In Krimis werden Täter oft aufgespürt, weil sich ihr Handy am Tatort automatisch mit einer Funkzelle verbunden hat. Die Kommissarin fragt, wer zur Tatzeit in der Nähe war, schon hat die Kollegin eine Liste mit verdächtigen Nummern parat. Auch in der Realität werden auf diese Weise potentielle Täter gesucht. Fragt sich nur: Was ist mit den Tausenden anderen Menschen, die von der Polizei geortet werden, ohne ein Verbrechen begangen zu haben?
Schließlich sind wir alle, wenn wir uns durch die Stadt bewegen, ständig mit irgendeiner Funkzelle verbunden. Permanent suchen die Handys in unseren Taschen nach Empfang – sofern sie nicht im Flugmodus sind – und sind auf diese Weise von der Polizei theoretisch aufspürbar. Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz bezeichnete diese Ortung in einer Pressemitteilung vom 9. November als “Grundrechtseingriff”. Jetzt wird Berlin als erstes Bundesland in Deutschland Betroffene über die Ortung informieren.
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Wenn du wissen möchtest, ob du im Überwachungssystem der Polizei gelandet bist, musst du aber selbst aktiv werden: Seit heute kannst du deine Telefonnummer im Funkzellenabfragen-Transparenz-System (FTS) registrieren. Wenn die Polizei dein Handy für eine Ermittlung geortet hat, wirst du nach dem Ende des Ermittlungsverfahrens darüber per SMS informiert. Laut netzpolitik.org werden die ersten Nachrichten aber erst im Sommer 2019 erwartet. Offenbar ist der Dienst auch nicht rückwirkend nutzbar.
Die Registrierung beim FTS dauert nur ein paar Sekunden. Zuerst musst du deine Handynummer in ein Formular eintragen, dann die Anmeldung mit einem Code, der dir per SMS gesendet wird, bestätigen: Fertig. 90 Tage lang ist deine Anmeldung gültig. Wenn du auch nach dieser Frist kontaktiert werden möchtest, kannst du dich einfach wieder anmelden, heißt es auf der Website des FTS.
60 Millionen Datensätze in einem Jahr
474 Funkzellenabfragen hat die Polizei laut der Pressemitteilung des Senats für Justiz allein im Jahr 2017 durchgeführt. Grund dafür waren 426 Ermittlungsverfahren. Fast 60 Millionen Datensätze wurden laut netzpolitik.org im Jahr 2017 erfasst, die sich aus Telefondaten, SMS und Datenverbindungen ergeben. Wie viele Berliner davon genau betroffen sind, lässt sich nicht ohne Weiteres berechnen. Schließlich sind in Berlin auch viele Touristen unterwegs. Außerdem sind Bewohner von Stadtteilen mit vielen Verbrechen häufiger betroffen als andere. Dennoch lässt sich schätzen: Millionenfach wurden die Handys von Betroffenen unbemerkt geortet. Wie netzpolitik.org berichtet, hätten Beamte in 2.222 Fällen zudem sogar die Inhaber der Handynummern ermittelt.
Und auch in den Jahren davor dürften zumindest ähnlich viele Menschen von der Abfrage betroffen gewesen sein: 2016 wurde die Funkzellenabfrage laut einer Mitteilung des Berliner Abgeordnetenhauses in 432 Ermittlungen genutzt, im Jahr zuvor waren es 256 Ermittlungen; 2014 waren es 500.
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Der Senatsverwaltung für Justiz zufolge sind die Gründe für diese Abfragen in vielen Fällen schwere Verbrechen wie Mord, Totschlag, Raub und Brandstiftung, aber auch Diebstahl und Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetz, das heißt zum Beispiel: Drogendeals. Doch auch andere Verbrechen wie die Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen, Sexualstraftten und Hochverrat fallen unter den Paragrafen 100g der Strafprozessordnung, der diese Funkzellenabfragen regelt.
Auf eigene Faust darf die Polizei eine solche Funkzellenabfrage übrigens nicht machen. Bevor eine Abfrage gestartet werden kann, muss die Staatsanwaltschaft sie zunächst bei einem Richter beantragen. Ohne das OK eines Richters darf die Abfrage nicht durchgeführt werden. Die Berliner Richter scheinen die Abfragen jedoch meistens zu bewilligen, zumindest 2017 wurde laut dem Abgeordnetenhaus “kein Antrag der Strafverfolgungsbehörden auf Anordnung einer Funkzellenabfrage vom Gericht abgelehnt”.
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