An manchen Tagen möchte man sich einfach zwei Sixpack Bier schnappen, mit seinem alten Boot in See stechen und einfach ein bisschen herumschippern, während man acht Stunden lang kein Sterbenswörtchen mit irgendjemandem (und ganz besonders nicht mit seiner Frau) spricht. An anderen Tagen möchte man lieber italienische Rave-Musik hören, während man ein ziemlich großes Kreuzfahrtschiff beobachtet, das dem Schiff sehr ähnelt, das neulich im Tyrrhenische Meer auf Grund lief und kenterte, weil dessen Kapitän (wahrscheinlich) gerade damit beschäftigt war, eine moldawische Tänzerin zu vögeln, die übrigens aussieht wie eine Komparsin aus Alien Nation.
Das Video, was ihr euch oben ansehen könnt, enthält keine Spezialeffekte oder Kameratricks (das Schiff ist erst übrigens erst ab der Sekunde 45 im Bild zu sehen). Filmemacher Ries Straver hat dieses Bildmaterial 2005 aufgenommen, als er Venedig besuchte. Er wurde an einem Tag Zeuge von sage und schreibe fünf dieser luxuriösen Riesentiere, die sich einen Wasserweg entlang schlängelten, der normalerweise hauptsächlich für die Ruderboote (mit denen Touristen befördert werden) und kleine Wasserfahrzeuge gedacht ist. Daraufhin zeigte Ries das Bildmaterial dem italienischen Elektro-Musiker Batongo, der sofort damit begann, an einem Song herumzudoktern, den er quasi perfekt auf das Video abstimmte (im Interview folgen die Details). Das Ergebnis heißt „Cruise” und die Geschichte, die hinter der Entstehung steckt, war für uns verrückt genug, um mit Ries und Batongo zu skypen und mit ihnen darüber zu sprechen, wie es zu ihrem gemeinsamen Projekt kam.
VICE: Als ich das Video zum ersten Mal sah, dachte ich: „Das ist nicht echt. Es ist irgendsoeine Werbemarketing-Sache und am Ende des Spots wollen sie mir ein ‘sexy’ Deodorant oder ein Handy andrehen.” Aber wenn man sich das Ganze lange genug ansieht, wird einem irgendwann klar, dass das alles komplett echt ist.
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Ries Straver: Ja, viele Leute denken, dass es ein Fake ist.
Und nur um das nochmal klarzustellen: Das hier ist ein offizielles Musikvideo, richtig?
Ries: Ja.
Wie kamt ihr auf diese Idee? Seid ihr beide befreundet?
Ries: Ja, na ja, sind wir gute Freunde? Ich schätze schon.
Batongo: Ziemlich gute Freunde.
Ries: Also, Batongo hat mich gezwungen, mir seine Demo-Tracks anzuhören.
Er hat dich gezwungen?
Ries: Ja, er setze mich auf einen Stuhl, machte ein paar Fesselspielchen mit mir und dann musste ich mir die ganze Nacht sein Demo anhören. Ich liebe diesen Song. Er hat diesen geilen Bass, der nach 30 Sekunden einsetzt und das fühlte sich für mich so fremdartig an. Und da dachte ich wieder an diesen fremden, riesigen Eindringling, dieses riesige Schiff, das postkartenartige Bild von Venedig enterte. Das habe ich vor sieben Jahren gefilmt. Ich habe es also aus meinem Archiv rausgekramt und es passte einfach.
Batongo: Und danach brachten wir das Video ins Studio. Wir legten es quasi auf den Demo-Track, den ich hatte und es sah schon in diesem Moment großartig aus und war fast synchron. Aber ich beschloss, noch ein wenig an dem Track zu basteln und nahm noch ein paar Änderungen vor, damit alles zusammenpasste.
Ries: Es gibt viele Dinge, die man vielleicht nicht richtig erkennen kann, aber wenn man genau hinsieht und die HD-Funktion einstellt, kann man jeden kleinen Vogel oder jedes kleine Boot sehen, das an dem Motiv vorbeikommt. Oder auch jeden Touristen, der Bilder von dem Schiff macht—die Blitze ihrer Kameras. Alles passiert synchron zu der Musik.
Ihr habt also eine Weile damit zu tu gehabt und dann ist die Costa Concordia gekentert und all diese Menschen starben. So tragisch es auch war, gab es dennoch keinen besseren Zeitpunkt, um das Video zu veröffentlichen.
Ries: Es war eigentlich schon seit neun Monaten oder so fertig. Wir haben auf den richtigen Moment für die Veröffentlichung gewartet und weil das alles passierte, entschieden wir, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war, das Video zu veröffentlichen, auch wenn die Platte noch nicht raus ist.
Was ist der größere Zusammenhang dieses Projekts? Warum hast du das überhaupt gefilmt?
Ries: Na ja, ich bin ziemlich viel mit meiner Kamera herumgefahren, als ich in Venedig war und an diesem Tag war ich mit einem Boot in einer Lagune. Es war ein sehr schöner und besonderer Tag, denn normalerweise kann man die Berge hinter der Skyline von Venedig nicht wirklich erkennen. Ich sah dieses Boot kommen und wir bemerkten das riesige Kreuzfahrtschiff. Ich glaube, ich war auf einer Insel namens San Lazarro.
Batongo: San Clemente oder San Lazarro?
Ries: San Lazarro. Ich hatte es mir vorher schon auf Google Maps angesehen. Denn San Lazarro hat eine Art Ausguck, von der du die Lagune und ein Stück von Giudecca sehen kannst. Dann kommt der Kanal von Giudecca und dahinter ist Venedig. Und diese Kreuzfahrtschiffe fahren genau durch diesen Kanal. Allerdings hatte ich kein Stativ; ich stellte meine Kamera auf eine kleine Mauer, die Teil dieses Ausgucks ist und drückte einfach auf ‘record’. Ich richtete ein wenig die Bildeinstellung ein und da hatte ich auch schon mein postkartenartiges Bild von Venedig. Das Ganze widerspricht vollkommen der Vorstellung, die alle von Venedig haben. Es ändert sie komplett. Und das ist der Grund, warum man das Gefühl bekommt, dass alles so unverhältnismäßig groß und abstrakt ist. Deshalb denken viele Leute, dass es eine Fälschung ist, obwohl es tatsächlich keine Montagen, Spezialeffekte oder Zusammensetzungen, oder was auch immer gibt. Ich habe einfach nur auf ‘record’ gedrückt, dann auf ‘stop’ und war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Ich habe festgestellt, dass die Länge des Videos vollkommen mit dem übereinstimmt, was du gefilmt hast. Stimmt das?
Ries: Das ist das gesamte Bildmaterial. Und in dem letzten kleinen Abschnitt des Bildmaterials, habe ich, wie man sehen kann, die Kamera in die Hand genommen und versucht, die Kamera umzustellen, weil das Kreuzfahrtschiff in diesem Moment an San Marco—und dem berühmten Markusplatz— vorbeifuhr, aber wir haben uns bewusst dafür entschieden, diese paar Sekunden nicht rauszuschneiden, denn dieser Moment ist der, in dem man sagen kann, dass alles echt ist, quasi Rohmaterial.
Wo warst du, als das mit der Costa Concordia passierte?
Ries: Ich glaube, ich habe gerade auf dem Klo Zeitung gelesen. Ich dachte mir nur: „Heilige Scheiße!”
Im wahrsten Sinne des Wortes.
Ries: Und dann hörte ich mir, glaube ich, dieses Interview an—diesen Anruf von Schettino, dem Kapitän, der ja irgendwie für dieses Desaster verantwortlich ist. Und das war einfach genau der richtige Moment, um das Video zu veröffentlichen. Es thematisiert außerdem ein ziemlich wichtiges Problem in Venedig. Stell dir mal vor, so eine Katastrophe wäre in der Meeresstraße von Giudecca passiert. Alles was es bräuchte, wäre ein kleiner Fehler. Das wäre eine ziemliche Katastrophe.
Ja, wenn das Gleiche in Venedig passieren würde—und ich bin erstaunt, dass so etwas bis jetzt noch nicht vorgekommen ist, nachdem ich dieses Bildmaterial gesehen habe.
Ries: Ja, denn da fahren jeden Tag sechs Kreuzfahrtschiffe durch den Giudecca-Kanal. Zweitausend im Jahr.
Batongo: Venedig ist die einzige Stadt der Welt, die ihren Hafen hinter der Stadt hat, und nicht davor. Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte sein, dass man damals wollte, dass die Leute, die mit dem Boot kamen, um die Schönheit der Stadt zu sehen, erst durch sie hindurch fahren sollten. Ich rede hier von vor über 300 oder 400 Jahren. Und genau jetzt ist das ein großes Problem und die einzige andere Lösung ist, dass die Boote außerhalb der Lagune anhalten. Das würde bedeuten, dass die Touristen die Stadt nicht von überall aus dem Boot zu sehen bekommen würden. Aber das wollen sie natürlich.
Ries: Das ist jetzt pure Spekulation meinerseits, aber ich glaube, diesen speziellen Kanal entlangzufahren, ist ein besonderes Angebot, das die Kreuzfahrtunternehmen ihren Kunden machen. Sie sagen: „Wir fahren nach Venedig und als Sahnehäubchen auf dem Kuchen bekommen Sie eine Panoramablick von allen Seiten der Stadt, wenn wir sie wieder verlassen.” Das ist Teil des Pakets. Also muss es eine Art Deal geben—und das ist wieder meine Spekulation—zwischen den Kreuzfahrtunternehmen und dem Stadtrat. Und das ist nicht das einzige Risiko. Die Lagune in Venedig ist außerdem ein sehr empfindliches Ökosystem. Wenn also alle diese Boote den ganzen Tag dort hindurchfahren, wird das ganze Gleichgewicht versaut.