Pokémon-Karten waren ein Elternschreck und die begehrteste Ware auf den Schulhöfen der frühen 2000er Jahre. Ganz weg waren sie nie, aber nun sind sie wieder voll da: als Geldanlage mit rapide steigendem Wert. Im Januar wurde ein Pokémon-Kartenset für 336.000 Euro versteigert.
Aaron, 24-jähriger Wirtschaftsstudent und Pokémon-Händler, besitzt Karten im Wert von 500.000 Euro. Wir haben mit ihm gesprochen.
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VICE: Aaron, wie viel sind deine Karten zusammen wert?
Aaron: Momentan mehr als eine halbe Million. Die genaue Summe weiß ich nicht, ich habe jetzt länger nicht mehr nachgesehen.
Ist das nicht absurd viel Geld?
Ich bin da gewissermaßen reingewachsen. Früher dachte ich noch: “Krass, du gibst 1.000 Euro auf einmal aus.” Aber irgendwann wurden 10.000 Euro für eine Karte ganz normal. Die Preise sind einfach beständig gestiegen. Aber wenn man es sich noch mal vor Augen führt, ist es natürlich absurd. Ich bin Student, und das ist unfassbar viel Geld.
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Wie können Pappkarten so viel wert sein?
Das gilt in erster Linie für die Edition von 1999, den ersten Druckdurchgang. Diese Karten sind limitiert und deswegen wertvoll. Wegen der schlechten Zinsen suchen viele Menschen schon länger alternative Anlagemöglichkeiten, und Pokémon-Karten machen einfach mehr Spaß als Gold.
Was sind das für Leute, die sich für Zehntausende Euros Pokémon-Karten kaufen?
Die meisten sind zwischen 25 und 35, mit Pokémon aufgewachsen und haben jetzt das Geld für so teure Hobbys.
Es ist also ein Hobby?
Es ist Hobby und Investment. Einige machen es wegen der Karten, die anderen wittern schnelles Geld oder wollen einfach nicht, dass ihr Vermögen auf der Bank zusammenschrumpft.
Du besitzt die größte Sammlung deutscher Karten. Wie kamst du dazu?Ich habe vor sieben Jahren angefangen, da hat gerade niemand von Pokémon geredet. Ich hatte da mein Kinderzimmer ausgemistet und wollte herausfinden, ob meine alten Karten noch was wert sind. Waren sie nicht – aber bei der Recherche ist mir aufgefallen, dass originalverpackte Pokémon-Karten von 1999 bei eBay bereits höher gehandelt wurden als damals im Laden.
Ich habe immer schon wirtschaftlich gedacht und früher auf dem Schulhof zum Beispiel Kaugummis und Fingerboards vertickt. Ich war direkt angefixt: Pokémon war ja nicht nur meine Kindheit, sondern die von Millionen. Und dann habe ich einfach so viel gekauft, wie ich kriegen konnte. Ich habe mein ganzes Ausbildungsgeld in Pokémon-Karten investiert.
Wie hat da dein Umfeld reagiert?
Na ja, eine Zeit lang war ich halt der 18-Jährige, der auf einmal wieder Pokémon-Karten sammelt. Meine Eltern haben mich aber immer machen lassen. Bevor ich volljährig war, habe ich die Käufe über den PayPal-Account meines Vaters geregelt.
Wie ging es dann weiter?
Als ich angefangen habe, kostete eine Glurak-Karte, die heute bis zu 40.000 Euro wert ist, vielleicht 50 Euro. Ich war der erste in Deutschland, der sich die Karten bei amerikanischen Authentifizierungs-Unternehmen bewerten ließ. Die Prozedur hat immer so sechs Monate gedauert. Bis die Karten wieder bei mir lagen, waren sie locker zweimal so viel wert.
So ging es eine Zeit lang, dann kam 2016 mit Pokémon GO ein neuer Hype, und die Preise haben sich über Nacht verdoppelt. Daraufhin habe ich meinen Bausparvertrag aufgelöst, um noch mehr Karten zu kaufen. Irgendwann wurden Influencer wie Logan Paul auf die Karten aufmerksam. Seit Kurzem machen auch die deutschen Streamer mit, was die Preise weiter in die Höhe getrieben hat.
Könnte ich mit meinen Schulhof-Karten noch schnell einsteigen?
In 99 Prozent der Fälle sind eure alten Schulhof-Karten nichts wert, weil der Zustand zu schlecht ist. Überleg mal, früher hat man mit Fettfingern sein Päckchen aufgerissen und dann die Glitzerkarten mit einem Gummi umwickelt in die Hosentasche gesteckt.
Wenn ich jetzt ein Pack aufmache, dann wasche ich davor meine Hände, schaue, dass der Tisch sauber ist, und lege Hüllen parat, um das Ding sofort doppelt und dreifach einzusleeven. Um hohe Summen zu erreichen, braucht eine Karte die Bestwertung der Rating-Institute, eine 10 von 10. Selbst wenn sie direkt aus dem Päckchen kommen, erreicht nur jede fünfte Karte diese Bewertung – einfach weil die Karten damals schlecht produziert wurden.
Wo bewahrst du deine Karten auf?
Früher lagen sie einfach auf dem Nachttisch, aber eine Hunderttausend Euro schwere Sammlung kann man natürlich nicht einfach so rumliegen lassen. Mittlerweile lagere ich sie in einem Banktresor. Ich habe mir das größte Schließfach da angemietet, das ist jetzt gerammelt voll mit Pokémon-Karten. Die Bank weiß natürlich nicht, was da drin liegt. Es ist immer witzig, wenn ich da eher studentisch gekleidet mit meinem silbernen Aktenkoffer reinspaziere. Ich bin, glaube ich, ein Mysterium für die.
Hattest du nie überlegt, die Karten zu verkaufen?
Als Corona kam und damit die Möglichkeit, dass die Wirtschaft den Bach runtergeht, hatte ich das überlegt. Aber ich konnte mich nicht von meiner Sammlung trennen. Das hat mir total in die Karten gespielt, weil der Trend genau in die andere Richtung ging: Corona hat noch mal viele neue Leute in den Markt gebracht, weil die Leute zu Hause gesessen und sich mehr mit sich und ihrer Vergangenheit beschäftigt haben.
Willst du das Geld nicht auslösen, bevor es zu spät ist?
Na ja, so hätte man schon argumentieren können, als meine Sammlung bei 100.000 Euro stand. Ich habe eigentlich keine Wünsche gerade und brauche das Geld nicht. Ein bisschen was habe ich ja verkauft, um mich für mein Studium abzusichern. Das ist mir aber nicht leicht gefallen.
Ich bin zuversichtlich, dass die Karten den Wert behalten, einfach weil sie limitiert sind. Das ist ja wie bei Oldtimern. Anders ist das bei den neu gedruckten Karten, die mittlerweile auch schon gehortet werden. Da ist nicht abzusehen, wo das hingeht.
Erfüllst du dir gerade auch den alten Traum vom Pokémon-Trainer-Dasein?
Natürlich! Ich will der Allergrößte sein, hieß es doch im Titelsong. Und genau darum geht es, seine Sammlung immer weiter zu vergrößern. Ich liebe auch den Spirit in der Pokémon-Community. Man lebt einfach gemeinsam dieses eine Ding, was unglaublich verbindet.
Wenn ich so drüber nachdenke, ist das Ganze schon irgendwie mein Traumjob. Ich öffne irgendwelche Booster, sortiere Karten und rede mit Leuten über Pokémon. Ich mache genau das gleiche wie früher auf dem Schulhof – nur, dass ich damit Geld verdiene.