Muzi mag es laut. „Loud as fuck”, um genau zu sein. Führt man sich die letzten Releases des südafrikanischen Produzenten vor Augen, überrascht das wenig. Aufgewachsen im Empangeni Township, entdeckte Muzi als Teenager den großspurigen Sound von EDM-Ikonen wie Deadmau5 und Skrillex—und war hin und weg. Heute treffen Großraum-Synthies in Muzis Musik auf Kwaito-inspirierte Drums und autogetunte Zulu-Vocal-Fetzen.
Ein Sound, mit dem Muzi in den letzten Jahren jedes besser besuchte Festival in Südafrika zum Ausrasten gebracht hat.
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Ein Sound, der Muzi bereits Lob von Helden wie The Prodigy einbrachte.
Und zu guter Letzt ein Sound, der den Medizinstudiumabbrecher Muzi zum Exil-Südafrikaner machte.
Besucht man Muzi nun in seinem neuen Zuhause, guckt man erstmal dumm aus der Wäsche. Als es den Produzenten vor einigen Monaten von Johannesburg in die Hauptstadt der BRD verschlug, landete der Mittzwanziger in Berlin-Tempelhof. Seitdem schmücken Fassaden in Rentner-Beige die Straßen, durch die sich Muzi tagtäglich seinen Weg mit dem Brett bahnt. „Ich bin gerne zuhause oder fahre mit meinem Skateboard hier rum”, erzählt er.
Auf Berlins Club-Dichte angesprochen, reagiert Muzi unaufgeregt. Clubs seien nicht so seine Leidenschaft. Stattdessen konzentriert sich Muzi lieber aufs Wesentliche, hängt vorm Laptop und arbeitet am größeren Ziel: der Außerkraftsetzung von Grenzen. Dafür hat er THUMP auch einen exklusiven Mix mit zahlreichen „Shandis” (Erklärung unten) gleich drei neuen, noch unveröffentlichten Tracks—„Township Mosaic”, „Boom Shaka” und „What The Fuck You Mean”—gemischt, bevor demnächst sein Debütalbum erscheint.
Den Mix kannst du dir nachfolgend anhören, während du dazu unser Gespräch mit Muzi über Soundcloud-Statistik, Milchshakes und das moderne Südafrika liest.
Muzi, was hat dich nach Berlin verschlagen?
Ich brauchte eine Veränderung. In Südafrika konnte ich zwar von der Musik leben, weil ich viel aufgelegt und für andere Artists produziert habe, doch ich fühlte mich missverstanden. Ich habe dann ein wenig Recherche betrieben, um herauszufinden, welcher Ort sich besonders für elektronische Musik eignet—und so landete ich in Berlin. London war schließlich viel zu teuer. (lacht)
Du hast aber schon vor deinem Umzug ein internationales Publikum, oder?
Ja, das ging 2013 mit meiner ersten EP, „Bundu FX”, los. Ich habe die damals auf Soundcloud gestellt und mir die Statistiken angeguckt, wo meine Musik am häufigsten gehört wird. Deutschland stand an erster Stelle, direkt vor den USA, Brazilien und UK. Südafrika kam lustiger Weise ganz am Ende. (lacht) Und das, obwohl meine Musik durchaus auch in Südafrika lief.
Ist Soundcloud denn in Südafrika weniger populär als hier?
Nein, aber ich glaube, dass Südafrikaner nicht auf Soundcloud gehen, um südafrikanische Musik zu hören, sondern um andere westliche Künstler auszuchecken.
Wie hast du dir in deiner Heimat einen Namen gemacht?
Vor meinem ersten Release habe ich vor allem HipHop-Beats produziert. So lernt dich aber kaum jemand kennen. Und weil ich meinen eigenen Namen und meine eigene Musik unter die Leute bringen wollte, habe ich angefangen, als Muzi zu veröffentlichen. Der Erfolg kam natürlich nicht über Nacht. Ich habe etliche Promoter für Gigs kontaktiert und mir langsam einen Namen erspielt. Nach zwei Jahren spielte ich dann auf fast allen großen Festivals und in etlichen Clubs in Südafrika—fast immer vor weißem Publikum. Aber mir war das damals egal. Ich hatte schließlich nur die Musik. Und sie war mein Weg, an das Geld der anderen Leute zu kommen. (lacht) Ich wollte auch ursprünglich nie DJ werden, aber ich hatte es satt, immer nur ein paar Pennies für die Produktionen anderer Artists zu bekommen. Und dann beschloss ich, in meinen Sets eigene Tracks zu spielen. Das wurde mein Weg, als Artist zu performen.
Erinnerst du dich an deine ersten Berührungen mit elektronischer Musik?
Ja, ich muss neun oder zehn Jahre alt gewesen sein. Mein Bruder hatte eine „BUMP”-CD: eine Compilation, auf der DJs aktuelle Tracks mixten. Da war ganz viel Big-Room-Zeug drauf. Ich dachte nur: „What the fuck?!” Ich hatte so etwas noch nie gehört. Angefangen, zu produzieren, habe ich aber erst mit zwölf oder dreizehn, als meine Mom uns einen Computer kaufte. Der hatte vielleicht 128 MB Ram und ‘ne 20 GB große Festplatte—unfassbar whack! Aber für uns war das die Welt. Darauf haben wir erste Beats gemacht, mit Cubase One und eJay. Irgendwann kam mein Bruder dann mit einer gecrackten Version von Fruity Loops nachhause. Und das ist bis heute die Software, mit der ich arbeite. Sollte ich an einen Punkt kommen, an dem andere Kids zu mir aufschauen, dann sollen sie kein riesiges, unbezahlbares Studio sehen, sondern mein einfaches Setup. Ich mache alles am Laptop mit Fruity Loops: Aufnehmen, Mixen, Mastern.
Ich komme aus einer schwarzen Familie. Da kann ich nicht einfach sagen: Yo Mom, ich mache jetzt Musik! Im dritten Jahr habe ich dann aber das Medizinstudium geschmissen.
Du bist im Empangeni Township in der Nähe von Durban großgeworden. Schien es dir je eine realistische Perspektive, von der Musik zu leben?
Hell no! Das hat sich eher so ergeben. Als ich zur High School ging, habe ich Beats von Timbaland und Pharrell studiert, um für andere Rapper zu produzieren. Doch nach der High School habe ich Medizin studiert. Ich liebte Musik über alles, aber ich hatte nie eine Vorstellung davon, wie ich damit meinen Unterhalt bestreiten sollte. Außerdem hatte ich Angst. Ich komme aus einer schwarzen Familie. Da kann ich nicht einfach sagen: „Yo Mom, ich mache jetzt Musik.” Im dritten Jahr habe ich dann aber das Studium geschmissen. Es wurde einfach zu viel. Ich habe die ganze Zeit Musik gemacht und bin kaum noch zum Unterricht gegangen. Außerdem habe ich es gehasst, tote Menschen zu sehen. (lacht)
Wie haben deine Eltern reagiert, als du die Medizin gegen die Musik getauscht hast?
Gar nicht gut. Ich bin mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Und für sie war es ein Albtraum, dass ich meine Ausbildung hinschmeiße. Die Musikindustrie hat auch einen schlechten Ruf, meine Mutter dachte wohl, dass ich nur Drogen nehme und Girls treffe. Ich habe ihr aber erklärt, dass ich nur Milchshakes trinke. Milchshakes sind der Shit!
Konntest du denn von der Musik leben, als du das Studium hingeschmissen hast?
Als ich Beats an Rapper verkaufte, war das ein extra Taschengeld. Ich habe damals etliche Leute über Facebook kontaktiert und ihnen Beats geschickt. Und pro Beat nahm ich zehn Euro. (lacht) Das war für mich unfassbar viel Geld. Also habe ich mir vorgenommen, mich mit zehn Beats im Monat über Wasser zu halten. Parallel dazu fing ich an, auch in andere südafrikanische Städte zu fahren, um Leute kennenzulernen. Und ich merkte, dass ich wirklich Musik machen will. Meine erste EP kam dann zwei Jahre nach dem Schulabbruch. Ich brauchte eine Weile, um an meinem Sound zu arbeiten und ein Selbstvertrauen aufzubauen. Ich musste erst für mich selbst lernen, dass ich als schwarzer Mensch elektronische Musik machen kann.
Du hattest also das Gefühl, aufgrund deiner Hautfarbe nicht die Musik produzieren zu können, die du produzieren wolltest?
Naja, du siehst in Südafrika halt kaum jemanden, der schwarz ist und elektronische Musik macht. Also setzt sich tief in deinem Kopf der Gedanke fest, dass du das auch nicht könntest. Selbst als ich schon auf großen Festivals performte, war das noch ein Thema, denn ich war oft der einzige schwarze Typ auf dem Line-Up. Ich musste mich erst selbst davon überzeugen, dass ich das Zeug zu dieser Musik habe. Südafrika war da nicht allzu hilfreich. (lacht)
Wie steht es denn um einen Stil wie Kwaito? Der hat doch seinen Ursprung in Südafrika und ist eindeutig elektronisch, oder?
Ja, Musik wie Kwaito und Maskandi hat mich auch total beeinflusst. Aber ich bin eben auch mit Leuten wie Deadmau5 und Linkin Park aufgewachsen. Ich meine, ich singe Zulu-Vocals in meinen Tracks und führe das mit westlicher elektronischer Musik zusammen. Meine Musik ist genauso afrikanisch wie europäisch oder amerikanisch, glaube ich.
Du siehst in Südafrika kaum jemanden, der schwarz ist und elektronische Musik macht. Also setzt sich tief in deinem Kopf der Gedanke fest, dass du das auch nicht könntest.
Hast du die Erfahrung gemacht, dass Leute hier ignorant sind gegenüber Musik, die nicht aus Europa oder Amerika kommt?
Ich hatte das Gefühl, dass besonders Techno sehr engstirnig ist. Aber ich bin das irgendwie gewohnt. Ich erwarte nicht, dass alle meine Musik verstehen. In Südafrika habe ich diese Erfahrung oft genug gemacht: „Oh ja, ich verstehe die Zulu-Vocals, aber was ist mit der Musik? Warum ist sie so laut?”
Warum ist sie denn so laut?
So bin ich aufgewachsen. Bei uns gab es traditionelle Familienrituale, bei denen Frauen auf riesige Trommeln schlagen. Das war höllisch laut, du konntest die Person neben dir nicht verstehen. Seitdem sind laute, dicke Drums mein Shit! Sie erinnern mich an ein Gefühl aus meiner Kindheit. Meine Tracks sollen drücken, ich will genau dieses Feeling rüberbringen. In der Form führe ich eine afrikanische Tradition fort.
Geht es um die Drums, die man in deinem Video zu „Nizogcwala” sieht?
Ja, genau! In der Regel spielen aber Frauen diese Drums, im Video war ich das. Ich trage dabei auch traditionelle Kleidung, und absurder Weise wurde ich dafür in Südafrika schief angeguckt—als sei ich eine Schande. Warum zur Hölle? Ich finde, Afrikaner zu sein ist cool as fuck! Aber scheinbar sind selbst Afrikaner in Afrika nicht davon überzeugt. (lacht)
Im Video sieht man außerdem eine traditionelle Zeremonie, bevor du auf deinem Skateboard durch die Stadt fährst.
Ja, wir haben mit einem traditionellen Heiler gedreht, und er bat mir für den Dreh einen Segen an. Da konnte ich natürlich nicht nein sagen. Und jetzt sitze ich in Deutschland—Shout-out an den Heiler! (lacht) Ich wollte mit dem Video zeigen, was es bedeutet, ein moderner Afrikaner zu sein. Du wirst groß mit traditionellen Zeremonien, gleichzeitig gibt es aber auch andere Religionen, Jesus und überall Fernsehen. Da prallt so viel aufeinander, man steht stets zwischen afrikanischen und westlichen Einflüssen. Und mir ist der afrikanische Background eben wichtig.
Obwohl du dich ja eher an einem westlichen Sound orientierst.
Ja, das stimmt. Damit habe ich wohl meine Mitte gefunden. Ich liebe elektronische Musik. Ich liebe es, laute Musik auf Festivals zu hören. Aber ich liebe es genauso, in bestimmten Situationen traditionelle afrikanische Kleidung zu tragen. Warum auch nicht?
Sowohl deine letzte EP als auch dein kommendes Album hast du bereits in Berlin produziert. Hatte der Umzug eine Auswirkung auf deine Musik?
Definitiv. Weil hier so viel Techno in den Clubs läuft, fing ich an, mir Gedanken darüber zu machen, was Techno eigentlich ausmacht. Und das, was mich wirklich faszinierte, war der minimalistische Ansatz. Produktionen auf ihr Wesentliches zu reduzieren ist unfassbar schwierig. Du brauchst eigentlich nur die Basics, aber sie müssen dennoch genug sein. Ich glaube, meine Musik ist heute vielmehr aufs Wesentliche herunter gebrochen—ob man das auch hört, weiß ich nicht. (lacht)
Auf deinem Thump-Mix sind eine Handvoll „Shandis” aktuelle bekannter Tracks. Was hat es damit auf sich?
Oh, ja, das sind eigentlich Edits. „Shandis” ist in Südafrika ein Platzhalter für alles mögliche. Anstelle von „that shit” sagt man „shandis”. Es gibt so viele Bootlegs und Edits, also nenne ich meine Versionen lieber „Shandis”. (lacht) Ich glaube, man hört meiner Musik an, dass ich mich von vielem inspirieren lasse. Und das versuche ich auch in meinen DJ-Sets zu spiegeln. Ich sehe Mixe als einen Weg, den Artists etwas zurückzugeben, die mich inspiriert haben.
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