Beatport, Dixon, Stil vor Talent, Bar 25, „Sonnentanz”—zum Begriff Techo-House fallen einem auf Anhieb viele bekannte Assoziationen ein. Das Genre ist zu einem der wichtigsten Aushängeschilder der elektronischen Musik geworden; zu einem Sammelbecken für ein paar wenige Innovationen—und ziemlich viel eintönigen, immergleichen Kram, der die Downloadportale flutet. Bis vor Kurzem war Tech-House das meistgekaufte Genre auf Beatport. Mittlerweile wurde es zwar durch Techno abgelöst, dennoch steht es mit Labels wie Suara, Toolroom, Hot Creations und Katermukke nach wie vor für eine vitale Massenbewegung. Eine Massenbewegung der Langeweile und Einfalt. Wie aber konnte sich Tech-House etablieren? Was ist das eigentlich überhaupt?
Der Sound aus dem Computer
Ähnlich wie Deep House ist Tech-House eines dieser Schlagwörter, die man häufig hört, von denen aber keiner so genau weiß, was es sein soll. Eine Mischung aus Techno und House, das verrät schon der Name. Natürlich. Aber was ist das für eine Mischung?
Videos by VICE
Die Hi-Hat, die Kick und die Snares klingen beim Tech-House wie im Techno, allerdings meistens deutlicher cleaner. Der Bass gibt dabei gerne ein bisschen Funkyness vor und das Tempo ist mit 120-125 BPM deutlich geringer als in allen Spielarten von Techno. Der Rhythmus ist sehr einfach gehalten, es gibt kein Shuffling oder (angetäuscht) Taktverschiebungen wie im Broken Beat. Vom House nimmt man gerne allerlei Samples von Vocals und Gitarren, oft werden diese aber auf dem Rechner digital nachgespielt. Mitunter nimmt man auch Synthesizer-Samples, die mehr an den Techno Marke Detroit erinnern. Beispielhaft ein aktueller Track, der in den Tech-House-Charts von Beatport auf Platz 4 ist:
Bewegt man sich ein paar Jahre zurück, landet man Mitte der 2000er Jahre in einer der Hochphasen des Tech-House. Es war die Zeit, als die Bar 25 eines der großen Insignien der Clubkultur in Berlin war. Auch hier finden sich einige Tracks, die unter die Kategorie Tech-House fallen. „Rej” von Ame zum Beispiel. 2005 auf Innervisions erschienen. Wie Tobias Rapp treffend schreibt, wurden mit dieser Nummer damals „die Grenzen zwischen House, Electro und Techno so durchlässig, dass sich gar nicht mehr eindeutig sagen ließ, im Puls welchen Dancefloors das Stück eigentlich schlug.” Jeder DJ hatte sie in seinem Plattenkoffer bzw. seinem CD-Case, denn auf diese konnten sich alle einigen. Ein „mächtiger Tech-House Groove”, wie Rapp fortfährt, ein „von allem Schnickschnack entschlackter Klassiker, perfekt bis ins kleinste Detail.”
Es war auch ungefähr die Zeit, als Labels wie Diynamic und Stil vor Talent entstanden und wenig später bereits erfolgreich in den Beatport-Charts waren. Solomun, H.O.S.H., David August und Oliver Koletzki waren die Protagonisten.
„Kill Tech-House”
„Kill Tech-House” stand vor zwei Jahren wiederum auf einem Schild, welches Damiano von Erckert in seinem Studio hochhielt. Der Kölner Produzent ist dafür bekannt, sich musikalisch nicht nur auf ein Genre zu beschränken. Die Botschaft auf dem Schild war jedoch mit einem Augenzwinkern gemeint: „Es ist nicht so, dass ich Musik, die mir nicht gefällt oder meiner Meinung nach seelenlos ist, aggressiv oder gar gewalttätig gegenüber eingestellt bin.” Aber: „Es gibt Dinge, die sind für mich indiskutabel und in Stein gemeißelt. Aus der Perspektive eines Musikliebhabers, Produzenten und Musiker.”
Zu den indiskutablen Dingen gehört für von Erckert der Tech-House der vergangenen Jahre, spätestens ab 2002. Vorher gab es zwar auch bereits Tech-House-Tracks, die wie die heutigen Vertreter mehr direkt am Rechner produziert wurden—und nicht am MPC wie noch die ersten Tracks aus Chicago und Detroit. Allerdings waren diese, erstens, noch mehr dem alten Sound verhaftet, wenngleich sie deutlich drückender waren. Zweitens, basierten sie mehr auf Loops als die späteren Sachen. Als Beispiel nennt der Kölner einen Track von John Tejada, im Remix von VIP, auch wenn allein dieser Name auch schon eher schwierig sei, wie der Produzent schmunzelnd anmerkt.
Die inflationäre Verwendung des Begriffs rührte aber auch hörer- wie produzentenseits von Bequemlichkeit her: Alles, was irgendwie etwas schief von Techno oder House Richtung Pop abwich, wurde direkt als Tech-House klassifiziert.
Die Beatport-Schwemme
Auf die Frage, welches Bild er beim Gedanken an den Tech-House der letzten 15 Jahre im Kopf hat, antwortet von Damiano von Erckert: Beatport. Und das ist nur allzu logisch, ist der heutige Erfolg von Tech-House doch untrennbar mit dem Aufstieg des Downloadshops verbunden.
Durch eine aggressive Marketing-Politik mit Exclusive-Deals konnte das Portal eine Quasi-Monopolstellung erreichen. Dazu gehörten und gehören aber auch entsprechende Labels und Produzenten, die jede Woche Tonnen von eindimensionaler Fertigware auf den Markt werfen, so wie es ab 2005 geschah. Man hatte das Gefühl, dass eine ganze Nation voller Tech-House-Produzenten aus einer vergessen Zeit zum Leben erweckt worden war, um nun den Max-Mustermann-Sound bis in den letzten Winkel der Erde zu verbreiten.
Für von Erckert waren es aber nicht mal die Releases der erfolgreichen Labels wie Diynamic oder Innervisions, die das zentrale Problem des boomenden Tech-House waren, vielmehr waren es die zahlreichen Imitate, die in der Folgezeit aufkamen:
„Die Musik aus Hamburg und dem Rhein-Main-Gebiet damals war nicht der absolute Vollschrott. David August zum Beispiel, den ich persönlich sehr mag und der ein Kumpel von mir ist, hat sich auch weiter entwickelt und hat mit dieser Musik nichts mehr zu tun. Obwohl wir komplett unterschiedlich sind.”
Und da ist etwas Wahres dran. Jeder fängt mal klein an und macht rückblickend zweifelhafte Musik. Aber was es eben bei den meisten Tech-House-Produzenten nicht gibt, ist eine Weiterentwicklung. Stattdessen wird immer wieder das gleiche Prinzip durchexerziert.
Der Groove verschwindet
Alle im Tech-House auftauchenden Instrumente werden synthetisch imitiert. Man verwendete keine Original-Klänge oder Samples. Die musikalischen Ursprünge elektronischer Musik kommen im Tech-House zwar hin und wieder vor, allerdings nur als kontextloses Zitat. Vom dazugehörigen Groove bleibt nichts mehr übrig. In nahezu jedem Track klingen Drums und Hi-Hat gleich. Komprimierter Klang ohne irgendeine Verspieltheit im Detail. Alles ist clean und dumpf zugleich.
Wenn der Sound von Industrial-Techno mit dem einer Waschmaschine mit 20 Euro Kleingeld im Vollschleudergang zu vergleichen ist, wäre Tech-House dementsprechend der Sound beim langsamen Auslaufen. Mit einer Unwucht in der Trommel.
Tech-House ist vorhersehbarer als jedes Sequel von Hangover. Es ist nicht die Frage, was passieren wird, sondern lediglich wann. Jeder Track fängt mit einem zweiminütigen Intro aus Bass und Drums an, bevor ein Break kommt. Dann singt diese komische Stimme, die früher in der Talkshow von Arabella Kiesbauer bei Szenen mit der Schattenwand benutzt wurde, irgendwas Poppiges und ab geht es. Drop-In. Der Bass drückt, er ist breit aber ohne jede Akzentuierung.
So wie die meisten Leute auf der Tanzfläche. Die muskelbepackten V-Neck-Shirt-Gestalten gröhlen und heben die Hände in die Luft, um danach den Ausdruckstanz der Einfältigen zum Besten zu geben.
Drei Stunden lang die selbe Bass Drum
Die ganzen Tech-House-DJs, deren bevorzugte Labels (Suara) oder Lieblingsclubs (alle Arten von Bar-25-Ablegern) gerne auch mal einen Katzenfetisch haben, spielen ihre DJ-Sets ohne Risiko. Die früheren Residents der Bar 25 legen seit etlichen Jahren in verschiedenen Clubs den immer gleichen Sound auf. Tech-House ist eine sichere Nummer. Vom Sparkassenangestellten, über den Kreativen, der irgendwas mit Medien macht, bis zum Erstsemester-Studenten der Kulturwissenschaften, können alle etwas daran finden. Konsens-Musik von und für die Massen. Der DJ kann dabei eine ruhige Kugel schieben.
„Das passiert nicht nur den Leuten aus dem Bereich Tech-House”, ergänzt Damiano von Erckert allerdings. Es sei allgemein eher ein „bisschen wie eine Krankheit. Und man merkt es erst, wenn es zu spät ist.”
„Ich will da keine Namen nennen. Aber ich kenne Leute, die unglaublich gute Platten produzieren, und wenn sie als DJ unterwegs sind, spielen die dann drei Stunden ein und dieselbe Bass Drum und Hi-Hat. Das liegt unter anderem daran, dass der Mut flöten geht. Am Anfang probiert man noch Platten aus. Mit der Zeit fangen viele aber aus den schlechten Erfahrungen heraus an, die alternativen Platten durch pumpende Nummern zu ersetzen.”
Aber können DJs ab einem gewissen Bekanntheitsgrad nicht alles Mögliche spielen? Etwa wenn man in der Luxusposition eines Four Tet oder Moodyman ist?
Ja, „die können dann auch mal eine Indie-Platte spielen”, meint von Erckert. „Moodyman hat mal ‘Rape Me’ oder irgendwas von Nirvana gespielt.”
Wenn er das allerdings selbst machen würde, würden die Leute sich verpissen. Ein DJ ist daher auch ein Stück weit ein Dienstleister, der das Publikum nicht komplett ignorieren könne. Deshalb müsse man aber keine Tracks spielen, die man selbst hasst.
Es können auch Tracks sein, die man in dem Moment vielleicht nicht mag, weil man sie tot gehört hat. Jedoch, so von Erckert, „wenn ich weiß, dass ich die Leute damit glücklich machen kann, spiele ich sie.”
Das Ende vom Film
So oder so: Ein gutes DJ-Set lebt von seinem Aufbau. Von Überraschungen und von Bewährtem. Das heißt: Man muss nicht permanent irgendwelche verrückten Stilwechsel vollziehen und avantgardistische Nerd-Musik spielen. „Ein gutes DJ-Set ist wie ein Film, jeder hat seine Lieblingsfilme und jeder hat verschiedene Momente, die er darin mag”, meint unser Interviewpartner. „Ein gutes Set hat auch die Momente der Berechenbarkeit, wie gute Filme. Dadurch entstehen Spannungsbögen. Wenn alles nur trocken reinkommt, ohne Cymbal oder Snare Roll, oder: erst Vocals und dann Bass, dann ist es auch langweilig.”
Und da wären wir wieder bei der Tech-House-Malaise.
Den Versuch, Spannungsbögen zu kreieren, unternehmen die meisten DJs hier nur unzureichend. Auch jene, die nichts mit der Musik von Suara, Toolroom und Katermukke zu tun haben. Nicht alle sterbenslangweiligen Sets sind Tech-House-Sets. Aber Tech-House-Sets sind eigentlich immer sterbenslangweilig. Ebenso ist es den einzelnen Tracks inhärent, keine signifikanten Variationen zu kennen. Es ist „Non-Music”, wie ein ehemaliger Ibiza-Resident es mal ausdrückte.
Wie Deep House, scheint auch Tech-House in seiner zeitgenössischen Form nicht totzukriegen. Er ist wie ein Zombie, der seit etlichen Jahren sein Unwesen in den Clubs überall auf der Welt treibt. Zeit, ihn zu vertreiben und Platz für etwas Besseres zu machen.
**
Immer neue Tweets: Folge THUMP auf Twitter.