Musikreviews der Woche mit Variety Lights und I Like Trains

VARIETY LIGHTS
Central Flow
Fire/Cargo

18 Jahre galt David Baker als verschollen, jetzt ist der Frontmann der legendären Mercury-Rev-Erstbesetzung (1991-1993) zurück. Diese Nachricht hätte durchaus das Potential für eine Aufsehen erregende Schlagzeile, allein: Die CD, die ich hier in den Händen halte, ist bestenfalls irritierend, über den Großteil der Spieldauer aber vor allem schrecklich belanglos. Und sie klingt auch nicht gerade, als ob Baker wirklich 18 Jahre lang an diesen Songs gefeilt, oder sie vorher auch nur mal geübt hat. Eher erinnert mich das Projekt an die Probeaufnahmen, die ich damals als ehrenamtlicher Konfirmand an einem sonnigen Nachmittag mit einer evangelischen Integrationsgruppe auf dem Kinder-Casio-Keyboard produziert habe. Nur etwas weniger radikal.

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JOHANNES DER SÄUFER

I LIKE TRAINS
The Shallows
ILT/Cargo Records

In der Abteilung „Bands, die früher mal gut waren, bis sie sich in belanglosem Postpostpostrock verloren haben“ begrüßen wir in dieser Ausgabe I LIKE TRAINS. Mit einem weinenden Auge trauern wir den guten alten Zeiten nach, in denen diese Band mit ihren in eine Überdosis Pathos und Breitwand getauchte Historiendramen die Grenzen zwischen Gut und Böse ausgelotet hat; mit einem lachenden Auge freuen wir uns allerdings auch über ein neues Trinkspiel, in dem immer dann ein Schnaps getrunken werden muss, wenn solch textliche Plattitüden wie „bitter pill“ oder „I will swallow my pride“ fallen. Ihr werdet garantiert nicht nüchtern bleiben.

ALLERLEI EINERLEI

THE TALLEST MAN ON EARTH
There’s No Leaving Now
Dead Oceans / Cargo Records

Lieber Folk. Wir müssen reden. Du begleitest mich jetzt schon so lang in meinem Leben, ich kenne dich in allen möglichen Verkleidungen und fand manche davon ziemlich super und manche davon eher anstrengend, aber eigentlich mochte ich dich immer noch, auf guten wie auf schlechten Platten. Aber jetzt kann ich nicht mehr. Du willst mir den siebenundzwanzigsten Bob-Dylan-Verschnitt unterjubeln, der quasi in der freien Natur groß geworden ist, live auch angeblich einen so bodenständigen Charme mitbringt, dass die Frauenherzen schmelzen, und, Alter!, Melancholie und der ganze Kram – aber das geht so nicht. Der Typ klingt immer noch, als wäre er aus der Kinder-Country-Werbung gehüpft gekommen und als würde er unter „reiten“ echt was anderes verstehen als die Zielgruppe. Das ist Simon ohne jeglichen Garfunkel. Ich ertrag’ diesen Käse einfach nicht mehr. Das ist nicht romantisch, das ist nervtötend. Ehrlich. (Und ich will ja gar nicht gleich die Scheidung, aber – vielleicht wenigstens Cass McCombs so als Kompromiss, anstatt dieser Heultöle? Denk’ wenigstens mal darüber nach.)

CAROLINE INGALLS

THE ENEMY
Streets in the Sky
Cooking Vinyl

Tom Clarke hat angeblich seine Farm verkauft und ist zurück in die Stadt gezogen, weil er „näher an einer guten Bäckereikette wohnen wollte“. Mit anderen Worten ist ihm die Kohle ausgegangen. Er verließ Warner und trinkt nun bei Cooking Vinyl, einer Art Salon zur letzten Hoffnung der Musikindustrie. Wird er das Schicksal noch ein letztes Mal besiegen können? Die Antwort lautet natürlich nein. Seine Fans sind jetzt alle 20, nicht mehr 15, sie hören prolligen Dubstep und interessieren sich einen Dreck für die Pseudo-Revolution, die Tom damals anzetteln wollte. The Enemy hätten heute auch Revolver veröffentlichen können, ohne damit noch einen Unterschied zu machen. Nur um es klarzustellen: Die Rückkehr zum bissigen Punk war die richtige Entscheidung. Schade, dass es niemand mehr erfahren wird.

ELIZA GRANT