Wir haben uns mit einer evangelischen Pastorin Black Metal-Videos angeschaut

Meine Schwester ist Pastorin und hat mit Heavy Metal nichts am Hut. Von Black Metal ganz zu schweigen. Dieser Umstand kommt bei ihr aber nicht von Berufs wegen. Sie kann mit der Musik einfach nichts anfangen. Konnte sie schon damals nicht, als ich mit meiner Band regelmäßig in unserer Bude geprobt habe, und wohl erst recht nicht mehr, als sie parallel dazu mit Ohrstöpseln an ihrem Theologie-Examen saß.

Dabei ging es wie gesagt aber immer nur um die Musik, die Lautstärke, die Brachialität und vielleicht ein bisschen um das Mackergehabe, das ich mir mit der Jackson-Gitarre (gekauft vom Konfirmationsgeld) gleich mit umgeschnallt hatte. Dass ich teilweise auch Musik gehört habe, die dem gesamten Christentum regelmäßig die Beulenpest an den Hals wünscht, hat meine Schwester dagegen nie gestört. Meine Schwester ist halt cool und auf jeden Fall auch die coolste Pastorin, die ich kenne. Nicht ein einziges Mal hat sie mich in all der Zeit schräg von der Seite angefrömmelt, moralisierender Starrsinn ist ihr fremd. Progressiver kann man als Kirchendienerin wohl kaum unterwegs sein.

Videos by VICE

Black Metal-Bands (jedenfalls viele der alten, skandinavischen Garde) sind da schon weniger fortschrittlich in ihrer Denke. Hier wird seit Ewigkeiten starr an den alten Dogmen festgehalten, neue Bewegungen werden sofort als Hipster-Black-Metal verschrien und in irgendein Vorhöllenfeuer geschmissen.

2016, mehr als 20 Jahre nach Szenemorden und Kirchenverbrennungen und zum 100. Geburtstag von Corpsepaint, ist also die Zeit reif für ein kleines Experiment zur Frage: Kann Black Metal seinen erklärten Erzfeind Kirche überhaupt noch schocken? Am Osterwochenende habe ich mich zwischen Eiersuchen und Kuchenessen mit meiner Pastoren-Schwester zu einer Runde Black Metal-Youtubeschauen hingesetzt.

Für alle, die keinen Plan davon haben: erzähl doch vorab mal kurz, was du den ganzen Tag so machst.
Ich bin Gemeindepastorin. Das heißt, ich beschäftige mich hauptsächlich mit dem Leben innerhalb meiner Gemeinde. Es geht darum, vor Ort die Gemeinschaft zu bestärken und die Menschen im Zusammenleben zu unterstützten. Ich versuche, interessante Gottesdienste zu gestalten, die den Leuten helfen, ihr Leben zu deuten. Dann gibt es natürlich Beerdigungen, Taufen, Hochzeiten—all das.

Wir schauen uns jetzt mal ein paar Black Metal-Videos an. Die meisten stammen von schwedischen und norwegischen Bands, die in den Neunzigern gegründet wurden und die zweite Welle des Black Metal losgetreten haben. Damals wurde es eine Weile richtig finster, Mord und Totschlag in der Szene und brennende Kirchen.
Gabs die wirklich? Das wurde nicht von der norwegischen Kirche inszeniert, weil die die alten Gebäude nicht mehr haben wollten?

Ha! Nein, das war wirklich Brandstiftung. Kein Lügenpresse-Ding.
Aber das gehörte jetzt nicht direkt zur Vermarktung der Musik, oder?

Nein, Vermarktung war damals sowieso nicht gewollt—alles sollte bewusst im Untergrund bleiben. Bands, die später über die klassischen Wege der Musikindustrie gegangen sind, wurden angefeindet. Aber schauen wir doch mal. Das erste Video ist von Gorgoroth aus Bergen. Anfang der Neunziger gegründet, dieses Video ist von 2011.

Jaaa, ok. Jesus am Kreuz … [schaut interessiert, aber ganz und gar nicht schockiert]. Ja, gut, die Bilder versuchen zu schocken. Aber, nun ja, mich langweilt das nach 20 Sekunden ehrlich gesagt. Man hat das alles schon mal gesehen. Keine Ahnung, frag mich doch mal was!

In Polen haben Gorgoroth mal ordentlich Ärger bekommen, weil sie mit dem ganzen Zeug, das man hier im Video sieht, aufgetreten sind. Dort war man damals schon sehr geschockt.
Ja, ist natürlich blutrünstig und die Kreuzigung wird dargestellt. Hier haben wir in übersteigerter Form, was man in christlichen Darstellungen findet, wo oftmals natürlich viel weniger Blut fließt. Diese Mengen an gequälten Leibern, das wird so naturalistisch kaum gezeigt. Zu diesem Video könnte man sagen, dass es die Grausamkeit der christlichen Botschaft hervorhebt. Es wird der Kirche ja auch oft vorgeworfen, dass man das Kreuz mit dem gekreuzigten Jesus anbetet. Aber so ist es ja nicht gemeint. Die Botschaft ist ja eher eine Mahnung, dass dieser grausame Kreuzestod zeigt, wozu Menschen fähig sind. Und nach meiner Interpretation ist das eben genau, was nicht gewollt ist. Vielmehr soll gesagt werden: mit dieser Grausamkeit soll ein Ende sein. Anders kann ich es auch heutzutage gar nicht mehr lesen.

Du arbeitest im städtischen Raum und die Großstadt schockt sowieso nichts mehr. Hast du mal mit Kollegen zu tun gehabt, die eben nicht aus der Stadt, sondern Pastoren auf dem Land sind? Einen älteren Pastor aus der Eiffel könnte so ein Video vielleicht noch eher umhauen als dich, oder?
Hmm, also selbst dort… Ich habe das eher genau andersherum erlebt. Ich kenne beispielsweise einen Pastor in England, der in der Gemeinde von Cambridge regelmäßig eine Goth-Mass, also eine Gothic-Messe abhält, um Jugendliche abzuholen, die sich für dunkle Sachen interessieren. Das hatte darüber hinaus auch noch eine seelsorgerische Komponente, weil es dort in der Szene auch Fälle von Selbstverletzung und so weiter gab—dass man das dann eben auch entsprechend aufnimmt und versucht, andere Ventile für die Jugendlichen zu finden.

Das nächste Video kommt von Dark Funeral aus Schweden. Die gibt es auch seit Anfang der Neunziger. Es ist ganz süß irgendwie, dass die einen so langen Disclaimer davorsetzen, der uns direkt vor der Brutalität im Video warnt. Hey, wir sind voll heftig, aber safety first, Leute!

Voll nett von denen mit dem Disclaimer. Ich glaube auch nicht, dass es immer gut ist, wenn Kinder und Jugendliche in jedem Alter sich sowas ansehen. Ohne dass ich das jetzt moralisch verdamme oder so, nur hat man als Kind die Distanz dazu einfach noch nicht… Ah! Ein Pentagram! Der Teufel!

Läuft dir als Pastorin der Teufel in deiner Arbeit eigentlich überhaupt noch über den Weg? Ist er Thema bei deinen Kirchgängern, oder war er Thema im Studium?
Eher nicht. Aber man kann sich damit natürlich auseinandersetzen, um drüber nachzudenken, was eigentlich dahintersteht. Aber es ist heutzutage schon so, dass man den Teufel nicht predigt, dass man ihn nicht als Person darstellt. Eher würde man über das Böse etwas sagen und das ist schon schwierig, weil allen klar ist, dass diese Zuordnungen von Gut und Böse, diese Schwarzweiß-Malereien nicht mehr zeitgemäß sind. Das ist auch nicht das, was die Gottesdienstbesucher erwarten. Die Menschen sind dankbarer, wenn man differenziert predigt.

Im Video passiert derweil auch nichts mehr wirklich Neues…
Doch, da klebt jetzt überall Blut.

Lass uns noch mal über Norwegen und Schweden als Heimat der bekanntesten Black Metal-Bands sprechen. Ich habe mich früher immer gefragt, warum die Bewegung, aber auch die Radikalität dahinter, ausgerechnet in diesen Ländern so ausgeprägt ist.
In Norwegen gibt es eben auch Regionen, besonders an der Westküste, die von ihrer christlichen Lehre her noch sehr streng sind. Dort gibt es ganz klare moralische Standards—da wird noch mit vielen Verboten gearbeitet. Kein Alkohol, kein Sex vor der Ehe und so weiter. Es gibt dort noch sehr aktive fromme Bewegungen, die in Deutschland lange nicht eine so starke Stimme haben.

Dass der Widerstand aus einer Jugendströmung wie Black Metal groß war, ist dementsprechend wohl auch kein Zufall. Nur dass man sich dem christlichen Konservatismus eben nicht mit linkem Punk, sondern mit Satanismus, Menschenverachtung und der Berufung auf alte nordische und heidnische Werte entgegengestellt hat. Teilweise hat diese Szene ja auch Neonazis angezogen oder hervorgebracht.
Das Leiden des Menschen ist ein zentrales Thema im Christentum. Der leidende Christus steht im Mittelpunkt und es wird die Frage gestellt, wie wir mit dem Leiden und Leiderfahrungen umgehen. Die Schwäche und Bedürftigkeit des Menschen anzuerkennen, war immer Teil der christlichen Theologie. Im Nationalsozialismus war dieser schwache, jüdische Christus dann wirklich nicht gewollt. Denn wenn man sich selbst als machtvoll und hart darstellen will, ist das natürlich ein Bild, mit dem man sich nicht identifizieren möchte.

Sicher ist oder war es dann auch für Neonazis attraktiv, sich einer Szene anzuschließen, die sich auf die alten, starken Götter der nordischen Mythologie, die ja auch historisch alle vor Jesus da waren, beruft. Das Bibelzitat „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig“ ist ein Satz, mit dem der Mensch immer schon Probleme hatte…

Das nächste Video ist mal was anderes. Es kommt von der schwedischen Band Ghost, die zwar satanistische Texte haben, sich vom Stil und Auftreten her aber eher am Siebziger-Rock und einem klassischeren Okkultismus orientieren.

Was ich hier sehe kommt mir wie verdrehter Sacropop vor. Umgedrehtes Kreuz, Priester mit Totenkopfmaske. Hier wird die dunkle Seite Gottes zelebriert—es geht eben nicht um Gottes Sohn, sondern den Sohn Satans. Es ist so eine Art Negativ-Folie von einer strikten Amtskirche mit hochkirchlichen Gewändern und Kopfschmuck und entsprechend negativen Vorzeichen.

Als nächstes haben wir Immortal. Die sind auch schon ewig dabei, haben sich aber nie wirklich selbst als Satanisten bezeichnet. Das fällt eher in die Kategorie Fantasy Dark Metal und dieses Video hat auch eher etwas von Tolkien. Gorgoroth haben sich ja auch nach der Einöde in Mordor aus Herr der Ringe benannt.

Das gefällt mir ganz gut! Sieht ein bisschen aus wie in dem Ronja Räubertochter-Film von Astrid Lindgren. Ja, Tolkien war ja auch Sprachwissenschaftler, mit all den hebräisch klingenden Begriffen. Das hat ja alles auch einen gut markanten Klang bei ihm.

[An dieser Stelle können wir festhalten: die Kirche aka die Schwester schockt gar nichts mehr. Ich frage mich kurz, ob Immortal den Ronja Räubertochter-Kinderfilm wohl kennen …]

Das letzte Video ist auch das visuell aufwendigste und kommt von Behemoth aus Polen.

Das Dreieck könnte für Gott stehen, das Feuer für den brennenden Dornbusch. Aber vielleicht ist es auch anders gemeint. Ok, eine historische Tempelanlage. Und jetzt sehen wir das unschuldige Kind in Weiß und den bösen Wolf. Da denkt man direkt an Rotkäppchen und bei dem Mann mit dem Schaf denke ich sofort an den guten Hirten. In der christlichen Bildsprache ist der gute Hirte der, der das Lamm auf den Schultern trägt und sich um jedes kleine Schäfchen kümmert.

„Blow Your Trumpets Gabriel“ … ?
Gabriel ist ein Erzengel und die Trompeten sind die Trompeten des jüngsten Gerichts. Das ist eine allgemeine Anspielung auf apokalyptische Geschehnisse.

Spielt der Wolf in der Bibel irgendwo eine Rolle? Wäre mir neu.
Nein, der Wolf hat tatsächlich vor allem bei den Brüdern Grimm eine Bedeutung. Aber deren Geschichten sind ja auch schon ewig im christlichen Abendland verbreitet. Oh, gerade lief das Mädchen noch so fröhlich und jetzt erkennt man nicht mehr, ob sie eigentlich vom Wolf verfolgt wird … Ooh, gehörnte Figuren! Und jetzt natürlich die Anspielung auf das letzte Abendmahl. Sie geht in den Tempel und trinkt Blut. Puh, ja, das ist schon sehr gruselig.

Bedeutet es im Christentum irgendwas, seine Augen zu verlieren?
Nein, das ist nur einfach schön eklig.

Kaffee und Kuchen jetzt?
Ja, klingt gut.

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