“Es war wie Liebe auf den ersten Blick”, sagt Mikkel Hørlyck über seine erste Begegnung mit Jørgen Pedersen 2016. Mikkel war damals als Fotostudent im Hafen der dänischen Stadt Aarhus auf der Suche nach einem Motiv für ein Projekt, als er Jørgen traf.
“Er sprach mich in seinem sehr starken und lebendigen Akzent an: ‘Du hast ein 35mm und ein 50mm Objektiv. Früher hätte man dich als Pressefotograf bezeichnet, heute sagt man eher Fotojournalist oder?’”, erzählt der heute 32 Jahre alte Mikkel von seiner ersten Begegnung mit Jørgen. “Dabei schaute er mir direkt in die Augen, ich war beeindruckt.”
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Mikkel lud Jørgen zu sich nach Hause ein, um gemeinsam Musik zu hören und zu quatschen. Die beiden verstanden sich schnell und Mikkel fotografierte ihn weiter, auch lange, nachdem sein Uniprojekt beendet war. “Im Laufe der folgenden sechs Jahre sahen wir uns ziemlich regelmäßig”, sagt Mikkel. “Er war so intelligent, witzig und sehr an der Welt um ihn herum interessiert.”
Jørgen kämpfte 40 Jahre lang mit einer Heroinsucht. In den 1980ern handelten er und sein Bruder Ole sogar mit der Droge. Sie besorgten den Stoff in den Niederlanden und schmuggelten ihn nach Dänemark. Trotz seines starken Drogenkonsums und zahlreicher Krankheiten führte Jørgen ein ziemlich langes Leben. Das verdankte er nicht zuletzt auch dem dänischen Gesundheitssystem.
2012 führte das Land Drogenkonsumräume ein, in denen Menschen unter medizinischer Aufsicht Drogen spritzen können. Eine 2016 durchgeführte Umfrage unter den Patientinnen und Patienten dieser Kliniken ergab, dass sie generell mit den Einrichtungen zufrieden sind und sich dort akzeptiert fühlen.
Jørgen war Patient in einem solchen Konsumraum und bekam dort täglich zwei Dosen Heroin verabreicht, außerdem half man ihm bei der Bewältigung von Alltagsproblemen. “Er hatte seine eigene Wohnung und, wenn er krank war, bekam er finanzielle Unterstützung”, sagt Mikkel. “Das längerfristige Ziel war, Jørgen und den anderen Patienten die Gelegenheit zu geben, von den Drogen loszukommen.”
Leider war Jørgen weit davon entfernt. Neben seinen beiden Dosen, die er unter Aufsicht im Konsumraum bekam, spritzte er sich am Tag noch fünf bis zehn weitere. Im September 2021 starb er schließlich an den Folgen von Leberkrebs. Er hatte sich fest vorgenommen, seine Mutter zu überleben. Sie hatte bereits ihren anderen Sohn Ole an Drogen verloren. Sie starb sechs Wochen nach Jørgen.
“Es war ein intensiver Prozess, aber auch schön anzusehen, weil unsere Beziehung so stark war”, sagt Mikkel. “Er hatte auch ein inniges Verhältnis zu seiner Mutter und zu Brigitte, einer Freundin, mit der er 36 Jahre lang Kontakt gehalten hatte.”
In vielerlei Hinsicht hätte Jørgen eigentlich schon viel früher sterben müssen. “Er hat den Tod viele Male ausgetrickst”, sagt Mikkel und erinnert sich an die Intelligenz und Anpassungsfähigkeit seines Freundes. “Aber er hat es nicht allein getan. Die Ärzte, Pflegerinnen und andere Menschen haben ihm im Laufe der Jahre sehr geholfen. Sie haben ihn gerettet, wieder und wieder.”
Das Leben eines Heroinsüchtigen fotografisch zu begleiten, hat seine ganz eigenen Herausforderungen. Mikkel versuchte, sie intuitiv zu umschiffen. “Seine Sucht war extrem stark und seine Persönlichkeit extrem sanft”, sagt Mikkel. “Wenn ich Jørgen zwei Tage lang begleiten wollte, bat ich ihn um vier.”
Nach Jørgens Tod stellte Mikkel eine Auswahl von Fotos zusammen, die er im Laufe der Jahre von ihm gemacht hatte. Die daraus entstandene Fotoserie Jørgen, a Mystery (2016-2021) stellt all die Fragen, die Mikkel selbst nie stellen konnte. Wer war Jørgen wirklich? Warum schaffte er es nie, vom Heroin wegzukommen? Warum hing er so sehr am Leben, obwohl er nichts anderes tun konnte, als es zu zerstören?
“Er war eine Art Drogenwissenschaftler, der Sigmund Freud des Rauschs, das Lieblingskind des Teufels”, sagt Mikkel. “Ein Gebildeter, ein Heiliger, ein Extrovertierter – ein durch und durch facettenreicher Charakter.”
Viele verschiedene dänische Medien veröffentlichten Mikkels Fotos und mit jedem Artikel gerieten für den Fotografen neue Teile von Jørgens Leben in den Fokus. Auf diese Weise blieb die Geschichte seines Freundes lebendig, lange, nachdem dieser tot war.
“Ich liebte es, ihn zu fotografieren – von unserem ersten Treffen bis zu unserem letzten”, sagt Mikkel.
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