“Ich bin Bürgermeister, nicht Gott”, hat Michael Häupl einmal gesagt. Mit dieser Aussage mag der studierte Biologe und Zoologe, der Wien seit Anbeginn der Zeit 1994 durch gute und schlechte (aber vor allem gute) Zeiten führt, recht haben. Angesichts der Tatsache, dass der 68-Jährige am Landesparteitag am 27. Jänner den Vorsitz der Wiener SPÖ (und im kommenden Mai auch das Bürgermeister-Amt) aus der Hand gibt und wir diesen rundlichen, schnauzbärtigen, meistens amüsant grantig wirkenden Mann nun langsam aber sicher von der politischen Bühne verabschieden müssen, soll eines aber gesagt sein: Er war schon ein verdammt guter Bürgermeister.
Diese Feststellung hat gar nicht so viel mit Häupls sachpolitischen Kompetenzen zu tun – wobei man kein Peter Filzmaier sein muss, um zu dem Schluss zu kommen, dass Wien in den letzten Jahrzehnten von halbwegs fähigen Menschen geführt worden sein muss (die meisten Dinge hier laufen bekanntlich wie geschmiert, vor allem im Vergleich zu anderen Städten dieser Größe). Nein, Michi Häupl war in erster Linie so ein beliebter Bürgermeister, weil er schlicht und ergreifend ein leiwander Mensch ist. Wir Wiener sagen das nicht oft genug laut, weil wir positive Dinge grundsätzlich nicht so gern laut sagen, aber glaubt mir, wir wissen es.
Videos by VICE
30 Jahre ist es her, dass sein Vorgänger, Helmut Zilk, Häupl, der bis dahin auf eine Karriere als Uni-Professor hinarbeitete, in die Stadtpolitik lockte. “Helmut Zilk hat mich damals mit den Worten ‘Deine depperten Frösche kannst du auch später noch zählen’ in die Politik geholt. Das nehme ich ihm heute noch krumm – aber ich habe es nie bereut, die Seiten gewechselt zu haben”, erzählt Häupl darüber. Im Herbst 94 trat er Zilks Nachfolge an – und wie sich herausstellen sollte, stand der neue Bürgermeister seinem Vorgänger in Hinblick auf legendäre Wortspenden in nichts nach.
Es gibt in etwa so viele unvergessliche Häupl-Zitate wie es Einwohner in dieser Stadt gibt. Erinnert ihr euch an das eine Mal, als der Bürgermeister bei der alljährlichen Weinversteigerung im Rathaus gefragt wurde, wie hoch er den jährlichen Pro-Kopf-Konsum an Wein schätzt und seine Antwort lautete: “Man müsste davon ausgehen, dass ich im Schnitt am Tag auf vier G’spritzte komm, das sind zwei Vierteln, dann kann man das mit 365 multiplizieren – das wird schon ungefähr der Schnitt sein”?
Das ist beispielsweise mein persönliches Häupl-Lieblingszitat. Nicht weil er dadurch persönlich bestätigt, dass er 182 Liter Wein im Jahr vernichtet (diese Tatsache finde ich persönlich ja eher bedenklich), sondern weil man so etwas Ehrliches nur selten von einem Spitzenpolitiker zu hören bekommt.
Stichwort Spritzwein: Was Drake für das Internet im Allgemeinen ist, ist Michi Häupl für die Wiener Blase geworden: Ein lebendes, wandelndes Meme. Und “Man bringe den Spritzwein” ist quasi sein persönliches “Hotline Bling”: Der Klassiker, der viel zu oft wiederholt wurde und den man eigentlich nicht mehr hören kann, für den man dem Urheber aber trotzdem Respekt zollen muss, weil er mehr oder weniger gewollt ein unvergessliches Stück Popkultur fabriziert hat.
Man muss bei Gott nicht jedem Häupl-Sager inhaltlich zustimmen (vor allem dann nicht, wenn man als Lehrer arbeitet, es nach 12 Uhr Mittags an einem Dienstag ist und man die restliche Woche noch einen Arsch voll Arbeit zu erledigen hat), um anzuerkennen, dass der Mann an Wiens Spitze den deprimierenden Polit-Diskurs in regelmäßigen Abständen verdammt lustig gemacht hat. Genau so wenig muss man Fan der SPÖ sein, um Michi Häupl dafür zu respektieren, dass er ebenso regelmäßig einer der ganz wenigen war, die den großen Sprüchen der Rechten in diesem Land verbal gewachsen waren.
Denn was Häupl am liebsten und am besten artikuliert hat, war seine Ablehnung gegen die rechten Recken. Immer dann, wenn man das Gefühl bekam, dass der politische Diskurs in Sachen Fremdenfeindlichkeit endgültig aus den Fugen gerät und alle anderen auf der linken Seite des politischen Spektrums nur herumschwurbelten, tauchte dieser forste Mann vor einer Fernsehkamera auf, sagte irgendetwas unfassbar Zitierbares und verpasste jemandem, der es verdient hatte, einen rhetorischen Arschtritt.
Das war einerseits unterhaltsam. Es gab einem als jungem, halbwegs vorwärts gewandtem Einwohner dieser Stadt aber letztendlich immer auch das Gefühl, dass es mit Wien in diesem scheinbar zunehmend intoleranter werdenden Mini-Staat noch eine Bastion gibt, in der menschliche Grundsätze noch etwas zählen (zum Beispiel: Sei kein rassistisches Arschloch), und in der Begriffe wie Weltoffenheit und Toleranz noch keine Schimpfworte sind.
Ein paar Beispiele gefällig, bei denen Häupl den Rechten eine verbale Watschn verpasst hat? Here you go:
“Strache ist ein Loser und wir wollen Loser nicht.”
“Die Identitären gehören verboten. Das ist eine neofaschistische Organisation.“
“Ihr könnt einen von diesen Blödeln wählen, aber ihr müsst wissen, was ihr tut.”
“So etwas Dummes habe ich noch nie gehört.” (über Sebastian Kurz’ Aussage, Wiener würden überlegen, wegen Flüchtlingen in der Stadt wegzuziehen)
“Nehmen wir noch länger hin, dass Antisemitismus und Rassismus zur Normalität werden?”
“Na super. Ich hab schon eine bessere Verarsche gehört.” (über Sebastian Kurz’ Wahlprogramm)
“Das Einzige, was ich noch nicht gehört habe, ist, dass er Erzbischof werden will, aber vielleicht kommt das auch noch.” (über Heinz-Christian Strache)
Eigentlich hat Häupl seinen Dauerrivalen, die FPÖ, über weite Stecken mit den eigenen Waffen geschlagen (oder zumindest auf Abstand gehalten): Einer unglaublich großen Goschn. Nur hatte er es dabei nicht nötig, nach unten zu treten. Und während es bei der FPÖ immer wirkte, als würde Herbert Kickl Tag und Nacht in irgendeinem Hinterzimmer der Parteizentrale brüten, um möglichst markige (und oft denkbar rassistische) Sprüche für die Posterboys der Freiheitlichen zu schreiben, schienen Michael Häupl die Sager einfach nebenbei einzufallen.
Gut möglich, dass seine Standhaftigkeit bei diesem Thema auch ein Resultat der Tatsache ist, dass er rechte Kreise aus jungen Tagen auch von innen kennt: Häupl war als Jugendlicher selbst Mitglied der schlagenden Schülerverbindung Jungmannschaft Kremser Mittelschüler Rugia Krems, bevor er einen ideologischen Sinneswandel durchlebte und in seiner Studentenzeit dem Verband Sozialistischer Studenten beitrat.
An dieser Stelle muss man zumindest erwähnen, dass sich Häupls Verdienste natürlich nicht darauf beschränken, Anti-FPÖ sein. Mein Großvater hat mir Wien in den Siebzigern mal so beschrieben: “Um 20 Uhr sind die Gehsteige hochgeklappt worden. Die Stadt war nachts tot.” Man vergisst es leicht, aber dass Wien mittlerweile eine halbwegs lebendige und für junge Menschen attraktive Stadt mit so etwas ähnlichem wie Club- und Jugendkultur ist, auch das ist ein großes Stück weit in der Ära Häupl passiert. 1996 hat er mal verkündet: “Wien darf nicht verwechselbar mit dem Zentralfriedhof werden”. Und dass in Wien heute ein Klima herrscht, das sich nicht nach Friedhof anfühlt, verdanken wir ziemlich sicher teilweise auch ihm.
Es gibt noch einige andere Gründe, aus denen man Michi Häupl vermissen wird. Dass ein einzelner Typ so vielen Wiener Stereotypen auf einmal entsprechen kann, ist ja eigentlich schon eine Leistung für sich. Sind wir gerade ein bisschen sentimental? Vielleicht. Ist die Sentimentalität angesichts der Tatsache, dass Wien seinen Fels in der Brandung verliert, angebracht? Ja, verdammt.
Eines stimmt uns in solch emotionaler Stunde aber hoffnungsvoll: Wenn man mit älteren Wienern redet, erzählen sie oft, dass man sich Anfang der Neunziger nicht vorstellen konnte, dass es jemals wieder so ein Wiener Original wie Helmut Zilk als Bürgermeister geben würde. Vielleicht bekommt ja auch der Michl tatsächlich seinen ebenbürtigen Nachfolger.
In diesem Sinne, Michi Häupl: Danke für all die Zitate, die wir noch unseren Enkelkindern um die Ohren hauen können. Und danke auch für den Rest.