Müssen Songs von Musikerinnen auch zwangsläufig eine feministische Message haben?

Das Video zu „Pretty Girls“ von Britney Spears und Iggy Azalea, das im Mai veröffentlicht wurde, passt wunderbar in alles, was wir von Britney Spears und Iggy Azalea gewohnt sind: Zwei weiße, blonde Frauen singen über die Vorteile guten Aussehens, optisch untermahlt von einem Haufen leichtbekleideter und durchtrainier Tänzer, unzähligen trashigen Jeans-Kreationen und Iggy als Robo-Girl. Es wurde sofort als „oberflächlich“ verrissen und einige Stimmen meinten sogar, dass es den „Feminismus 100 Jahre zurückwerfen” würde—soll heißen, dass Song und Video nicht gerade einen tiefgründigen Beitrag zur Geschlechtergleichheit transportieren. Da ist wohl auch was Wahres dran—der Song ist nicht gerade „Flawless“ von Beyoncé—, aber muss man ihn deswegen automatisch ablehnen? Oder sollten wir uns vielmehr Sorgen darüber machen, dass zwei Frauen kein Popvideo mehr machen können, ohne darin eine feministische Message zu propagieren?

Nur acht Monate bevor sie ihr selbstbetiteltes Magnum Opus veröffentlichte und es dann auf der entsprechenden Tour unter dem 15 Meter hohen Schriftzug „feminism“ in pinken Großbruchstaben Nacht für Nacht vor ihrem Publikum performte, erzählte Beyoncé der britischen Vogue, dass Feminismus ein „sehr extremes“ Wort sein kann. Offensichtlich hatte sie sich nur sehr zögerlich mit der Bedeutung arrangiert. Ganz ähnlich antwortete Taylor Swift, als sie 2012 gefragt wurde, ob sie sich selbst als Feministin sehen würde: „Ich sehe die Sachen nicht wirklich als Jungs gegen Mädchen.“ Jetzt wird ihre 1989-Tour als Würdigung der Kraft weiblicher Freundschaft gefeiert. Sie beide haben aber erst mit der Zeit den Feminismus für sich entdeckt, was vielleicht aber auch ein Zeichen der Zeit ist. Es ist noch gar nicht so lange her, da war es noch eine Meldung wert, wenn eine Künstlerin von sich behauptete, eine Feministin (sie auch das komplette Lilith Fair Line-Up) zu sein—und das galt als eine schlechte Zeit für Frauen in der Musik. Heutzutage ist es eher eine Meldung wert, wenn eine Künstlerin sagt, dass sie keine Feministin sei (Meghan Trainor, Katy Perry, Madonna)—und das in einer guten Zeit für Frauen in der Musik. Haben wir vielleicht ein Umfeld erschaffen, in dem Künstlerinnen nur noch an ihrer Haltung zum Feminismus gemessen werden?

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Die aktuelle Auseinandersetzung mit Feminismus und Pop lässt sich bis hin zu Miley Cyrus’ Video für „We Can’t Stop“ zurückverfolgen. Das im Juni 2013 erschienene Werk ist in vielerlei Hinsicht beachtlich. Erstens: Es war unsere erste Begegnung mit der Miley, die wir heute kennen—einer Miley die ihren Anfängen bei Disney entwachsen war und nun in ihrem neuen Gewand als problematischer Hybrid aus Popkönigin und Trap-Star auftrat. Zweitens: Es war allein aus dem Grund umstritten, weil Miley innerhalb der dreijährigen Pause zwischen ihren Singles von familienfreundlichen Tanzvideos dazu übergegangen war, sich in einem Leotard um Hot Dogs zu kloppen, Trockensex mit leblosen Objekten zu haben und Frauen den Hintern zu versohlen—quasi ihr eigener„Vanessa Hudgens macht Spring Breakers“-Moment. Und drittens und letztens: „We Can’t Stop“ eröffnete einen neuen Strang in der Erzählstruktur über Sexualität und Verantwortung, der maßgeblich die Art verändern sollte, auf die wir weibliche Künstler heutzutage wahrnehmen. Es ist dementsprechend wenig überraschend, dass, wann immer eine Mainstreamkünstlerin ein neues Musikvideo veröffentlicht, die erste Frage, die uns auf der Zunge liegt, nichts mit der Ausführung oder der ästhetischen Richtung zu tun hat, sondern stattdessen lautet: Ist es auch feministisch?

Zwischen dem Trubel um „We Can’t Stop“ und „Blurred Lines“—beide übrigens zusammen bei den VMAs aufgeführt—, wie auch offenen Briefen von Frauen wie Grimes, Kitty Pryde und Lauren Mayberry von Chvrches über die Rolle von Frauen in der Musikindustrie, zeichnete sich 2013 der Beginn eines perfekten Sturms für die Debatte über Sexismus in der Popkultur ab. Allein die schiere Anzahl von Leuten, die das Thema aufgriffen, machte es unmöglich, die Diskussion zu ignorieren. Inzwischen sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir von unseren weiblichen Popstars geradezu erwarten, dass sie sich feministischer Problematiken bewusst sind und sich damit auseinandersetzen. Und—egal, ob jetzt Beyoncé vor 8,3 Millionen Fernsehzuschauern bei den VMAs vor einem Backdrop mit Zitaten aus Chimamanda Ngozi Adichies TED-Talk „We should all be feminists“ auftritt oder Nicki Minaj anprangert, wie sich weiße Künstlerinnen den Einfluss schwarzer Frauen auf die Popkultur wiederholt aneignen, letztere aber nicht in gleicher Weise belohnt werden—ist das etwas, das wir immer öfter beobachten können.

Ob das Video einer Künstlerin feministisch ist oder nicht, ist zu unserem bevorzugten Gradmesser für dessen Qualität geworden. Von Miley Cyrus bis hin zu Lily Allen, von Meghan Trainor zu Nicki Minaj, Jennifer Lopez zu Taylor Swift—in den letzten zwei Jahren fanden sich eigentlich alle Videos der größten Chartstürmerinnen mitten in einer Debatte darüber wieder, wie wir Frauen generell darstellen und wahrnehmen. Das ist keine Diskussion, die du abgeflacht bei, sagen wir, Kanye Wests „Bound 2“, Drakes „Hold On We’re Going Home“ oder Pitbulls und Chris Browns „Fun“ findest.

Nehmen wir zum Beispiel Rihannas „Bitch Better Have My Money“. Als Rihanna den Song zum ersten Mal bei den iHeart Radio Awards im März präsentierte, wurde er allgemein positiv aufgenommen. Der Rolling Stone nannte ihn einen „selbstbewussten Club Hit“, Vulture feierte ihn ab und die Huffington Post ging sogar so weit, ihn als Reparations-Song zu kategorisieren. Als dann aber vier Monate später das Video dazu veröffentlicht wurde, schwenkte die ganze Diskussion auf den feministischen Gehalt des Videos um.

Die generelle Diskussion darum hat Arielle Bernstein wunderschön für Salon zusammengefasst: „Ist ‚BBHMM’ eine Power-Hymne, in der verstörende Bilder sexualisierter Gewalt unter der Führung einer eigenständigen schwarzen Frau umgedeutet werden, oder bedient es sich lediglich einer Kultur, die gewohnheitsmäßig die Rolle der schönen, gefolterten Frau als Stilmittel einsetzt?“

Eine weiße Frau auszuziehen und sie kopfüber aufzuhängen, ist in dem momentan herrschenden Klima, in dem auch die Rolle der weißen Frau bei rassistisch motivierter Gewalt einen immer wichtigeren Teil in der Diskussion einnimmt, auf jeden Fall ein eindringliches Bild. Dementsprechend ist es ziemlich eindeutig, dass „BBHMM“ die allgemeine Darstellung von Frauen thematisiert. Rihannas Rolle in dem Video allerdings—wie auch bei jedem anderen Video von ihr—ist die eines fiktiven Charakters und das scheint etwas zu sein, mit dem wir uns schwer tun, wenn es um unser Verständnis von weiblichen Popstars geht. 2011 sagte Rihanna gegenüber der britischen Vogue: „Menschen—vor allem weiße Menschen—wollen, dass ich ein Vorbild bin—einfach nur wegen dem Leben, das ich gelebt habe. Die Sachen, die ich in meinen Songs sage, die erwarten sie dann auch von mir und [ein Vorbild zu sein] hat einen größeren Teil meines Jobs eingenommen, als ich jemals wollte. Aber nein, ich will einfach nur Musik machen. Das ist alles.“

Genau wie Quentin Tarantinos Schaffen ein inkonsistentes Wirrwarr aus Sexismus und Feminismus beinhaltet—viele seiner weiblichen Figuren sind stark, Anspielungen auf die Frauenrollen in alten B-Movies und haben es verdient, sich zu behaupten—lässt sich das gleiche über Rihanna und „BBHMM“ sagen.

Jetzt bei VICE: Ein Interview mit Sinan, die dank eines Selfies auf Instagram bei „BBHMM“ mitspielen durfte

„Das bin nicht ich. Das ist eine Rolle, die ich spiele“, führt Rihanna in ihrem Interview mit der Vogue über das Video zu „S&M“ fort. „Es ist wie ein Kunstwerk mit all diesem Spielzeug und Texturen, mit denen man rumexperimentieren kann.“ Das gilt am Ende auch für „BBHMM“. Ohne das Video bleibt da allerdings noch immer ein Song—und viele Aspekte des Videos außerhalb seiner feministischen Narrative—der anscheinend übersehen wird. Die Tatsache, dass es von einer 20-jährigen Berlinerin geschrieben wurde; die Tatsache, dass Rihanna bei dem Video Co-Regisseurin war, und die Tatsache, dass so ziemlich alles, was Rihanna gerade macht, sehr bewusst und bedacht ist, weil sie an einem Album arbeitet, das sie noch in 15 Jahren aufführen kann.

Trotzdem wird dir eine entsprechende Google-Suche hunderte Artikel über das „BBHMM“-Video zu Tage fördern (alleine der Guardian hat sechs) aber kaum Reviews des eigentlichen Songs. Vergleich das mit Drakes Video zu „Hold On We’re Going Home“—einem Video mit einer Gangstergeschichte, in der Drake einen Boss spielt, dessen Liebhaberin von einer rivalisierenden Gang gekidnappt wird, was dann 7 Minuten voller Rache, Schießereien und Gewalt gegen Frauen nach sich zieht—das null Artikel provoziert hat. Vielleicht liegt es daran, dass es wie ein HBO-Drama gefilmt ist—mit viel Schatten und Grünfilter. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Geschichte von „dem Mann, der alles tut, was in seiner Macht steht, um seine weibliche Angebetete zu retten“ eine ist, mit der wir schon unglaublich vertraut sind. Vielleicht liegt es aber auch ganz einfach daran, dass es von einem männlichen Rapper stammt, der keinerlei Verpflichtung hat, sich besonders progressiv in Bezug auf Geschlechterrollen zu verhalten—jedenfalls wurde Drake noch nie in eine feministische Theorie eingeordnet. Wenn man aber bedenkt, dass es sich bei „Hold On We’re Going Home“ und „BBHMM“ quasi nur um unterschiedliche Versionen des gleichen Videos handelt, ist es eigentlich ziemlich unlogisch, dass Drakes Werk nicht ansatzweise so minutiös unter die Lupe genommen wurde.

Oder nehmen wir Axwell /\ Ingrossos Video, das im Februar diesen Jahres veröffentlicht wurde. Darin gibt es eine Menge maskulines Getue, das am Ende in einem gigantischen Fight Club-mäßigen Faustkampf-Match in einem düsteren Keller endet. Es hat mehr als viereinhalb Millionen Hits bei YouTube, aber wurde es jemals für seine Gewaltdarstellung, die zweifellos realistischer und ernster als alles ist, was wir in „BBHMM“ zu sehen bekommen, kritisiert? Es gab noch nicht mal ein paar Worte auf Thought Catalogue. Vielleicht hat sich unter Männern noch nicht ganz rumgesprochen, dass Feminismus momentan ein angesagtes Thema ist, mit dem sich ordentlich Geld scheffeln lässt. In der aktuellen Feminismuswelle scheint es mehr darum zu gehen, die Medien-Narrative davon wegzubewegen, Frauen zu sagen, wie sie ihre Männer glücklich machen können, und dahin zu lenken, Frauen zu sagen, wie sie andere Frauen darstellen sollen. Männliche Künstler können in Musikvideos machen, was sie wollen. Am Ende werden die Leute die Musik noch über allem anderen sehen (selbst wenn man bedenkt, wie viel Kritik „Blurred Lines“ einstecken musste, hielt sich der Song trotzdem über zwölf Wochen auf der eins und bleibt eine der meistverkauften Singles aller Zeiten). Frauen hingegen scheinen nicht mit so etwas durchzukommen und das beschränkt natürlich die Möglichkeiten ihres künstlerischen Ausdrucks, wenn ihnen nichts anderes mehr bleibt, als Gefäße für eine feministische Message zu sein.

Vielleicht hat das auch etwas damit tun, dass viele Singles heutzutage zuerst als Audio erscheinen—mehrere Wochen oder Monate früher—wodurch sie mehr Raum dafür bieten, dass die Diskussion darum weiter voranschreitet und sich dann beim Erscheinen des zugehörigen Videos jeder auf die visuellen Aspekte des Tracks konzentriert. Dann ist die Musik nur noch ein Anhängsel. Wenn das alles so weiterläuft, frage ich mich, ob die zyklische Natur der Meinungsartikel über den vorhandenen oder nichtvorhandenen Feminismus in den Videos von Künstlerinnen am Ende nicht ihre Kreativität einschränkt. Das ist nicht ganz unwichtig, wenn man bedenkt, dass—obwohl sie die drei meistdiskutiertesten und kulturell signifikantesten Künstlerinnen unserer Zeit sind—weder Rihanna, Beyoncé noch Nicki Minaj sich gut in den deutschen Charts machen. Keine von ihnen hatte in den letzten Jahren einen Nummer-eins-Hit. Auch nicht in Großbritannien.

Die Tatsache, dass der Feminismus Einzug in den öffentlichen Dialog auf einem Mainstream-Level gefunden hat, ist natürlich etwas Gutes—auch wenn das letztendlich auch haufenweise BuzzFeed-Artikel mit Titeln in der Art von „19 Mal, die dein Baby Gloria Steinem verkörpert hat“ hervorbringt. Mehr denn je kritisieren wir heutzutage Popkultur und Politik für die Darstellung der Geschlechter. Das, was einst eine von vielen Seiten denunzierte Bewegung war, wird jetzt weitestgehend berücksichtig und obwohl es noch Probleme bei der Intersektionalität gibt, erfahren jetzt Themen einen gesteigerte Aufmerksamkeit, die vor fünf Jahren vielleicht noch nicht mal die Räume von Frauengruppen oder LiveJournal verlassen hätten—ganz zu schweigen davon, dass Printmagazine mit großen Auflagen ganze Ausgaben solchen Themen widmen (siehe: Dazed & Confused und Elle UK). Die Tatsache, dass du nicht durch Tumblr scrollen kannst—eine Seite, auf der 79,8 Millionen Posts pro Tag erscheinen—ohne über massenweise blaugefärbte Achselhaare und Angela Davis-Zitate zu stolpern, ist Zeugnis dafür, dass wir jetzt voll und ganz in einer neuen, digitalen Ära des Feminismus angekommen sind. Es ergibt also nur Sinn, dass der Mainstream-Journalismus mitzieht. Wir schauen heute auf Popkultur durch eine feministische Brille und das ist ein gutes Zeichen dafür, dass wir Fortschritte machen. Lasst uns das aber nicht zu dem einzigen Maßstab machen, an dem wir den Output einer Künstlerin messen.

Wie bei allen Formen der Kunst gibt es viele verschiedene Bereiche, in den Popmusik existieren kann, und nicht alle von ihnen müssen politisch sein. Es steht jeder Frau zu, zu tun, was auch immer sie will. Es gibt einen Raum für Beyoncé, in dem sie feministische Position vertreten kann, wenn sie das möchte, und es gibt einen für Britney, in dem sie sich davon fernhalten kann, wenn sie das möchte. Das heißt nicht, dass eins davon automatisch weniger wert ist als das andere. Den Dialog über unsere größten Künstlerinnen darauf zu beschränken, was sie für den Feminismus bedeuten, limitiert ihre Möglichkeiten des Ausdrucks. Wir sollten Künstlerinnen den Raum und die Handlungsfreiheit erlauben, kreativ zu sein, ohne sie einem Regelwerk zu unterstellen, von dem ihre männlichen Kollegen noch immer weitestgehend ausgenommen sind.


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