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große träume

​Kirgisistan ist Zufluchtsort und Abstellgleis für westafrikanische Fußballer

Westafrikanische Fußballspieler kommen mit großen Träumen nach Kirgisistan. Mittlerweile spielen vier Afrikaner in der kirgisischen Nationalmannschaft. Doch nicht jeder Traum endet so.
Jack Kerr

Als Olawale Sunday Nigeria für ein Probetraining bei einem professionellen russischen Fußballklub verließ, träumte er von einer soliden Karriere. Was er aber nicht voraussehen konnte war, dass er in einem der ärmsten Länder Zentralasiens versacken würde.

Trotzdem raffte Sunday Tausende Dollar zusammen, um einen Agenten zu bezahlen. Ein nigerianischer Landsmann. So fand er sich in Dushanbe, der Hauptstadt von Tadschikistan wieder. In einem Land, das sich im Norden eine Grenze mit Afghanistan teilt. Ja, früher war Tadschikistan ein Teil der Sowjetunion und dennoch sehr weit entfernt von Moskau und genauso weit entfernt war Tadschikistans höchste Spielklasse von den Top-Ligen.

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Doch Sunday wollte seine Situation aushalten. Er war weit entfernt von zu Hause und schämte sich zu sehr, mit leeren Händen zurückzukehren. Also blieb er in Tadschikistan, um später nach Kirgisistan zu gehen. Er wollte dort in der zweiten Liga sein Glück versuchen. Hier sollte er auch den schottischen Auswanderer David McArdle treffen, der als Blogger über Fußball in Zentralasien schreibt.

In Ländern wie Frankreich ist der illegale Handel mit Fußballspielern schon seit Längerem ein Problem, doch McArdle ist sich sicher, dass die Schlepper ihre Aufmerksamkeit Zentralasien gewidmet haben. Er ist der Meinung, dass die Region zwar noch nicht unter Beobachtung von Non-Profit-Organisationen ist, die gegen den illegalen Handel mit Spielern vorgehen, aber am Beispiel von Sunday zeigt sich, dass die Region nicht nur als Hintertür nach Europa genutzt wird, sondern auch als Abstellgleis für Spieler, die über den Tisch gezogen worden sind.

Kürzlich schrieb McArdle, dass „in Hinsicht auf 'Fußball-Sklaverei', neue Routen gewählt werden und diese derzeit beginnen, durch Zentralasien zu gehen." Einer Region, in der „geringe Kenntnis über den Westen herrscht, immer noch viel Korruption grassiert und die behördliche Vollstreckung dieser eher lasch geahndet wird." Dies sei ein Beweis dafür, dass „die Grenzen der Industrie sich erweitern."

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Heute leben und spielen eine Vielzahl von westafrikanischen Spielern in Kirgisistan und viele von ihnen hatten es besser als Sunday. Ein Beispiel ist der Ghanaer Daniel Tagoe. Er zog mit 19 nach Russland und folgte zwei Jahre später seinem Trainer nach Bischkek in die post-sowjetische Hauptstadt Kirgisistans. Acht Jahre später ist er einer von vier Westafrikanern, die für die kirgisische Nationalmannschaft spielen.

Daniel Tagoe. Foto: Jack Kerr

„Na klar bin ich glücklich", sagt Tagoe nach der letzten WM-Qualifikation in dem heruntergekommenen Stadion, in dem das Spiel stattfand. „Meine Mannschaft (Dordoi Bishkek) ist die beste in ganz Kirgisistan. Deshalb spiele ich im besten Stadion und habe eine gute Wohnung. Ich fühle mich hier sehr wohl. Ich fühle mich hier wie zuhause."

„Als ich hier ankam, haben sie mich spielen sehen und mir gesagt, dass sie mich brauchen. Einen Ghanaer in der kirgisischen Nationalmannschaft. Und ich habe mich dafür entschieden für sie zu spielen…natürlich bin ich glücklich."

Nach den Regeln der FIFA darf ein Spieler für eine andere Nationalmannschaft antreten, wenn er fünf Jahre in diesem Land gelebt (und die Staatsbürgerschaft angenommen) hat. Tagoes Mannschaftskamerad ist noch ein weiterer Ghanaer, David Tetteh, und der in Kamerun geborenen Claude Maka Kum. 2013 waren sie die ersten Spieler ohne kirgisische Wurzeln, die für die Nationalmannschaft auf dem Platz antreten durften und ihr Einfluss auf die Mannschaft war enorm.

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Diese Situation ist nicht ungewöhnlich, denn schon lange rekrutieren vor allem die asiatischen Nationalmannschaften regelmäßig Spieler aus anderen Ländern. Man muss sich nur mal die Mannschaften Katars der vergangenen 10 Jahren anschauen.

Aber für Journalisten und den lokalen Medienunternehmer Bektour Iskender ist es ein Zeichen dafür, dass die Kirgisen schlauer mit der Planung ihres Fußball-Geschäftes umgehen.

„2013 schoss David Tetteh alle unserer Tore beim Asian Confederations Challenge Cup", sagt Bektour. „Ich habe keine Ahnung wie er auf Kirgisistan gekommen ist, aber er und die anderen afrikanischen Spieler in der Nationalmannschaft haben unserem Fußball sehr geholfen."

Es geht ein Wandel durch den kirgisischen Fußball, sagt Bektour. Derselbe Wandel, der seit der Revolution 2010 über das Land fegt. Für eine Weile herrschte eine Leere. Während dieser Zeit war der Präsident des kirgisischen Fußballbunds im Exil und schloss damit quasi die Tür seines Büros hinter sich ab. Die Nationalmannschaft spielte ganze drei Spiele in drei Jahren und flog sogar aus der Top 200 der FIFA.

Seitdem wurde Vetternwirtschaft und die alte Sowjet-Mentalität von einer jungen, geschäftstüchtigen Generation mit neuen Ideen abgelöst. Beim Challenge Cup übertraf die Mannschaft dann alle Erwartungen. Doch bei der Weltmeisterschaftsqualifikation am 16. Juni wurde Kirgisistan vom amtierenden Asien-Meister Australien ausgespielt.

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Was ihnen in diesem Spiel fehlte, war das letzte Stück Glück im Abschluss, um den Sieg nach Hause zu bringen. Trotz der 2:1-Niederlage wurden die Spieler der Mannschaft als Helden gefeiert. Noch eine Stunde nach dem Spiel ware Fans zu sehen, die singend und tanzend versuchten Selfies mit den Spielern zu machen.

Aber Tetteh, der aufgrund einer Verletzung nicht an dem Qualifikationsspiel teilnehmen konnte, denkt, dass sich die Fußball-Kultur in Kirgisistan noch immer entwickeln muss, vor allem außerhalb der Hauptstadt. Momentan ist die Sportbegeisterung überwiegend in Sportarten wie dem Wrestling, Gewichtheben und dem Kok-Boru, einem poloähnlichen Spiel, das nicht mit einem Ball gespielt wird, sondern mit einer frisch geschlachteten, kopflosen Ziege zu finden.

„Aber wenigstens wird versucht, die Fußball-Kultur zu verbessern", sagt Tetteh.

Jeder der Afrikaner in Kirgisistan hat seine eigene Geschichte, ob sie kämpfen müssen, oder als Nationalhelden gefeiert werden. Sie alle scheinen aber dasselbe Ziel zu verfolgen: das Land zu verlassen und endlich in einem Land mit einer besseren Liga zu spielen.

„Es ist mein zweites Zuhause, aber wenn ich die Chance bekäme, würde ich auch in einem anderen Land spielen", sagt Tagoe. „Egal wo. Ich muss nur eingeladen werden und das gilt für jedes Land, sogar Kasachstan".