Brettspiele sind wieder im Kommen. In Großstädten eröffnen Cafés für analoge Gamer, und Titel wie Die Siedler von Catan erhalten langsam einen gewissen Kultstatus—die altehrwürdige Freizeitbeschäftigung des Kartonbretter-Anstarrens und Spielgeld-Handelns erlebt also ein volles Comeback. Und das berühmteste Kartonbrett von allen ist natürlich Monopoly: das klassische Brettspiel, das sechs Stunden dauert und Kindern die Freuden des ungezügelten Kapitalismus beibringt. Mary Pilon, eine ehemalige Sportreporterin für die New York Times und Business-Redakteurin für das Wall Street Journal, verbrachte fünf Jahre damit, die seltsame Geschichte von Monopoly-Land zu recherchieren, und fand heraus, dass es, anders als häufig angenommen, nicht aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise stammt. Ach ja, und es wurde von einer antikapitalistischen feministischen Dichterin erfunden.
Pilons Buch The Monopolists, das gerade erschienen ist, taucht tief ins vergangene Jahrhundert ein und erforscht alles von den Kontroversen um die Erfindung des Spiels bis hin zu neueren Hasbro-Klagen. Ich sprach mit Pilon, um mehr über die antikapitalistischen Wurzeln Monopolys, die seltsame Welt der Patente und die wahre Erfinderin des beliebten Brettspiels zu erfahren.
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VICE: Wie kam es dazu, dass du über Monopoly schreibst? Bist du ein großer Fan?
Mary Pilon: Ich bin ein riesiger Spiele-Nerd. Ich wuchs mit jeder Menge Video- und Brettspielen auf. Aber dieses ganze Projekt war mehr eine Art Unfall. 2009 schrieb ich im Wall Street Journal über Wirtschaft und das war—wie man sich bestimmt vorstellen kann—wirklich deprimierend. In einem Artikel dachte ich mir, ich füge einfach einen Spruch darüber ein, dass Monopoly während der Weltwirtschaftskrise erfunden wurde. Dann fing ich an zu recherchieren und stolperte über die Klage gegen Ralph [Anspach]. Ich kontaktierte ihn und sagte ihm, ich sei eine Journalistin beim [Wall Street] Journal und würde gerne mehr über Monopoly erfahren. Ich schrieb über seinen Kampf vor Gericht und recherchierte weiter. So viel Handelsberichterstattung ist sehr fachlich—man schreibt über Derivate und Anlagebanken—, also war es großartig, sich stattdessen in der Welt der Brettspiele zu bewegen.
Augenblick, worum ging es bei der Monopoly-Klage?
Anfang der 1970er gab es in der San Francisco Bay Area einen Typen namens Ralph. Er war politisch sehr links eingestellt. Er erfand ein Spiel namens Anti-Monopoly, das den Leuten zeigen sollte, wie böse Monopole sind. Es dauerte nicht lange, bis er von den Monopoly-Anwälten hörte, die ihm sagten, er dürfe Anti-Monopoly nicht machen. Ralph dachte, genau wie ich—genau wie alle—, dass ein Mann namens Charles Darrow das Spiel erfunden hatte, doch [im Laufe des Gerichtsprozesses] deckte er diesen ganzen Skandal auf, dass eine Frau Monopoly 1904 erfunden hatte.
Seine Verteidigung hing davon ab, die „ Monopoly-Lüge”, wie er es nannte, zu beweisen. Ich recherchierte anfangs seinen Prozess, weil es einfach dazugehört, dass man die Geschichten seiner Quellen überprüft. Doch dies war das erste Mal, dass ich eine Story fertigstellte und danach noch viel mehr offene Fragen hatte. Ich verbrachte meine Wochenenden in der New York Public Library und verwendete meine Urlaubstage darauf, nach San Francisco zu fliegen und mich persönlich mit Ralph zu treffen. Er hatte Kisten voll mit Dokumenten und Fotos, die ich für meine Artikel nutzte; an seinem Fall hing dieser ganze Rattenschwanz historischer Dokumente. Ich schickte alles nach New York und fing an, mich durchzuarbeiten.
Was war das Überraschendste, das du bei deiner Recherche herausgefunden hast?
Ich war überrascht davon, dass das Spiel nicht nur lange vor der Weltwirtschaftskrise erfunden wurde, sondern auch von einer Frau. Erfinderinnen wurden vor hundert Jahren oft übersehen, und die Tatsache, dass eine von ihnen eine solch entscheidende Rolle in der Erfindung eines Wirtschaftsspiels inne hatte, war für die damalige Zeit höchst ungewöhnlich. Je mehr ich über Lizzie Magie herausfand, desto seltsamer und außergewöhnlicher wurde die Geschichte von Monopoly. Die meisten Historiker würden sie als eine sehr überraschende Urheberin einstufen.
Wer war Lizzie Magie?
Ich habe sogar schon überlegt, ihre Biografie zu schreiben! Sie war eine Feministin. Sie hielt nicht mit ihren Ansichten hinterm Berg, wenn es um die damalige Behandlung von Frauen ging, und um die Bezahlung. Sie schrieb Kurzgeschichten und Gedichte, und immer und immer wieder tauchen in ihren Werken diese Themen der Gerechtigkeit und Ungleichheit auf. Es passte sehr gut dazu, dass sie dieses Brettspiel erfand, um die Gefahren des Monopols aufzuzeigen und ihre politischen Ansichten zu verbreiten.
Es war nicht mein Vorhaben, ein feministisches Buch zu schreiben. Ich wollte ein Buch über das Spiel schreiben. Doch die Tatsache, dass es in diese Richtung gegangen ist, finde ich fantastisch. Seit [ The Monopolists] erschienen ist, habe ich von vielen Frauen in der IT-Branche gehört. Es kommen mehr und mehr solcher Geschichten heraus; ob es um Frauen geht oder unterdrückte ethnische Minderheiten, es gibt alle möglichen Erfindungen und Dinge, die von sehr viel mehr vielseitigen Gruppen erschaffen wurden, als uns klar ist, denn oft wurden sie einfach aus der Geschichte herausradiert. Wenn man an die Zeit denkt, in der sie lebte, dann leuchtet es ein, dass Lizzie Magie größtenteils vergessen wurde. Eine der letzten Spuren, die wir von ihr haben, ist die US-Volkszählung von 1940, in der sie ihre Tätigkeit als „Spielemacherin” angab—obwohl sie so viele andere Tätigkeiten hatte—und in der ihr Einkommen bei null lag.
Warum glauben wir dann alle, dass Monopoly von Charles Darrow erfunden wurde?
Jahrelang war die Darrow-Geschichte die vorherrschende. Selbst wenn sie nicht stimmt, es ist eine wirklich romantische Erzählung. Es ist eine klassische Geschichte wie Aschenputtel oder der Amerikanische Traum—vom Tellerwäscher zum Millionär. Ich denke, sie berauscht uns alle, weil wir in gewisser Weise uns selbst darin wiederfinden wollen. Wer will denn nicht davon träumen, durch einen plötzlichen Einfall reich zu werden?
Was war die Botschaft hinter Magies Version des Spiels?
Das Landlord’s Game, also Vermieterspiel, wurde ironischerweise erfunden, um den Menschen das Übel der damals herrschenden Monopolisten aufzuzeigen. In einer Ausgabe der Zeitung Single Tax Review von 1902 [schrieb Magie]: „Es hätte genauso gut Das Spiel des Lebens heißen können, denn es enthält alle Bestandteile des Erfolgs und des Misserfolgs aus der echten Welt, und das Ziel ist dasselbe, das die Menschheit im Allgemeinen auch zu haben scheint, nämlich das Anhäufen von Wohlstand.”
Geht es in deinem nächsten Buch zufällig um Die Siedler von Catan?
Ich liebe Siedler, aber ich muss mich noch von meinem ersten Buch erholen. Vielleicht Cluedo. Ich habe keine Ahnung. Das hier hat fünf Jahre in Anspruch genommen. Ich bereue es keine Sekunde, doch dieses Buch hat länger gedauert, als jede Runde Monopoly, die ich jemals gespielt habe.