Im Januar vergangenen Jahres flog die damals 19-jährige Nara* von London zurück in ihre Heimat Irak zur Beerdigung ihrer Großmutter. Dort musste sie dann jedoch feststellen, dass ihre Oma noch quicklebendig war.
Naras Vater hatte ihr eine Falle gestellt. Er sperrte sie in ein Zimmer und verprügelte sie regelmäßig. Nach vier Wochen gelang Nara schließlich die Flucht zurück nach Großbritannien. Danach litt sie an Depressionen, nahm Beruhigungsmittel und ging regelmäßig zur Therapie.
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Aber erst nachdem sie bei einem Freund etwas LSD genommen hatte, war sie in der Lage, sich wirklich mit ihren Erfahrungen emotional auseinanderzusetzen.
Schon in den 50er Jahren hat man LSD erstmals für therapeutische Zwecke eingesetzt. Die Psychiater Humphry Osmond und Abram Hoffer glaubten daran, dass Halluzinogene es den Patienten möglich machen, “ihr Leiden aus einer neuen Perspektive zu betrachten”. Die Forschungen auf diesem Gebiet kamen in den 60ern jedoch zum Stillstand, nachdem Politiker LSD verteufelt hatten. Eine letztes Jahr im Canadian Medical Association Journal veröffentlichte Analyse zeigt allerdings, dass es immer mehr Beweise für die positiven Effekte von Halluzinogenen bei PTBS-, Sucht- und Angststörungs-Therapien gibt.
Ich habe mich mit Nara getroffen, um mit ihr darüber zu reden, wie genau LSD bei ihren traumatischen Erfahrungen geholfen hat.
VICE: Wie genau lief die Entführung durch deinen Vater ab?
Nara: Ich hatte aufgehört zu beten und trug auch keine Kopfbedeckung mehr. Deswegen geriet ich des Öfteren mit meinen Eltern aneinander. Nachdem sie mir erzählt hatten, dass meine Großmutter—der ich sehr nahe stand—gestorben war, sind wir für die angebliche Beerdigung in den Irak geflogen. Dort musste ich dann jedoch feststellen, dass sie gar nicht tot war. Nein, meine Eltern wollten mich einfach nur in unser Heimatland bringen und mich von dort nicht mehr weglassen.
Was genau hat er dir dort angetan?
Mein Vater sperrte mich in ein Zimmer, verprügelte mich dort täglich und verriegelte dann wieder die Tür. Er schämte sich richtig für mich und ließ quasi seinen ganzen Frust an mir aus. Dabei brach er mir auch den linken Arm sowie mehrere Rippen. Meine Familie hielt mich einen Monat gegen meinen Willen im Haus meiner Großmutter fest. Nach vier Tagen durfte ich mich dann zwar auch im Innenhof aufhalten, aber ich stand trotzdem weiter unter Hausarrest. Außerdem hatte ich weder Handy noch Internetzugang.
Wie hast du es dann geschafft zu fliehen?
Ich hatte ein Kindle, auf dem ein Browser installiert war. Ich fand irgendwie ein offenes WLAN-Netzwerk und konnte so meinen Freund in Großbritannien kontaktieren und meine Flucht planen. Er erzählte mir davon, dass die Botschaft von meiner Entführung wusste und auch schon nach mir suchte. Deshalb beschrieb ich ihm erstmal, wie das Haus aussah. Leider konnten die Behörden es trotzdem nicht finden. Eines Tages ging mein Vater dann raus und ich dachte mir einfach: “Jetzt oder nie!” Dabei war ich mir völlig im Klaren darüber, dass ich meine Familie nie mehr wiedersehen würde. Ich fand den Schlüssel für die Hintertür, nahm mir ein Taxi zur Botschaft und die Angestellten dort setzten mich in den Flieger zurück nach Großbritannien.
Was passierte danach?
Ich musste meinen Namen ändern, den Job wechseln und mir neue Ärzte suchen. Den Kontakt zu meiner Familie brach ich wirklich komplett ab. Mein Freund unterstützte mich aber zu 100 Prozent und anfangs dachte ich auch noch, dass ich das Ganze gut wegstecken würde. Mental beschäftigte ich mich nicht wirklich damit. Sechs Monate nach meiner Flucht hatte ich dann einen kleinen Nervenzusammenbruch. Ich wurde immer depressiver und dazu kamen noch Nachtängste, Schlaflosigkeit sowie Symptome ähnlich einer posttraumatischen Belastungsstörung. So bekam ich täglich nur drei Stunden Schlaf. Letztendlich nahm ich mir zwei Monate Urlaub und begann eine Therapie. Da gab man mir dann auch zum ersten Mal Beruhigungsmittel, um mir das Einschlafen zu erleichtern.
Und wie kam dann das LSD ins Spiel?
Bevor mich mein Vater in den Irak lockte, hatte ich die meisten Drogen schon irgendwann mal ausprobiert. Am Anfang war das mit dem LSD auch noch gar keine so gute Idee. Nach meiner Rückkehr nahm ich 245 Mikrogramm und das war zu viel. Ich kam gar nicht mehr klar. Ich fühlte mich total erdrückt und musste direkt Diazepam einwerfen, um den Trip zu beenden und einschlafen zu können. Das Ganze hat meine Depressionen wieder schlimmer werden lassen. Diese eine schlechte Erfahrung brachte mich aber noch lange nicht dazu, LSD zu entsagen.
Du hast es also erneut genommen?
Ja, vergangenen Oktober. Ich befürchtete zwar auch ein wenig, dass wieder das Gleiche passieren würde, aber ich konsumierte nur 200 Mikrogramm. Außerdem hatte ich mich vorher im Internet über LSD-Dosierungen und Traumabehandlung schlau gemacht. Solche Infos sind zwar nur mit Vorsicht zu genießen, aber ich fühlte mich trotzdem besser vorbereitet und ließ deswegen einfach los. Zur Sicherheit waren ja auch Freunde mit dabei. Und so kam es zum Durchbruch.
Was genau ist passiert?
Während des zweiten LSD-Trips offenbarte sich mir, wie ich meine Probleme am besten angehen sollte. Es war so, als würde sich ein Vorhang öffnen. Mir wurde zum ersten Mal klar, was da überhaupt vorgefallen war. Ich hatte an der ganzen Sache keine Schuld. Das LSD zu nehmen und über die Entführung nachzudenken bzw. zu reden, war eigentlich schon fast eine angenehme Erfahrung. So konnte ich mich anderen Dinge auch leichter öffnen. Die Therapie schlug zum Beispiel viel besser an. Für mich war es dann nicht mehr so schwer, mich während der Sitzungen mit meinen Problemen auseinanderzusetzen, weil ich das ja schon mal auf LSD gemacht hatte. Ich konnte viel besser darüber sprechen.
Warum hat LSD deiner Meinung nach eine solche Wirkung?
LSD eröffnet einem neue Perspektiven. Bei anderen Drogen wie etwa MDMA ist das nicht der Fall. Für mich ist LSD eine Art emotionaler Flaschenöffner. Ich musste jedoch erst die richtige Dosis finden—ein Balanceakt zwischen Orientierungslosigkeit und Selbsterkenntnis.
Inzwischen ist knapp ein Jahr vergangen. Wie geht es dir heute?
Nun, meine Therapeutin war nicht gerade glücklich über meinen LSD-Konsum, aber sie fand es auch gut, dass ich so ehrlich zu ihr war. Inzwischen kann ich LSD auch nicht mehr nehmen, um einen positiven Trip zu haben, weil es dann immer gleich total intensiv wird und ich über meine Familie sowie die Misshandlung sprechen muss. Das Thema lässt sich nicht vermeiden. Mir geht es heute immer noch nicht wirklich gut, aber immerhin schon viel besser als noch vor einem Jahr. Ich habe große Fortschritte gemacht und der Auslöser dafür war LSD.
Ich finde, dass man in Bezug auf LSD bei der Trauma-Behandlung mehr forschen sollte. Mir hat die Droge nämlich immens dabei geholfen, mich mit meinen Erlebnissen sowie den Gründen dafür auseinanderzusetzen und darüber hinwegzukommen.
Zwischen dir und deiner Familie herrscht immer noch Funkstille?
Ja, seit Februar letzten Jahres, um genau zu sein. Ich vermisse es sehr, mit meinen beiden jüngeren Schwestern zu reden. Das tut sehr weh, aber ich kann auch nichts dagegen machen. Stattdessen habe ich mir einen großen Freundeskreis aufgebaut. Das ist quasi mein Familienersatz. Ich muss mich aber hier eher bedeckt halten, denn meine Familie hat in Großbritannien ja immer noch Kontakte.
*Name geändert