Die „Techno Punk Crew“ macht jetzt Naturwein in Frankreich

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Naturwein

Die „Techno Punk Crew“ macht jetzt Naturwein in Frankreich

Früher wollten sie Anarchie, heute wollen sie sehr guten Wein. Das Collectif Anonyme macht nicht nur alles anders, sonders auch vieles besser.

Hoch auf einem steinigen Weinberg in Banyuls-sur-Mer, ganz in der Nähe der spanisch-französischen Grenze, verkosten ein paar Leute Wein.

„Die Traubenernte in diesem Jahr war einfach fantastisch", meint einer von ihnen.

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Die Wohnwagen des Collectif Anonyme auf dem Weingut in Banyuls-sur-Mer. Foto mit freundlicher Genehmigung von Collectif Anonyme

„Dieser süße Geschmack, einfach wunderbar. Die Trauben hängen länger, dadurch wird er noch konzentrierter", kommentiert ein anderer.

Wenn du dir jetzt rotbäckige, reiche Typen im Anzug vorstellst, wie sie den Wein in ihrem Mund umherspülen und wieder ausspucken, liegst du ziemlich falsch. Diese sieben Weinfanatiker sind allesamt Mitglieder des Collectif Anonyme—einer „Techno Punk Crew". Gerade sitzen sie vor ihren Wohnwagen auf dem Weinberg und verkosten ein paar Jahrgangsweine.

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VIDEO: How-To: Weinflasche mit einem Schuh öffnen

Die Freunde wollen anonym bleiben. Seit 2013 machen sie französischen Naturwein. Wie auch die Punks in den 70ern wollen sie Anarchie—nur dieses Mal in der elitären Weinindustrie Frankreichs.

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Foto von der Autorin

„Wir wollten gemeinsam Wein machen, deshalb sind wir ein ,anonymes Kollektiv'—Collectif Anonyme. Das ist nicht mein oder Julias Wein, es ist unser Wein", erklärt Kris. Der Australier hat die Gruppe zusammen mit Julia aus Deutschland ins Leben gerufen. „Wein ist etwas Soziales. Das ist doch verlogen, wenn Leute sagen: ,Das ist mein Wein'. Wir sind ehrlich. Außerdem war ich schon immer in der Punkszene, also wollte ich auch etwas Politisches machen."

Kris und Julia haben sich in Berlin getroffen, beide waren Teil der linken Szene in den frühen 2000ern. Dann haben sie gemeinsam im berühmten Weinanbaugebiet Languedoc-Roussillon gearbeitet.

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Foto von der Autorin

Aber auch in den Weinbergen dort fühlten sie sich wieder gefangen in einem System, aus dem sie schon in Deutschland ausbrechen wollten. Sie haben wieder für „die da oben" gearbeitet. Wahrscheinlich für einen rotbäckigen Weinspucker.

„Als ich vor vier oder fünf Jahren im Weinbau gearbeitet habe, musste ich die ganze harte Arbeit leisten und dann hat sich jemand anderes hingestellt und gemeint: ,Das hier ist mein Wein!'", meint Kris. „Aber eigentlich haben ich und ein paar andere den Wein gemacht. Der Typ war nur der Schweinekapitalist, der seinen Namen draufgedruckt hat. ,Domaine de bla bla bla' oder so. Wein wird hier über den Namen verkauft."

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Doch wie zeigt man dem Establishment wirklich den Mittelfinger? Indem man einen hammergeilen Wein macht.

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So wird der Wein gepresst. Foto von der Autorin

Nun hätten sie einfach wie alle anderen Wein anbauen und machen können. Aber Kris und Julia fanden, dass sie beim Weinmachen wieder zurück zu den Ursprüngen der Weinherstellung wollten, ein bisschen wie der Minimal-Techno, der aus ihrem zerrödelten Wohnwagen tönt. Dafür nutzen sie über 100 Jahre alte Technologien. Sie machen ihren ihren Wein aus Bio-Trauben und er enthält nur wenig Sulfate: ein Naturwein eben.

„Wein ist nur vergorener Traubensaft", meint Kris.

Klingt erstmal logisch, aber dann fällt einem ein, was in kommerziell hergestellt Weinen so alles herumschwimmt:

„Glycerin, synthetische Chemikalien, Zusatzstoffe …", fügt er noch hinzu. Davon will man eigentlich kein zweites Glas.

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Die Presse wird durch ein Fahrrad angetrieben. Foto von der Autorin

Beim Anbau setzen sie keine synthetischen Chemikalien oder Pestizide ein, sie pflücken die Trauben per Hand, pressen sie in einer Presse, die mit einem Fahrrad betrieben wird, und lassen den Saft in Holzfässern gären: Der Wein von Collectif Anonyme ist komplett handgemacht.

Zwischen drei und zwanzig Leute arbeiten hier je nach Jahreszeit. Zu ihnen gehört auch Künstlerin Haida, die auch ein paar der Etiketten entworfen hat. Boris ist Promoter und zufälligerweise auch der amtierende österreichische Meister im Luftgitarrespielen. Gemeinsam produzieren sie 13 verschiedene Weine. Ziel ist es, dieses Jahr insgesamt 14.000 Flaschen abzufüllen—alles in Handarbeit.

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Foto von der Autorin

Collectif Anonyme macht verschiedene Weine: Es gibt den starken XTRMNTR aus Mourvèdre und Grenache Noir. Dann gibt es noch den Beau Oui comme Bowie, eine Anspielung an einen von Serge Gainsbourg geschriebenen Song. Der Rosé Chemin F ist kein Vergleich mit dem zuckersüßen Gesöff, das wir sonst trinken. Und so, wie die Flaschen gestaltet sind, stellt man sich die ein oder andere sicher ins Regal.

„Wenn man gute Trauben hat, kann man ganz einfach guten Wein machen. Es ist ein ganzer Prozess", meint Kris. „Wenn man die Reben auf dem Feld richtig zieht, sind schon 90 Prozent der Arbeit getan. Der meiner Meinung nach beste Wein wird in Eichenfässern mazeriert, gegärt und dann gelagert. Für mich ist Holz ganz entscheidend beim Wein."

Das Collectif hat seinen Weinkeller im kleinen Dorf Port Vendres an der französischen Mittelmeerküste. Während sie an der alten Weinpresse werkeln und imHintergrund Adam Beyer läuft, gehen ein paar Einheimische ganz langsam vorbei und gaffen die selbst ernannten Punks mit großen Augen an. Aber in der Region und darüber hinaus kommt der Wein gut an.

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Foto von der Autorin

„Aus der Weinwirtfschaft hatten wir extrem positives Feedback", erzählt Kris. „Ich glaube, viele Leute hier hielten uns für verrückt, weil sie unser Aussehen, unsere Art zu leben oder unsere Musik nicht verstanden."

Händler aus Deutschland und Belgien reißen dem Collectif den Wein förmlich aus den Hände, Touristen aus England kommen zu Verkostungen vorbei. Aber nicht jeder gönnt ihnen den Erfolg: Ihnen wird damit gedroht, ihr Weingut verlassen zu müssen.

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Das Collectif Anonyme gestaltet alle Etiketten selbst. Foto von der Autorin

„Der Bürgermeister hat eine Kampagne ins Leben gerufen, damit Banyuls wieder,sauber' wird und jetzt versuchen sie uns vom Grundstück zu vertreiben. Wir glauben aber, dass sie nur Vorurteile gegenüber unserer alternativen Lebensweise haben", meint Kris. „Wir haben einfach andere Vorstellungen. Er will, dass alles perfekt ist, ihn stört es, wie es bei uns aussieht. Man versucht, diese Gegend zu gentrifizieren, damit daraus eine zweite Côte-d'Azur wird. Viele Leute leben so wie wir. Jetzt wird sich etwas ändern.

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Das Kollektiv bereitet sich auf einen Rechtsstreit vor. Sie plädieren auf ihr Recht als Landwirte auf ihrem Grundstück auch leben zu dürfen.

„Was wir da auf den Weinbergen machen, ist wirklich schön und interessant. Dafür werden wir kämpfen", meint Kris. „Verrückt: Da kauft man ein Grundstück und dann kann man es nicht nutzen."

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Das Logo des Collectif Anonyme: ein Korkenzieher in Form eines großen A wie Anarchie oder anonym

Was also als ein Punk-Projekt gegen das Wein-Establishmentbegann, könnte jetzt das System auf ganz andere Weise kaputt machen. Passenderweise ist das Logo des Kollektivs ein Korkenzieher in der Form eines großen A—wie Anarchie und anonym.

Der drohende Rechtsstreit ging ihnen zuerst „auf die Nerven", meint Kris. „Aber es ist auch wichtig, dass man dafür kämpft. Deshalb haben wir das Projekt ursprünglich doch gemacht. Wenn wir keinem auf die Füße treten oder ans Bein pinkeln würden, wären wir heute nicht hier."