst. Ich war nämlich auf der Suche nach einem Yoga Retreat in der Nähe von Buenos Aires und realisierte erst, als ich im Eco Yoga Park ankam, dass es sich um einen Aufenthaltsort für Hare Krishnas handelte.

An meinem ersten Tag wurde ich gleich von einer Horde Straßenhunde und einer Gruppe von Hare Krishna-Praktizierender begrüßt und ich ließ mich mit naivem—man könnte sagen blindem—Optimismus auf die Erfahrung ein. Ein Tempel in Eierform, der mit den „Om"-Buchstaben verziert war, enthielt stapelweise Bücher mit Titeln wie The Nature of Existence. Die Frauen trugen mönchartiges Gewand und der Großteil der Männer war, abgesehen von einem kleinen Pferdeschwanz, rasiert. Mein inneres Hare Krishna-Radar regte sich vor Anerkennung.

Alle Fotos von der Autorin

Auf der Website des Eco Yoga Park fehlen die Wörter Hare und Krishna komplett. Wäre die Internetpräsenz nicht so stark—YouTube-Kanal und Twitter-Account inklusive—hätte ich angenommen, dass es sich um einen unabsichtlichen Fehler handelte, aber die regelmäßig aktualisierten Veranstaltungen und hochgeladenen Fotos ließen anderes vermuten. Schon bald war ich auf dem Weg zu ihrem Lager unweit der kleinen Stadt General Rodríguez.

Ein flüchtiger Blick auf die Website mit schönen Landschaftsfotos vermittelt einem das Gefühl, dass es sich hier um die Art von Umgebung handelt, in der man sich selbst findet. Wenn man jedoch genauer hinschaut, erkennt man, dass die Formulierungen verdächtig vage gehalten sind und zur Übertreibung neigen: Es handelt sich um ein Erlebnis, das „dich vor Freude und Enthusiasmus strahlen lässt", wo das Essen „sehr gesund und lecker zubereitet" ist und, mein Favorit, das Wort „rage" [Wut] steht an der Stelle von „range" [Bandbreite]. Im Nachhinein erscheint mir dieser letzte Fehler wie eine Vorahnung auf meine Erfahrung.

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Was ich vor Ort erlebte, war im Grunde eine religiöse Gemeinschaft, die von den Erzeugnissen einer Biofarm lebt, die wiederum von ausländischen Freiwilligen abhängig ist—die in 4- bis 5-Stunden Schichten anstrengende Arbeiten verrichten. Bald schon war ich eine dieser Freiwilligen, die Dreck schaufelten, Unkraut jäteten und den Kompost umsetzten. Gewöhnliche Farmarbeiten eben wie beim WOOFing, nur mit dicken Preisschild.

Die Charaktere, die dort lebten, waren alle sehr unterschiedlich: Maria, die bolivianische Farmarbeiterin und die Chefin des Gartens, die mir beibrachte, dass „alle Männer Lügner sind"; Alon, ein iranisch-israelischer Expat, der in einem Baumhaus lebt und sich in Südamerika Alonso nennt; Nimai und Hari, deren kolumbianische und brasilianische Wurzeln ihre indischen Namen sehr unglaubwürdig machen; Mattias und Cielo, ein argentinisches Paar, das all ihr Hab und Gut verkaufte, um ökologische Dörfer auf der ganzen Welt zu bereisen; Swami, ein spiritueller Meister, der coole Handtattoos hat und Fred Armisen erstaunlich ähnlich sah; und wir, eine Gruppe Reisender Mitte 20 auf der Suche nach diesem schwer definierbaren Etwas, nach dem man während drei Monate langen Backpacker-Trips strebt.

Anstatt bei diesem Abenteuer unseren Geist zu stillen, machten wir uns unsere Rücken kaputt und statt auf Yoga lag der Schwerpunkt auf Arbeit. Was ich als Abenteuer definierte, reduzierte sich schon bald auf einen fünfminütigen Spaziergang zur benachbarten Milchfarm. Wir Freiwillige lechzten nach Milch und brachen unseren Veganismusschwur. Heimlich gingen wir zu der Farm hinüber und schmuggelten verbotene Waren ins Hare Krishna-Lager. Jedes Mal, wenn wir uns nach mehr Milchprodukten sehnten, stellten wir uns auf die Wiese mit dem Vieh und ließen unsere Glasflaschen klirren—Patricia, unsere Laktoseerlöserin tauchte dann auf. Was wir heute wollten, fragte sie uns: Frischen Joghurt? Milch? Käse? Dulce de leche? Wir sagten immer zu allem ja und rannten zurück zu unseren Hütten, ganz hibbelig vor Aufregung und Vorfreude auf das Zeug.

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Es dauerte ganze drei Tage, bis ich realisierte, dass ich der mühseligen Gartenarbeit durch meine Mithilfe in der Küche entgehen konnte. Obwohl sich die Aufgaben in der Küche hauptsächlich auf stapelweise Geschirr abwaschen und Mittagessen zubereiten (während man Schwärme von Fliegen abwehren musste) beschränkte, machte es mir Spaß.

In der Hare Krishna-Küche stellte ich mir unweigerlich fragen wie: Wieso ist mein Haferbrei braun? und Was ist dieses matschige Zeug in meinen fleischlosen Pattys? Die Antworten lauteten: Carob, ein veganes Ersatzprodukt für Schokolade; und Wochen alte Pasta, klein geschnitten und angebraten.

Die Mahlzeiten im Eco Yoga Park waren kreativ und zeugten von einer innovativen Verwendung der im Garten angebauten Zutaten—Kohl, Spinat, Blumenkohl, Aubergine und Basilikum, neben einigen anderen. Wir ernteten Kürbis und pürierten ihn zu einer Sauce, wir zupften Kräuter und ließen sie in einem Hexentrunk a.k.a. Tee ziehen.

Während dem Kochen groovten wir zu Reggae- oder HipHop-Liedern mit religiösen Texten: Hare Krishna, Hare Krishna / Krishna Hare, Krishna Hare / Hare Rama, Hare Rama / Rama Hare, Rama Hare. Wir sangen Gebete, reinigten uns selbst, indem wir unsere Münder und Hände wuschen und baten die, die am jeweiligen Tag das Essen zubereiteten, uns in die Küche zu lassen. Wir hackten Berge von Salat klein, bis unsere Finger taub waren und schnitten mit beeindruckendem Geschick schimmlige Stellen von Brotlaiben ab. Auf den Feldern fanden wir Frösche vergraben unter Kürbisbeeten, aber in der Küche fanden wir Raupen, die sich zwischen Spinatblättern krümmten. Es gab immer etwas Neues zu entdecken, aber damit einhergehend kam die ungewollte, offensichtliche Wahrheit ans Tageslicht: dass in Bioprodukten fast immer Ungeziefer steckte und dass unsere Mahlzeiten ziemlich viel davon enthielten.

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Ich war keine überzeugte Konvertierte—immerhin war das nicht meine erste Erfahrung mit Hare Krishna—, aber ich lernte während meines Aufenthaltes ein paar wertvolle kulinarische Lektionen. Hier ist eine Liste meiner Erkenntnisse:

  • Kuchen isst man am besten zum Frühstück.
  • Altes Brot kann man am besten als Salatcroutons verwerten.
  • Überreife Bananen und fast verrottete Äpfel können noch gerettet werden, indem man Lein- oder Chiasamen zu ihrer Schale gibt und sie anbrät, damit sie knusprig werden.
  • Blumenkohl ist völlig unterbewertet.
  • Algarroba heißt Carob und wenn man es im richtigen Verhältnis mit Grieß vermischt, kann man daraus einen leckeren süßen Pudding machen.
  • Es gibt vegane alfajores und sie schmecken großartig.
  • Und zu guter Letzt: Man kann alles mit einem Löffel essen, wenn man nur hungrig genug ist.

Bhakti, ein Bestandteil der Praktik der Hare Krishna-Gemeinschaft, besagt, dass jede Handlung ein Ausdruck der Liebe und ein Dienst, den man den Gottheiten erweist, ist. Während das ziemlich poetisch klingen mag, fiel es mir ziemlich schwer, den spirituellen Zweck jeder unangenehmen Aufgabe, die wir zu erfüllen hatten, zu sehen. Ich beobachtete einen krassen Kontrast zwischen dem monastischen Lebensstil der Hare Krishnas und ihren kapitalistischen Werten, die ihre Farm verkörperte. Indem sie Leute nicht für ihre Arbeit bezahlten, sondern sogar noch Geld von ihnen kassierten, wurde ein ausbeuterisches System geschaffen.

Am Ende meines Aufenthaltes fühlte ich mich wie ein Trottel. Ich hatte dafür bezahlt, und zwar ziemlich viel, um harte Arbeit für eine Gemeinschaft zu leisten, die einschränkend und (verständlicherweise) exklusiv war. Aber wenn ich den Eco Yoga Park nie besuchte hätte, hätte ich vielleicht nie herausgefunden, wie Sanskrit gesprochen von einem Kolumbianer names Hari klingt, oder dass Butternusskürbis mit genügend Zucker wie Marmelade schmeckt, oder dass man eine Attacke von einer Horde Straßenköter nicht mit einem Gebet an eine Gottheit abwehrt, sondern indem man stehen bleibt und sich hinter einem Busch versteckt.