Weshalb das beste Restaurant der Welt mit giftigen Fischen experimentiert

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Mexiko

Weshalb das beste Restaurant der Welt mit giftigen Fischen experimentiert

Die stacheligen Feuerfische sehen ziemlich beeindruckend aus. Doch schmecken sie auch gut genug für das neue Noma-Pop-up?
KT
Übersetzt von Klaus Thymann

Als der dänische Fotograf Klaus Thymann das erste Mal einem Feuerfisch in freier Wildbahn begegnete, war er begeistert, wie furchtlos der Fisch war. Klaus begleitete einen Fischer beim Tauchen an der mexikanischen Küste und war zunächst schockiert, wie ausgestorben das Korallenriff scheinbar war. Doch schon bald sahen sie die flatternden Flossen des Feuerfischs mit seinen typischen rot-weißen Streifen. „Er schwebte einfach bewegungslos im Wasser, ohne sich zu bewegen", erzählt Klaus. „Kein anderes Tier isst sie, also müssen sie keine Angst haben."

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Feuerfische haben keine Fressfeinde – abgesehen von ein paar Menschen, die versuchen, die katastrophalen Umweltauswirkungen durch die Fische einzudämmen, indem sie sie kulinarisch verwenden.

Nur wenige Sekunden später hatte der Taucher den Fisch aufgespießt, innerhalb einer guten Stunde hatte er vier oder fünf weitere drauf. „Als wir fertig waren, sah das Ganze aus wie ein Grillspieß aus Fischen", erinnert sich Klaus.

Die Fische haben deshalb so wenig Angst, weil sie an den Flossen am Rücken, Bauch und, wie charmant, an ihrem After lange, mit Gift gefüllte Stacheln besitzen. Das Gift ist zwar nicht tödlich und auch nicht von der Klasse eines Kugelfischs, aber die Stacheln tun so dermaßen weh, dass du dir wünschst, tot zu sein. Doch Feuerfische sind essbar – und relativ unaufgeregt: Sie schmecken so mild, dass das Fleisch die Aromen anderer Zutaten aufnimmt.

Aber die Fischer haben es nicht auf die Tiere abgesehen, weil sie ungefährlich sind oder auch als das Tofu der Ozeane bezeichnet werden. Auch Klaus Thymann hat den Feuerfisch nicht deshalb fotografiert. Und ein bekanntes Restaurant wie das Noma aus Copenhagen würde ihn auch nicht nur deshalb darüber nachdenken, den Fisch auf die Karte für sein Pop-up in Tulum ab dem 12. April zu nehmen.

Der wahre Grund für all das: Es wird immer klarer, dass man das Ökosystem des Atlantischen Ozeans am besten retten kann, indem man die Feuerfische einfach isst.

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Feuerfische stammen eigentlich aus dem Indopazifik, doch irgendwie sind sie im Atlantik eingefallen. Keiner weiß so richtig, wie sie hierher gekommen sind – Wissenschaftler vermuten am ehesten, dass gelangweilte Aquariumbesitzer aus Florida ihren einstigen Lieblingsfisch irgendwann im Ozean entsorgt haben. Mitte der Nullerjahre wurde die invasive Spezies zu einer echten Bedrohung in der Karibik, den Bahamas und bis hin zur US-Ostküste in North Carolina. Einige Exemplare wurden sogar schon in New York oder in São Paolo gesichtet.

Das Problem: Sie vermehren sich extrem schnell. Ein Weibchen kann alle vier Tage 30.000 Eier legen, das macht pro Jahr über zwei Millionen Eier. Und das ganze Paaren macht das Weibchen hungrig. Die Fische haben einen unbändigen Appetit und keine natürlichen Fressfeinde, also essen sie alles, worauf sie Lust haben – Zackenbarsche, Schnapperfische, Garnelen, Krabben, Langusten, Oktopus und Seepferdchen, insgesamt 70 verschiedene Arten. Und davon viel: Ein durchschnittlicher Feuerfisch kann das 30-Fache seines Magenvolumens verspeisen. Für den Feuerfisch ist der Atlantik also sozusagen ein 24-Stunden-All-you-can-eat-Restaurant.

Das sind keine guten Nachrichten für das ökologische Gleichgewicht des Ozeans. Eine Studie hat gezeigt, dass in den Bahamas durch den Feuerfisch die Bestände von 42 Arten in nur zwei Jahren um 65 Prozent zurückgegangen sind. „Ich wusste, was der Fisch in anderen Regionen angerichtet hat", meint Olmo Torres-Talamonte. „Als die Fischer die ersten Exemplare in Tulum sichteten, wussten wir, dass wir was unternehmen müssen."

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Olmo Torres-Talamonte ist CEO und Gründer von Razonatura, einer NGO, die sich für Nachhaltigkeit und Naturschutz einsetzt. Zusammen mit seinen Kollegen entschied er, dass sie den Feuerfisch nur daran hindern könnten, andere Arten aufzuessen und damit das ökologische Gleichgewicht zu zerstören, wenn sie ihn zuerst essen würden. Der Feuerfisch hat zwar keine natürlichen Fressfreinde, aber vielleicht könnten hungrige Restaurantbesucher diese Rolle übernehmen.

Um das zu schaffen, mussten sie die Menschen mit Informationen über den Fisch versorgen. Weil sie schon vorher mit Fischern zusammengearbeitet hatten, begannen sie genau hier und brachten den Tauchern bei, wie sie den „herausstechenden" Fisch sicher fangen könnten. Dafür müssen die Taucher geübt mit dem Spieß sein, stichfeste Handschuhe und Behälter haben. „Wir helfen auch dabei, einen Markt für den Fisch zu schaffen, damit die Fischer keine Arten mehr fangen, die schon überfischt sind, sondern stattdessen diese invasive Art."

Um einen neuen Markt zu erschaffen, mussten sie Kontakt zu den Restaurants und Köchen in Tulum, aber auch zu den Verbrauchern herstellen. Razonatura hat zum Beispiel mit Künstlern kollaboriert, um den beeindruckenden Fisch der Öffentlichkeit zu präsentieren, sie veröffentlichen Rezepte und veranstalten Kochkurse, damit auch Hobbyköche den Fisch zubereiten können. Und sie helfen kleinen Fischergemeinden Zugang zu größeren Märkten wie dem amerikanischen zu bekommen.

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Doch Rozanatura kämpft nicht allein. Praktisch überall, wo diese kleinen Biester auftauchten, hat man sich dazu entschieden, sie einfach zu essen. In New York serviert Ryan Chadwick die Fische nicht nur im Norman's Cay, sondern beliefert auch andere Restaurants damit. In Belize wurde ein Restaurant sogar nach dem Fisch benannt. Lionfish, wie der Feuerfisch im Englischen heißt, ist hier die Zutat für ihren „weltberühmten" Taco. In Kolumbien serviert Jorge Rausch den Feuerfisch in seinem renommierten Restaurant Criterion in Bogotá – er hat sogar ein Kochbuch mit Feuerfisch-Rezepten veröffentlicht. Und Olmo Torres-Talamonte bekommt ständig Anfragen aus Südkalifornien: „In L.A. ist Feuerfisch mittlerweile irgendwie trendy."

Gastronomisch gesehen gibt es wohl keinen wichtigeren Trendsetter als das Noma in Kopenhagen. Dass das Restaurant jetzt ein Pop-up in Tulum startet, ist also eine einzigartige Gelegenheit, sich für ein Verspeisen der Fische und damit die Rettung des Ozeans einzusetzen. Und die umweltbewussten Noma-Köche wollen gern helfen. Es gibt nur ein Problem.

„Der schmeckt einfach nicht nach viel", meint Thomas Frebel, der sozusagen für Forschung und Entwicklung beim Noma zuständig ist. „Das hat uns nicht wirklich umgehauen. Königskrabben gehören auch zu den invasiven Arten, aber die sind köstlich. Feuerfische…" Er macht eine Pause. „Wir dachten, vielleicht können wir daraus was für unser Team kochen."

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Olmo Torres-Talamonte lässt sich jedoch nicht entmutigen. Er gibt zwar zu, dass der Geschmack des Feuerfisches vielleicht nicht „spektakulär genug für ein feines Restaurant ist", aber sein milder Geschmack mache ihn perfekt für Curry, Ceviche und traditionelle mexikanische Eintöpfe, wo es vor allem andere Kräuter und Gewürze für das Aroma sorgen. Außerdem enthält er viel Eiweiß und ist umweltfreundlicher als Fisch aus Aufzucht. „Und dazu kommt eine beeindruckende Geschichte drumherum, dass wir durch das Essen der Fische die Zerstörung der Korallenriffe stoppen wollen", meint Torres-Talamonte. „Und eine gute Geschichte gibt noch mal extra Würze."

Da hat er Recht. Am 24. März hat die Geschichte des Feuerfischs noch einmal ordentlich Auftrieb bekommen, als eine kleine Besucherin von Tulum ein Instagram-Video hochgeladen hat. Das war keine geringere als die neunjährige Tochter Arwen von Koch René Redzepi. Darunter schrieb sie: „Fisch vom #nomamexico.


Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Dänisch bei MUNCHIES Dänemark. Alle Fotos von Klaus Thymann.