Nach einem blutigen Eroberungsfeldzug steht die türkische Armee kurz davor, die nordsyrische Stadt Afrin komplett einzuschließen. Obwohl die Offensive gegen das Völkerrecht verstößt und schon zahlreiche Zivilisten das Leben gekostet hat, können die kurdischen Verteidiger der Stadt auf keine internationale Hilfe hoffen. Radikale Kurden haben deshalb im Internet dazu aufgerufen, am heutigen Montagabend “den Krieg in Afrin auf Europas Straßen zu tragen”.
Am Wochenende haben Unbekannte bereits in vier deutschen Städten Anschläge auf türkische Moscheen und Vereinsgebäude verübt. In Berlin setzten sie die “Koca Sinan Camii”-Moschee im Bezirk Reinickendorf in Brand. Augenzeugen berichten von drei Jugendlichen, die die Fenster zerschlagen und Brandsätze ins Innere geworfen haben sollen. Übrig blieben nur verrußte Wände, ein ausgebrannter Fernseher und ein komplett zerstörter Gemeinderaum.
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In Lauffen am Neckar bewarfen Unbekannte in der Nacht zum Freitag die örtliche Moschee mit Molotowcocktails. Weil der Imam sich zu diesem Zeitpunkt im Gebäude befand, ermittelt die Polizei in diesem Fall auch wegen versuchten Mordes. Zwei Tage später setzten Täter das Gebäude eines türkisch-deutschen Freundschaftsvereins im nordrhein-westfälischen Meschede in Brand. In der gleichen Nacht zerschlugen Unbekannte die Fenster der Moschee in Itzehoe in Schleswig-Holstein, einen Kilometer weiter legte jemand Feuer in einem türkischen Gemüseladen.
Zum Anschlag in Lauffen ist mittlerweile ein Bekennervideo auf einer kurdischen Webseite aufgetaucht. Laut der Webseite hätten kurdische Jugendliche den Anschlag “aus Rache für die Angriffe der türkischen Besatzerarmee und die massenhafte Tötung von ZivilistInnen in Efrîn” ausgeübt. Auch zum Anschlag in Meschede ist mittlerweile ein ähnliches Video aufgetaucht. Auch beim Anschlag in Berlin geht man von einem politischen Hintergrund aus. “Zur genauen Motivation können wir aber noch nichts sagen”, erklärt eine Sprecherin der Polizei gegenüber VICE. “Der Staatsschutz ermittelt in alle Richtungen.” Dazu gehöre auch, sich mit den LKAs in den anderen drei Bundesländern “auszutauschen” – für den Fall, dass ein Zusammenhang bestehe.
Neben den Brandanschlägen sprechen auch deutschlandweite Demos für einen organisierten Protest: Am Düsseldorfer Flughafen versammelten sich spontan rund 400 Demonstranten, in Berlin-Kreuzberg protestierten ebenfalls mehrere Hundert Personen unter dem Motto “Wir verteidigen Afrin” und in Hamburg liefen 400 Menschen vor das türkische Generalkonsulat, manche warfen mit Steinen auf das Gebäude.
Wenn es nach einer Gruppe geht, die sich “Kurdische Jugendinitiative” nennt, soll es am heutigen Montagabend weitere “radikale Aktionen” geben – in ganz Europa. “Die europäischen Staaten müssen verstehen, dass wir nicht tatenlos zusehen werden, wie sie unser Volk in Rojava [der kurdischen Enklave in Nordsyrien] massakrieren”, heißt es in dem Aufruf. “Ob türkische Botschaften, AKP-Vereine wie UETD, türkische Faschisten sowie ihre Läden und Cafes oder staatliche Institutionen (SPD/CDU-Büros, Polizei, Gerichte), wer den Krieg gegen unser Volk unterstützt und verteidigt, wird dafür bezahlen müssen.” Eine andere kurdische Seite hat sogar ein aufwendig produziertes Video gepostet, dass die Jugend Europas” zum “Widerstand gegen Faschismus” aufruft – inklusive der Bilder vom Anschlag in Lauffen.
Türkische Medien haben den Aufruf bereits aufgegriffen und interpretieren ihn als Mobilisierung der kurdischen Terrororganisation PKK in Deutschland. Der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli bezweifelt allerdings, dass die PKK hinter diesem Aufruf steht. “Das sind radikalisierte kurdische Jugendliche – weder die PKK noch andere kurdische Organisationen können die kontrollieren”, erklärt er gegenüber VICE. “Die organisierten Kräfte versuchen eher, solche Dinge zu unterbinden – weil sie wissen, dass das öffentliche Ansehen der Kurden in Deutschland davon abhängt, dass sowas nicht passiert.” Tatsächlich hatten ähnliche Aktionen in den 90ern, als kurdische Aktivisten zum Beispiel in großem Stil deutsche Autobahnen blockierten, dem Ansehen des kurdischen Freiheitskampfes nachhaltig geschadet.
In Afrin selbst ist man deshalb auch nicht restlos begeistert über den Aufruf. “Unser Kampf ist demokratisch und für die Demokratie”, twitterte ein hochrangiger Vertreter der PYD, der kurdischen Partei in Nordsyrien. “Wir sollten die demokratischen Regeln in den Ländern, die unser Volk beherbergen, respektieren.”
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