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Wie gründe ich meine eigene Sekte?

Christopher Allman will eine Alternative zu den Massensuiziden, Kinderschändungen und dem Inzest der üblichen Sekten bieten. ,Die Menschen von Ieya' heißen euch willkommen!

1978 tranken mehr als 900 Menschen mit Zyankali vergiftetes „Koo​​l-Aid" und starben bei einem Massensuizid in Jonestown, einer Siedlung der von Jim Jones geführten ​Volkstempe​l-Sekte im südamerikanischen Guyana. 1994 wurden insgesamt 48 Mitglieder der ​Sonnentempler-Sekte tot aufgefunden. Sie hatten sich in zwei schweizerischen Dörfern gegenseitig umgebracht, Selbstmord begangen oder waren in den Flammen eines selbstgelegten Feuers umgekommen. In den frühen Nullerjahren wurden die Leichen von fast 800 Anhängern der Weltuntergangssekte „Bewegung zur Wiederherstel​lung der Zehn Gebote" in Uganda exhumiert, die dort während eines ​Brandes in einer Kirche den Tod gefunden hatten.

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Es ist offensichtlich, dass etwas bereits furchtbar falsch gelaufen sein muss, wenn sich die mediale Aufmerksamkeit auf eine ​S​ekte richtet. Wenn du über den Wahnsinn und die Tode nachdenkst, die mit bekannten Gruppierungen wie der Volkstempel-Sekte in Verbindung gebracht werden, kannst du schnell zu dem Schluss kommen, dass auf Kulten und Sekten generell kein Segen liegt. Das muss aber nicht so sein, dachte sich der Chicagoer Künstler Christopher Allman und fing damit an, sich seine eigene „((((Sci-Fi))))-Sekte" aufzubauen, ,​die Menschen von Ieya'.

Es wäre sinnlos, Entstehungsgeschichte und Mythologie in wenigen Worten zusammenfassen zu wollen, denn bei der Sekte handelt es sich um futuristischen Unsinn, den Allman sich auf den Fingern gesogen hat (wie er selbst zugibt). Trotzdem hat der Kult ein humanistisches Fundament: Seine wichtigsten Werte sind Mitgefühl, Fairness, Aufrichtigkeit und Rationalität. Schaut euch die ​Internetseit​e an, wenn ihr mehr darüber wissen wollt.

Allman, der als Mormone in Utah aufgewachsen ist, bedient sich der nützlichsten und positivsten Elemente seiner religiösen Kommunen-Erfahrung und lässt die ​Massensuizide​Missbräuche und den ​Inzest einfach weg. In der Praxis bedeutet das Marihuana-inspirierte theologische Diskussionen beim gemeinsam zubereiteten Essen (gut), aber nicht, dass Anhänger gezwungen werden, ihre Familien zu verlassen, Gewänder zu tragen und ​Kinder​ umzubringen (schlecht).

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Ich habe mit Allman über seine Sekte gesprochen, darüber wie man auf Machtinsignien verzichtet und wie es ist, wenn das FBI dich ins Visier nimmt.

VICE: Was wäre der erste Schritt, wenn ich meine eigene Sekte gründen wollte?
Christopher Allman: Ich habe mich in den vergangenen zwei Jahren auf das Visuelle konzentriert. Ich habe versucht, eine Bildersprache und ein Glaubenssystem zu schaffen, also quasi die perfekte Gemeinschaft zu entwerfen. Ich bin auch aufgetreten und habe von meiner Idee erzählt. Die Menschen sind dann von allein auf mich zugekommen, weil sie teilhaben wollten. Da habe ich angefangen, Flyer zu verteilen, auf denen stand: „Willst du einer Sekte beitreten?" Bei denen, die tatsächlich beteiligt sind, nicht nur virtuell, handelt es sich um Freunde oder Freunde von Freunden.

Worin unterscheidet sich deine Sekte von einer Gruppe von Freunden, die rumhängen?
In mancher Hinsicht wohl gar nicht. Andererseits haben wir ja ein Ziel: Wir wollen bessere Menschen werden, Ideen teilen und diskutieren. Es ist formalisierter und strukturierter, als einfach nur rumzuhängen. Eine Person hat etwas mehr zu sagen, als wenn wir bloß befreundet wären. Einerseits finde ich das super, ich liebe es. Zur gleichen Zeit bin ich aber auch losgelöst davon. Ich glaube eben nicht wirklich daran, dass es Zeitreisende gibt.

Wenn du gar nicht an die Entstehungsgeschichte glaubst, dann bist du ja ziemlich von deiner Sekte entkoppelt, oder?
Meine Sekte hat Elemente eines Rollenspiels, wir verzichten bewusst auf Zweifel an der Glaubwürdigkeit. Du magst in Wirklichkeit vielleicht nicht an alles glauben, aber dir gefällt die Idee, weshalb du so tust, als ob du daran glaubst. Es ist eine Gruppenperformance, bei der jeder mitmacht.

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Auf deiner Internetseite beschreibst du auch deine ideale utopische Gemeinschaft.
Das passierte beiläufig. Ich habe einen Abschluss in Architektur und denke schon seit Langem über utopische Gemeinschaften nach. Viele Menschen haben ein Problem mit unserer modernen Großstadt- und Autokultur, sie wünschen sich ein Leben auf dem Dorf. Über so etwas habe ich häufig nachgedacht, von daher hat es sich einfach ergeben, dass ich mir eine utopische Gemeinschaft ausgedacht habe.

Jonestown ist nur eines der Beispiele dafür, dass Sektengemeinschaften häufig kein gutes Ende nehmen. Was möchtest du anders machen?
Viele Utopien basieren auf dogmatischen Ideologien. Ich lehne allerdings jedes Dogma und jede Ideologie ab, die Missbrauch und Korruption ermöglichen. Im Zentrum vieler Sekten steht außerdem eine Person. In meiner idealen Gemeinschaft würde das nicht passieren. Es würde nicht bloß eine Person im Mittelpunkt stehen, der der ganze Ruhm zuteil würde.

Weshalb hast du das Mormonentum aufgegeben?
Viele Menschen sind überrascht, wenn sie das hören, aber die Mormonen verlieren sehr viele Mitglieder, besonders junge Menschen. Hauptsächlich wegen des Internets und der Geschichte der Gemeinschaft. All diese Dinge sind jetzt online. Die Mitglieder können alles nachlesen und verlassen die Kirche in Scharen. Die offizielle Geschichte unterscheidet sich von der tatsächlichen. Irgendwann finden die Mitglieder das heraus und gehen.

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Was hält deine Familie davon?
Schwer zu sagen. Begeistert sind sie sicherlich nicht. Sie verstehen nicht wirklich, woher diese Ideen kommen, aber sie sagen mir das nicht ins Gesicht. Sie versuchen, mich zu unterstützen, aber nun, verständlicherweise finden sie es nicht toll. Es ist ja auch verrückt, eine Sekte zu gründen.

Anscheinend verrückt genug, um das Interesse des FBI zu wecken.
Ja. Das FBI beobachtet mich. Ich glaube, seit dem ersten Mal, als ich öffentlich aufgetreten bin. Wir waren im Park, zehn, fünfzehn Leute waren noch dabei. Da taucht dieser Typ auf und fragt, ob er sich dazusetzen kann. Er fängt an, allen Anwesenden merkwürdige Fragen zu stellen: „Wer hier trinkt Alkohol? Hebt eure Hand." Solche Sachen. Das war merkwürdig. Kurz danach stand mehrere Tage lang ein Transporter vor meinem Fenster. Einen Monat lang wurden ich, meine Freunde und meine Freundin offensichtlich überwacht. Sie haben nicht einmal versucht, das geheim zu halten. Sie wollten, dass wir wissen, dass wir überwacht werden. Ich stellte einen ​FOIA-Antrag, erhielt aber nur die Info, dass es weder bestätigt noch verneint werden könnte.

Was haben sie denn gemacht?
Das eine Mal war ich mit Freunden im Baha'i-Tempel. Sie sind uns offensichtlich hinterhergelaufen und haben Fotos gemacht. Sie sprachen mich an: „Hi Christopher." Wildfremde Menschen. Nachdem ich in Utah gewesen war, fragte einer von ihnen: „Wir war es in Utah?" Wieder ein wildfremder Mensch. Es waren so viele Dinge. Soweit ich weiß, folgen sie mir immer noch, aber mittlerweile heimlich. Mit dieser offensichtlichen Überwachung haben sie aufgehört.

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Wie geht es mit dem Kult weiter?
Ich fände es großartig, wenn er wachsen würde. Nach jedem Interview melden sich noch mehr interessierte Menschen. Es wäre doch schön, ein Dorf zu errichten als Alternative zum modernen Leben und kapitalistischen Strukturen. Ob das gelingen wird, weiß ich natürlich nicht. Ich hätte auch gern ein Gebäude für uns, für Kunst und Religion. Niemand muss daran glauben, es soll einfach nur Spaß machen und fiktional sein und befriedigend.

Was ist mit Steuerbefreiung?
Das habe ich noch nicht beantragt, möchte ich aber. Ich hoffe, ich kann die Sekte aufziehen wie eine richtige Religionsgemeinschaft. Bis jetzt ist die Gemeinschaft im Aufbau begriffen, wir vervollständigen gerade die Internetseite. Wir sind erst in der Anfangsphase.

Echte Sektenführer haben nie Feierabend, aber du legst deine Rolle ab, wenn dir danach ist. Wenn dein Kult so wächst, wie du das möchtest, wirst du dann zum Vollzeit-Sektenführer?
Ich weiß noch nicht, wie ich das handhaben werde. Ehrlich gesagt kann ich gar kein richtiger Sektenführer sein. Da ist viel zu viel Druck dahinter, es ist viel zu stressig. Ich möchte gar nicht, dass Menschen mich so ernst nehmen. Ich kann ja auch mal falsch liegen. Wahrscheinlich liege ich mit vielen Dingen falsch.