Am Montag haben unsere Kanzlerin und ihr Vizekanzler im Berliner Gasometer einen „Bürgerdialog” eröffnet. Unter dem Motto „Gut leben in Deutschland—was uns wichtig ist” sind in der ganzen Republik 150 Veranstaltungen geplant, weil man, so die Kanzlerin, „genau hinhören wolle, wenn es um die Prioritäten der Menschen ginge.”
Das Podiumsgespräch mit den beiden Spitzenpolitikern, drei Veranstaltern von Bürgerdialogen und einem Vertreter des wissenschaftlichen Beirats sollte als Auftaktveranstaltung mit Small-Talk-Charme Bürgernähe sowie Kuschelfaktor erhöhen. Kritische Themen wie TTIP oder die Haltung der Bundesregierung bei Datenschutzfragen wurden gestern erst gar nicht angesprochen. Besonders auffällig ist aber, dass die Kanzlerin wohl zu keinem Zeitpunkt eine Frage zur Legalisierung von Cannabis beantworten wird. Und dafür gibt es gute Gründe.
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Die Regierung hat dazugelernt
Dieser Bürgerdialog ist nämlich nicht der erste Versuch der Politik, mit dem Wahlvolk direkt ins Gespräch zu kommen. Und in der Vergangenheit ist die Regierung immer wieder auf die Schnauze gefallen, als sie die Bürger selbst abstimmen ließ, was Gesprächsthema sein sollte: Es wurde nämlich mehr als einmal deutlich, dass die Abstimmenden vor allem über eins reden wollen, nämlich die verkorkste Drogenpolitik.
Nach den letzten beiden Versuche der Kanzlerin, bei denen die meisten Online-Stimmen über den Gesprächsinhalt bestimmen sollten, musste Merkel gleich zweimal Stellung zu Gras beziehen: Sowohl mit dem ersten Platz bei der YouTube-Frage an die Kanzlerin 2011 als auch dem zweiten Rang beim „Dialog über Deutschland” im Jahr darauf konnte der illegale Status von Weed Themen wie den Mindestlohn, Islamhasser oder Sex mit Tieren weit hinter sich lassen. Merkels damalige Antworten waren dann auch weitaus weniger souverän als die vom Internetstrategen Obama im VICE-Interview vor wenigen Wochen. Auch in den USA ist die Regulierung von Gras zumindest in Online-Umfragen regelmäßig ein Topthema.
Hatte Merkel damals wenigstens noch geantwortet, haben Sigmar Gabriels Sozialdemokraten, die Merkels Internet-Ausflüge noch als Verschwendung von Steuergeldern angeprangert hatten, kurz darauf selbst einen Zukunftsdialog initiiert. 2013 wurden Bürgerinnen und Bürger von der SPD-Fraktion im Bundestag aufgerufen, eigene Vorschläge einzureichen und über Ideen anderer abzustimmen. Selbst da war, wer hätte es gedacht, Weed wieder auf Platz eins. Doch anstatt darüber zu diskutieren, hat die SPD das Thema mit den meisten Stimmen kurzerhand ignoriert und aus dem Dialog geworfen.
Im aktuellen Bürgerdialog ist das Auswahlverfahren der eingebrachten Ideen nicht gerade transparent. Wer im Rahmen des sechs Monate dauernden Dialogs gehört werden möchte, muss sich hier anmelden und in zwei Absätzen beschreiben, was sie oder ihn bewegt. Nach welchen Kriterien die Themen, die dann tatsächlich Teil des Dialogs sein werden, ausgewählt werden, ist auf der Homepage von „Gut leben in Deutschland” allerdings nicht nachvollziehbar, denn darum kümmert sich ein von der Regierung ausgewählter „Wissenschaftlicher Beirat”.
Auch eine wie auch immer geartete Abstimmung ist nicht vorgesehen. Entscheiden, was uns Bürger bewegt, darf schlussendlich diese von der Regierung benannte Expertenkommission. Und dass die sich für Gras entscheidet, nur weil das die allermeisten Bürger interessiert, ist wohl ziemlich unwahrscheinlich. Der Postillon hat schon recht, wenn er behauptet, Marihuana sei das einzig wirksames Mittel, um diese Drogenpolitik zu ertragen.