Wir kriegen immer wieder gesagt, dass Männer Fleisch lieben, ein Verlangen nach Fleisch haben und unbedingt Fleisch brauchen. Obwohl sowohl Vegetarismus als auch Veganismus in den letzten Jahren immer leichter zugänglich wurden, bleibt also immer noch die Frage: Behält man das volle Potenzial seiner Männlichkeit, wenn man das Fleischessen aufgibt? Oder wird man dadurch irgendwie weich?
Anstatt auf diese veraltete Vorstellung komplett zu verzichten, betonen viele Veganer und Vegetarier gerne, dass man immer noch männlich sein kann, auch wenn man kein Fleisch isst. Geschichten von fleischfreien Männern, die Weltrekorde aufstellen und Kämpfe beim UFC gewinnen, kursieren in den Medien und werden als Beweis dafür bejubelt, dass man kein Fleisch essen muss, um stark zu sein. Eine nicht bestreitbare Tatsache—aber irgendwie klingt das Ganze auch immer ein bisschen verzweifelt, so als wolle man in jedem Fall von der der angeblich so fleischbesessenen Machokultur akzeptiert werden. Von Bodybuildern bis hin zu Ultramarathonläufern—es gibt nur wenige Dinge, für die die Gemeinschaft der Pflanzenesser lieber wirbt, als für die Vorstellung, dass Männlichkeit auch ohne Fleisch erreichbar ist. All das dient allein dem Zweck, die Bewegung noch mehr Leuten schmackhaft zu machen—und sich von ihrer femininen Hippie-Vergangenheit zu distanzieren.
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Feminismus und Vegetarismus haben eine lange, eng miteinander verknüpfte Vergangenheit. Carol J. Adams hat in den 90er-Jahren eine maßgebende Arbeit über diese Verbindung geschrieben, die den Titel Zum Verzehr bestimmt trägt. Die zentrale These ihrer Arbeit ist „die Animalisierung von Frauen und die Sexualisierung und Femininisierung von Tieren in der allgemeinen Haltung und Handlung”. In anderen Worten: In einer patriarchalen, fleischessenden Gesellschaft werden Frauen und Tiere ihrer eigenen Subjektivität beraubt und damit zu—wie sie es nennt—„abwesenden Referenten” gemacht. Wenn ein Lamm geschlachtet und verarbeitet wird, wird es meist als „Lammkeule” anstatt als „Bein eines Lammes” verkauft. Dieses Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper, das eigentlich noch nie wirklich existiert hat, wird vollständig aufgelöst, wenn der Körper etwas ist, das zum Abendessen serviert wird.
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Diese Verbindung zwischen Vegetarismus und Feminismus wurde in der zweiten Welle feministischer Theorien noch deutlicher und zwar als Teil einer ökofeministischen Ideologie, die die Dominanz über Natur und Tiere mit der Ausbeutung von Frauen gleichsetzte. Als in den 70er-Jahren das Bloodroot—ein explizit feministisches, vegetarisches Restaurant mit angeschlossener Buchhandlung—in Connecticut aufmachte, verstand man unter einem feministischen Restaurant, dass es dort kein Fleisch gab, so die Köchin Selma Miriam. In den 90ern sang Kathleen Hanna in dem Song Liar von Bikini Kill: „Iss Fleisch, hasse Schwarze, schlag deine verdammte Frau/Das ist alles dasselbe”. Natürlich sind diese Dinge nicht miteinander vergleichbar und Hanna hat diese Texte seither auch ziemlich bereut, aber zur damaligen Zeit waren diese beiden Ideologien noch enger miteinander verbunden als heute.
Zum Verzehr bestimmt wurde in einer Zeit veröffentlicht, die—historisch betrachtet—reif dafür zu sein schien, die Diskussion voranzutreiben. Das Buch erschien in weiteren Auflagen mit neuen Vorworten—sowohl zum 20. als auch zum 25. Jubiläum—, aber keine dieser Neuauflagen deutete darauf hin, dass es irgendeine signifikante positive kulturelle Entwicklung gab. Männliche Chefköche mit Tattoos wie diesem hier, das unter der Überschrift „Food Porn” ein in seine Teile zerlegtes Schwein zeigt, sind vielleicht eine eher neue Entwicklung, schaffen aber eine Verbindung zwischen Fleisch, Sexualisierung und männlicher Dominanz wie sie von Autoren wie Adams schon vor Jahren kritisiert wurde.
„Was Zum Verzehr bestimmt deutlich machen soll ist, dass das patriarchale Denken oder der patriarchale Ethos des Fleischessens andere Lebewesen zu Objekten macht, anstatt zu Subjekten”, sagt Adams am Telefon. Ich frage sie, ob der Trend, sein Fleisch direkt vom Erzeuger zu beziehen und sein „Fleisch zu kennen” irgendetwas an ihrer Theorie geändert hat—aber das hat es nicht. Stattdessen verstärkt es nur die fehlende Repräsentation von Tieren. „Sie versuchen zu sagen: ‚Hey, wir machen es humaner’”, sagt sie. „Aber eigentlich machen sie es nicht wirklich humaner, weil die Tiere in unserer Wahrnehmung immer noch zu Objekten unseres Appetits gemacht werden.”
Als ich mit ihr über vegetarische und vegane Bewegungen spreche, die sich selbst genauso bewerben wie Fleischesser, muss sie herzhaft lachen: „Das ist wie ‚plant strong’ [also ‚Pflanzen-stark’]—warum können wir nicht ‚Pflanzen-artig’ sein?”, fragt sie und bezieht sich damit auf einen beliebten T-Shirt-Slogan. „Anstatt zu sagen: ‚Veganismus fordert die grundlegenden Konzepte der Männlichkeit heraus. Veganismus mischt die Geschlechterbinarität auf. Veganismus lehnt die Geschlechterpolitik von Fleisch ab’”, sagt Adams, „akzeptieren wir am Ende das Diktat und den Rahmen patriarchaler Strukturen. Das ist wie: ‚Hey, du brauchst dir keine Sorgen um dein Testosteron zu machen. Du brauchst dir keine Sorgen um deine Männlichkeit zu machen.’ Es befriedigt ein Verlangen, anstatt ihm entgegenzutreten.”
Die Gründe dafür, warum es so schwierig ist, sich von dem Diktat des Fleischessens und der Männlichkeit zu befreien, sind tief in unserer Kultur verwurzelt. Vor Kurzem ist das Buch Meathooked von Marta Zaraska erschienen, in dem die Autorin versucht zu erörtern, warum Menschen trotz der negativen Folgen für das Klima und unsere Gesundheit nicht aufgehört haben, Fleisch zu essen. Sie geht darauf ein, dass Fleisch lange Zeit ein Statussymbol war—für Geschlechterrollen, Klassen und sogar Nationen. „Unser Verhältnis zu Fleisch ist überaus stark”, schreibt Zaraska. Aus diesem Grund wird Fleisch auch in Büchern und Filmen oft als Analogie verwendet. Wird dieses Symbol abgeschafft, muss die Differenz irgendwie ausgeglichen werden. Wenn man keine Macht mehr über Tiere ausübt, dann hilft es, wenigstens noch so auszusehen, als könnte man Lebewesen essen—oder zumindest Lebensmittel, die an Fleisch erinnern.
Deshalb wirkt es auch wenig überraschend, wenn man hört, wer sich am stärksten mit dem Konsum von Tieren identifiziert: „Aktuelle wissenschaftliche Studien haben bestätigt, dass Menschen mit autoritären Ansichten und einem starken sozialhierarchischen Denken, die Besitz, Macht und die Dominanz des Menschen über die Natur unterstützen, mehr Fleisch essen als Menschen, die sich für Gleichberechtigung aussprechen”, schreibt Zaraska.
Zaraska ist ebenfalls Vegetarierin. Ihre Meinung darüber, warum die Bewegung gegen den Konsum von Fleisch keine neue Regeln aufstellen kann, ist sehr pragmatisch (und in gewisser Weise auch pessimistisch): „In einer perfekten Welt müssten wir Vegetarismus und Veganismus nicht mithilfe alter kultureller Stereotypen und Klischees bewerben. Wir müssten auch nicht betonen, dass vegetarisch lebende Männer immer noch männlich und mächtig sind und so weiter”, sagt sie mir in einer E-Mail. „Aber die Welt, in der wir leben, ist nicht perfekt und manchmal ist es besser, mit diesen kulturellen Stereotypen und dem veralteten Symbolismus von Fleisch zu spielen, um die Leute dazu zu ermutigen, ihre Gewohnheiten langsam zu verändern und ihren Fleischkonsum zu reduzieren. Dann werden wir vielleicht irgendwann in Zukunft auch dieses historische Erbe überwinden können und vergessen, dass Fleisch einmal ein Symbol für die Macht über Natur, Besitz und Frauen war. Aber diesen Punkt haben wir noch nicht erreicht; noch nicht einmal ansatzweise.”
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Wie weit wir von ebendiesem Punkt noch entfernt sind, zeigen die Berichte über das amerikanische Fast-Casual-Restaurant By Chloe von der veganen Chefköchin Chloe Coscarelli. Ein Artikel in der New York Post—unter der Überschrift „Diese sexy Köchin macht dich zum Veganer” (und geschrieben von einer Frau)—legte seinen Fokus auf Coscarellis „glänzendes Haar und ihre Modelfigur”, was sie zum „Pin-up-Girl des Veganismus macht.” Das Essen ist eher nebensächlich. Was hier im Vordergrund steht ist, dass man entweder aussehen möchte wie die Köchin oder mit ihr zusammen sein will. Wenn der Verzicht auf Fleisch beides garantiert: cool.
Kurzum, die moderne vegane und vegetarische Bewegung schafft es irgendwie, das körperliche Idealbild von Männern genauso zu befördern wie das von Frauen. Das 2005 erschienene vegane Kochbuch Skinny Bitch von Rory Freedman und Kim Barnouin und The Lookbook Cookbook von Jessica Milan, das 2015 erschienen ist, stützen sich ebenfalls auf das Bild, dass alle Veganer aussehen wie Models. Milans Buch macht dieses Konzept besonders deutlich: Auf jedes Rezept folgt ein stylisches Porträt von einem dünnen Model, das gerade sein Essen genießt. „Ich sehe das immer und immer wieder. Wir kommen an einen Punkt, an dem wir die Möglichkeit hätten, etwas zu verändern und grundlegende kulturelle Strukturen neu anzulegen, aber wir tun es einfach nicht”, sagt Adams. „Das zeigt einfach, welche sexualpolitische Kraft Fleisch hat. Es ist als Lebensmittel so einflussreich, dass darüber immer wieder ein Weg gefunden wird, Leute in Schubladen zu stecken.”