Unterwegs mit einer Polizeikontrolle auf dem Weg zum Festival

„Führerschein und Fahrzeugpapiere, bitte!” Polizist Rainer* blickt streng durch das Autofenster hinein. Dann: „Bitte aussteigen!” Man wolle nun einen Koordinationstest mit dem Fahrer machen.

Jeder Festivalbesucher kennt sie, jeder hasst sie: Polizeikontrollen auf dem Weg zum Festival. Du willst nach einer sicherlich anstrengenden Fahrt einfach nur noch dein Zelt aufbauen und die Musik genießen. Stattdessen musst du auf den letzten Metern lange in der Autoschlange warten, wirst vielleicht sogar rausgewunken.

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Diese Kontrolle hier findet auf der Zufahrtstraße zu dem kleinen Fuchsbau Festival in Immensen bei Hannover statt. Gerade mal 4.500 Gäste soll die Veranstaltung anziehen. Das Aufgebot der Polizei wirkt da etwas großzügiger ausgelegt. „Das ist eine ganz normale Verkehrskontrolle”, meint Einsatzleiter Sebastian*, während mehr als zwölf Kolleginnen ihrer Arbeit nachgehen. Natürlich kontrolliere man, wenn so viele Menschen anreisen. Auch beim Festival Zytanien, das zwei Wochen später ebenfalls hier stattfindet, übernehmen die Beamten Jahr für Jahr die Begrüßung. Beim Fuchsbau war man ebenfalls im vergangenen Jahr bereits vor Ort. Und jedes Jahr macht die Polizei Drogenfunde. Wie viel genau? Auf Zahlen will sich der Einsatzleiter nicht festlegen, nennt aber niedrige zweistellige Zahlen als ungefähre Angabe.

Der eben von seinem Kollegen angestrebte Koordinationstest, so betont er später, sei freiwillig. Wenn keine Anzeichen auf Drogen- oder Alkoholkonsum hinweisen, könne man weiterfahren—auch ohne den Test gemacht zu haben. Der Fahrer steigt trotzdem aus.

Der Koordinationstest

Zum Anfang soll der Mann die Augen schließen. Nachdem er das einige Sekunden gemacht hat, kommt die nächste Aufgabe: „Folgen Sie mit Ihren Augen dem Stift!” Der Polizist bewegt das Schreibgerät vor dem Gesicht des Fahrers langsam hin und her, hin und her. Nach ein paar Malen er jetzt noch den letzten Teil des Tests durchführen: Beine zusammen, Kopf in den Nacken und wieder die Augen schließen. Dann wird die Zeit gemessen. Wenn 30 Sekunden vorbei sind, soll der Fahrer Stop sagen.

Er gehorcht, macht den Test—und hat fünf Sekunden zu früh aufgehört. Was nun?

„Das ist noch im Rahmen”, sagt der Beamte, „einen schönen Tag noch”. Der Fahrer wünscht zurück und fährt weiter. Was nach sinnlosen Tests klingt, habe einen Sinn, so der Prüfer. Zum Beispiel der letzte Test. Neben dem Zeitempfinden haben die Polizisten noch auf ganz andere Dinge im Blick. „Wir achten auf die Augenlieder, gucken, ob die Gesichtsmuskeln zittern”, sagt er.

Festivalbesucher Max, der als Nächster die Prozedur mitmacht, fragt, was denn genau an dem Koordinationstest „freiwillig” sei. „Hätte ich den Spaß mit dem Zählen verweigert, hätte ich doch einen Pinkeltest machen müssen.” Es scheint etwas so, als würde er diesen definitiv als wesentlich bedrohlicher erachten. Klar, THC ist bei einmaligen Konsum bis zu fünf Tage später, bei Dauerkonsum sogar nach sechs Wochen noch im Urin nachweisbar, MDMA bzw. Ecstasy maximal vier Tage. Wie der NDR einige Tage später berichten wird, versucht wohl auch deshalb einer der Kontrollierten die Polizei mit einer „Penis-Attrappe” und bereits abgefülltem Urin zu überlisten. Allerdings ohne Erfolg. Was viele wie dieser findige Fahrer allerdings nicht wissen: Auch zum Urintest kann einen die Polizei rechtlich nicht verpflichten.

Max verzichtet ganz auf das Pinkeln und macht den Koordinationstest mit. Der bärtige Mittzwanziger zupft etwas an seiner Kleidung herum—jetzt bloß seriös aussehen—, stellt sich vor die Motorhaube des Autos seiner Eltern und zählt eine halbe Minute ab.

Wenn nichts geht, geht es zur Urinprobe

Währenddessen wird die nächste Person rausgewunken. Das gleiche Spiel: Augen zu, dem Stift folgen und 30 Sekunden runterzählen. Dieses Mal allerdings geht der Test nicht reibungslos vonstatten. Es gäbe Anzeichen, dass der Getestete unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehe. Das muss aber nichts bedeuten, so Polizist Rainer. „Das kann auch daran liegen, dass sie schlecht geschlafen haben, viel Kaffee getrunken haben oder ähnliches”. Zur Sicherheit nimmt die Polizei aber eine Urinprobe. „Fünf bis sechs Tropfen sollten es schon mindestens sein”, so die Anweisung des Polizisten.

Der Test ist negativ, der Mann kann weiterfahren. Der Fahrer wirkt entnervt, aber auch erleichtert. „Ich bin immer nervös, wenn ich Cops sehe, selbst wenn ich eigentlich nichts zu befürchten habe”. Seine Beifahrerin ist gelöster: „Eigentlich ist die ganze Nummer doch eine Farce. Noch amüsanter, als die sinnlosen Tests hier, sind aber die Zivibullen die im letzten Jahr über das Gelände stolperten.”

Ein Multi-Urintest für Kokain, Methaphetamin, Cannabinoide, Amphetamin und Opiate

Im Gegensatz zu den langjährigen Undercovereinsätzen wie im nahegelegenen Hamburg, wo Polizistinnen auch mal mit „Liebesbeziehungen” an Informationen der linken Szene zu kommen versuchen, seien die „Zivis” auf dem Fuchsbau Festival eher leicht zu enttarnen gewesen. „Die waren an ihrem Alter und vor allem an ihren Hemden immer gut zu erkennen. Eigentlich sehen die genauso aus wie die Bullen hier—nur ohne Uniform”, so die Beifahrerin.

Den uniformierten Rainer stört das nicht. Er macht weiter. Bei jedem angehaltenen Auto fragt er den Fahrer auch: „Hatten Sie schon einmal mit Drogen zu tun?” So gut wie jeder hätte schon einmal mit Drogen zu tun gehabt, meint er lachend. „Aber es ist ein Unterschied, ob man es vor einer Woche oder vor zehn Jahren gemacht hat.” Wenn der Fahrer so naiv sei, und zugibt, in der letzten Zeit Drogen genommen zu haben, würde dies im Zweifel geahndet.

12 aus 4.500—Was die Kontrollen bringen

Es entsteht eine Art Straßentheater. Die Rollen sind klar verteilt und es scheint ganz natürlich zu sein, dass sich niemand der Beteiligten natürlich verhält oder immer wahrheitsgemäß antwortet.

Bleibt die Frage, ob die Rollen ausgelost oder zugeteilt werden. „Wir haben keine festgelegten Kriterien nach denen wir Leute heraus ziehen”, so der Polizist. „Aber wir haben schon so unsere Erfahrungswerte”, fügte er hinzu. Sein Blick fällt auf das nächste Auto. „Mietwagen sind schon immer etwas verdächtig. Damit wird viel Mist gebaut.”

Ob es auch eine Rolle spielt, dass die beiden Fahrer jung, bärtig und etwas bunt angezogen sind, ist nicht sicher zu sagen. „Also das letzte Mal beim Zytanien-Festival, haben wir auch eine Fünfzigjährige mit Drogen erwischt”, betont der junge Polizist.

Als dann noch zwei berittene Polizistinnen den Kontrollpunkt passieren, drängt sich die Frage auf, ob es wirklich einige wenige Drogenfälle sind, die den ganzen Aufwand rechtfertigen. „Es ist halt schon auch eine etwas konservative Gegend. Die Verwaltung und die Politik will hier vielleicht auch etwas die Leute beschwichtigen”, sagt Anna*, die ebenfalls zum Fuchsbau will. „Normalerweise habe ich aber mit den Kontrollen nie ein Problem, da ich meist mit Freundinnen fahre. Aber, mit meinem Freund, da werde ich immer angehalten”.

Ein paar Tage später kann die Polizei dann doch noch ein offizielles Ergebnis verkünden: „Etwa 400 Fahrer wurden kontrolliert, nur einer hatte zuviel Alkohol getrunken, zwölf standen unter Drogeneinfluss”, schreibt der NDR. Praktisch für die Beamten und ihre Statistiken: Jeder Drogenfund ist bereits ein Instant-Ermittlungserfolg und hilft insgesamt, die Aufklärungsquote des Abschnitts anzuheben. Je höher diese ist, desto besser macht die Polizei schließlich ihre Arbeit.

„Haben sie schon einmal Drogen probiert?” Diese Live-Performance auf dem Asphalt gehört wohl auch deshalb vielleicht schon zum fest Festivalerlebnis.

*alle Namen von der Redaktion geändert

Dieser Artikel in Zusammenarbeit mit Fuchsbau Kontent entstanden. Fuchsbau Kontent ist ein Online-Magazin, in dem das Thema des diesjährigen Festivals „Hitze des Gefechts” aus verschiedenen Perspektiven heraus beleuchtet wird.

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