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Plus Size-Models werden immer noch anders behandelt als dünne Models

Dass es immer mehr Übergrößen-Models gibt, ist begrüßenswert. Dass sie eher für die Freakshow zuständig sind, eher weniger.
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung der Autorin

Ich bin Plus Size-Model. Auf diesen Fakt gibt es vor allem 2 Reaktionen: große Fragezeichen in den Augen des Gegenübers, oder ein etwas bedauerliches "Wow ist ja toll!". Das ist es natürlich auch. Ich mochte es schon immer, vor der Kamera zu stehen, ich liebe Inszenierung, und auch vor dem Modeln habe ich schon Jahre in der Mode gearbeitet.

Was ich aber gar nicht liebe, ist dieser unzulängliche Begriff, der in jedem Land und manchmal sogar in jeder Agentur etwas anderes heißt. In Italien ist die Konfektionsgröße 36 schon plus size, in Amerika ist es mal eine 38 und mal eine 52, in Österreichs erster Plus Size Miss Wahl ist es alles ab Konfektion 44.

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Und obwohl ich diesen Job noch nicht allzu lange mache, sind mir in diesem Business schon mehr Verwirrung, mehr Bevormundung und mehr Absurditäten begegnet, als ich es sogar vom „normalen" Model-Betrieb erwarten würde.

Plus Size Models und ihr Gewicht werden von einer Fanbase genauso gefeiert und verteidigt, gerade zu gehypet, wie das bei den klassisch dünnen Models der Fall ist. Bestimmte Figurtypen werden selbst dann noch idealisiert, wenn ganz augenscheinlich die Grenzen zu einem gesunden Dasein weit hinter ihnen liegen—auch in dem Punkt unterscheidet sich Plus-Size nicht von dünnen Models.

Ich persönlich finde es ist immer gefährlich, körperlichen Extremen nachzueifern, egal ob dünn oder dick. Beides ist ungesund, beides ist ab gewissen Grenzen nicht mehr ästhetisch und beides ist eine Essstörung allererster Güte.

Versteht mich nicht falsch, ich bin selbst laut BMI „sehr übergewichtig", aber ich bewege mich viel und gerne, esse richtig und bin gesund. Schwierig ist für mich der Hype rund um Models wie Tess Holiday, dem knapp 1,60 Meter großen Plus Size-Supermodel aus den USA. Sie wurde erst ab Größe 52 unter Vertrag genommen und ist seither extrem erfolgreich. Als ich das erste Mal von ihr hörte, fand ich ihre Botschaft auch noch extrem gut: Sie sprach von positiven Körperbildern, von „body positivity"; sie betete in Interviews vor, dass man sich selbst lieben und für sich einstehen müsste—ganz egal welche Konfektion.

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Dass Dicke eben nicht nur lustig sind, sondern auch sexy sein können—und zwar nicht nur deren Gesicht, sondern auch der kurvige Körper—und dass sie sogar mit der Zurschaustellung ihrer körperlichen Attribute sehr erfolgreich sein können, ist eine Botschaft, die ich bis dahin viel zu selten gehört hatte. Ich war also Fan.

Das hat sich geändert, als ich mir einen Instagram-Account zulegte. Hier posierte sie gerne fast bis komplett nackt, in aufreizender, aber keineswegs immer vorteilhafter Pose, meistens den Po Richtung Kamera gedreht, zeigte ihre Dellen und inszenierte ihre Speckrollen. Das alles kann man als Statement verstehen.

Auch das finde ich an sich gut und begrüßenswert—immerhin sollte auch dieser Teil unserer Wirklichkeit sichtbar sein und Imperfektion genauso existieren dürfen wie Photoshop-Perfektion. Das Beispiel hat im Plus Size Bereich viele Nachahmer gefunden. Was ich dabei aber weniger verstehe, ist, warum man für solche Statements nackt sein muss—und warum sich viele Plus Size dafür feiern lassen, während gerade sie auf der anderen Seite über die billigen Aufmerksamkeits-Heischerei einer Micaela Schäfer und anderer ablästern.

Die Reaktionen unter den Posts loben und bejubeln meistens nicht nur den Mut der Models, sondern vor allem Konfektionen ab 58, inklusive einschlägiger Hashtags, bei denen es weniger um Models oder Plus Size geht, als um die Freakshows und körperliche Extreme. Auch hier verstehe ich nicht, warum diese Models sich für das eine Extrem feiern lassen, während sie sich auf der anderen Seite über ungesunde, knochige Mager-Models aufregen. Ich finde, keine extreme Essstörung—weder krankhaft zu viel, noch krankhaft zu wenig Essen—sollte so gefeiert werden. Zumindest will ich bei dieser Feier nicht mitmachen.

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Leider zeigte sich dasselbe Phänomen auch abseits des Internets sehr sehr plastisch bei der letzten Curvy Fashion Fair in Berlin—an sich eine supercoole Veranstaltung, die man wahrscheinlich zurecht als eine Art Fashion Week für Plus Size bezeichnen kann, mit tollen Labels und Modeschauen.

Als ich dann dort ankam, wurde mir gleich mal etwas Süßes angeboten. Ich steh auf Süßes und hab's gegessen, mir hat gefallen, dass mir was angeboten wird da solche Tage doch sehr lang und anstrengend sein können. Das hat sich allerdings jeden Tag wiederholt: Es gab Eis, süße Getränke, Energy-Drinks, Gummizeug in Hülle und Fülle—und es wurde kräftig zugelangt, denn alles, was gesund war, musste von den Models extra bezahlt werden.

Während man sich also gratis zu einem Plus Size-Model rauf essen konnte, musste man für den Avocado-Lachs-Salat die Geldbörse auspacken. Erst, als ich dann im Hotel über den Tag sinniert habe, ist mir bewusst geworden, wie absurd das eigentlich ist.

Ich bin schon länger im Mode-Business aktiv und habe nie auch nur eine Veranstaltung besucht, in der es ausnahmslos Süßes als Gratis-Essen und Trinken gab. Wenn, dann waren es kleine gesunde Häppchen—wie bei der diesjährigen Vienna Fashion Week. Natürlich könnte das auch von hinten gedacht sein: Vielleicht liefern die Messe-Betreiber nur, was sich die Gäste tatsächlich erwarten.

Andererseits: Wer garantiert, dass nicht auch dünne Models zugreifen würden, wenn ihnen bei den Shows immer Süßigkeiten vorgesetzt werden würden? Und wer sagt, dass dicke Models nicht auch deshalb dicker werden, weil die Menschen in ihrem Umfeld immer genau das tun, von dem sie glauben, dass dicke Models es sich erwarten, wie bei einer selbsterfüllenden Prophezeiung?

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Das Signal war jedenfalls, dass es absolut OK ist, den ganzen Tag gemeinsam Blödsinn zu essen. Gerade als Model weiß ich, dass ich genauso auf mein Gewicht und meine Gesundheit achten muss. Dass ich mehr wiege, heißt nicht, dass ich mich von Gummibärchen ernähre—und mich stört diese Annahme, die durch solche Gegebenheiten sprichwörtlich Futter bekommt.

Wenn dicke Models nicht retuschiert werden und dünne schon, zeigt das nicht, dass alle Frauen natürlichen Makel haben. Es tut so, als ob diesen Makel nur Dicke hätten.

So mutig die Plus Size-Models mit ungesundem Essen und nackten Tatsachen sind, so mutig ist man auch bei der Retouche von Plus Size-Models. Wobei „mutig" hier vielleicht nicht das richtige Wort ist. Der Punkt ist nämlich: Bei Plus Size wird die Retouche gerne auch mal ganz weggelassen. Sicher, das wirkt auf den ersten Blick authentisch und wie ein starkes Statement. Immerhin geht es bei Plus Size ja um entwaffnende Ehrlichkeit und darum, Dinge zu zeigen, die sonst nicht gezeigt werden.

Aber wenn man einen Schritt weiter drüber nachdenkt, wird hier mit zweierlei Maß gemessen. Schließlich wird jedes gewöhnliche Bild, das für Werbezwecke benutzt wird, von oben bis unten durch retuschiert.

Egal, ob es sich um Menschen, Landschaften oder Essen handelt, alles ist auf irgendeine Art „geschönt" und so angepasst, dass es zu dem passt, was wir momentan als Werbe-Ästhetik verstehen. Ob das gut oder schlecht ist, kann man natürlich diskutieren. Was mir aber wirklich nicht gefällt, ist die Tatsache, dass auch hier Unterschiede zwischen Plus Size und allem anderen gemacht werden.

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Bei dünnen Models wird jede Falte, jedes Grübchen, jede Unebenheit sofort wegretuschiert. Bei Dicken nicht. Das ist das Gegenteil von der Idee, die natürlichen Makel zu zeigen, die nun mal jede Frau hat. Es ist ein Weg, um so zu tun, als ob diesen Makel erst recht wieder nur Dicke hätten.

Auch bei dünnen Models kenne ich welche mit Cellulite, Dehnungsstreifen und Falten—und ja, vor allem auch solche, die in zu enger, einschnürender Kleidung wie Würste aussehen, obwohl sie nur 50 Kilogramm wiegen. Ich schaue und lese leidenschaftlich gerne Hochglanz-Modemagazine aus der ganzen Welt, in denen Mode auf ihre extremsten Arten inszeniert wird—mit Bildern, die aussehen wie avantgardistische Kunstwerke, die auch an der Wand hängen könnten.

Aufregendes Licht, experimentelles Make-up und weirde Haar-Kreationen, fotografiert an den schönsten und unwirklichsten Orten der Welt. Aber eines haben alle Werke gemeinsam: das Model ist dünn.

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Ich würde mir mehr Abwechslung wünschen—auch für mich selbst, denn genau solche Aufträge, bei denen man nicht der Freak am Rande ist, sind die spannendsten. Ich wünsche mir Jobs, bei denen Plus Size-Models eine Alternative aufzeigen, aber mit demselben Respekt und der gleichen Professionalität behandelt werden wie dünne Models—vom Essen bis zur Retusche.

In der Praxis nehme ich natürlich trotzdem fast alles an, was man zugesagt bekommt—denn in Wien ist es ohnehin nicht leicht, an Jobs zu kommen. Wenn es einem gelingt, auf Dauer viele Shoots an Land zu ziehen und wirklich über einen geschrieben wird, passiert das fast nie ohne doppeldeutige Anspielungen, die nichts erreichen, außer den Graben zwischen dünnen Models und Plus Size-Models noch tiefer zu machen.

Da wird dann mit Floskeln wie „dick im Geschäft", „nur echte Frauen haben Kurven" oder „Frauen mit Format", herum jongliert. Kate Moss hat Format, ist eine echte Frau und dick im Geschäft—ganz genauso wie Mia Tyler, Schwester von Liv Tyler und ein sehr erfolgreiches Plus Size-Model. Was macht diese Attribute für einen Beitrag über mich passender als für einen Beitrag über Austria's Next Topmodel?

Andererseits muss man sich vermutlich auch keiner Illusion hingeben: Fairness, Rücksicht und Ausgewogenheit waren noch nie die Top-Eigenschaften der Mode-Industrie. In Wirklichkeit machen es gerade die Widersprüchlichkeiten, Absurditäten und das ständige Herumreiten auf Unterschieden irgendwie auch so reizvoll wie es nun mal ist. Und wenn man ehrlich ist, sind das Unechte, Inszenierte und Aufgehübschte genauso ein Teil vom Modeln wie der Luxus und die Abgründe. Ich würde mir nur wünschen, dass wir alle gleich stark wie Freaks behandelt werden.

Ina Holub ist ein österreichisches Plus Size-Model. Hier findet ihr mehr Infos zu ihr.