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Popkultur

Kannibalenmodels und Schönheitswahn: 'The Neon Demon' ist ein greller Horrortrip durch die Modeindustrie

Die Kritiker zerreißen den neuesten Film vom 'Drive'-Regisseur Nicolas Winding Refn. Er jedoch freut sich, dass die Leute verwirrt sind. Wir haben mit ihm gesprochen.

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Koch Media GmbH

Nicolas Winding Refn mag es, wenn seine Filme dich fertigmachen, und auch sonst ist er ein Exzentriker bis zum Letzten. Anstatt sein Debut Pusher als Bewerbung für eine Filmhochschule zu nutzen, um die sich alle anderen reißen, hat er das brutale Kopenhagener Gangsterepos zur Trilogie in Spielfilmlänge gemacht. Refn machte Mads Mikkelsen und Kim Bodnia bekannt, Ryan Gosling konnte sich in Drive und Only God Forgives von seiner besten, Einzeiler raunenden, Köpfe zu Muß stampfenden Seite zeigen. Die extrem hohen Ansprüche des dänischen Autorenfilmers und den harten Alltag am Set—für seine Crew und ihn selbst—hielt seine Frau Liv Corfixen in der Doku My Life Directed by Nicolas Winding Refn fest.

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Mit The Neon Demon will Refn jetzt einmal mehr allen zeigen, dass nur er allein weiß, wie er seine Filme machen muss. Die minderjährige Jesse (gespielt von Elle Fanning) fängt in Los Angeles zu modeln an—und alle sind absolut besessen von ihr. Die Modedesigner können nicht von ihr ablassen, ihre Konkurrentinnen wollen um jeden Preis so sein wie sie. Refn kündigte im Vorfeld schon an, den Film an den Mythos der "Blutgräfin" Elisabeth Báthory anzulehnen. Die Gräfin soll im Blut von Jungfrauen gebadet haben, um ewig jung zu bleiben—und wo könnte diese Vorlage besser passen als im knallharten Modeling-Business von L.A.

Bei der Premiere in Cannes wurde der Film aufs Übelste ausgebuht und er ist gewohnt schwere Kost von Refn: extrem krasse Kontraste—Refn ist farbenblind und könnte sonst seine eigenen Filme nicht richtig sehen—, Gewalt und Schmerz, die unter die Haut gehen, und ein Plot, der die meisten Kritiker einfach nur verwirrt hat. TIME nennt den Film "visual hard candy", Refn scheißt auf die Beleidigungen. Wir haben versucht, ein bisschen mehr aus ihm herauszukriegen.

VICE: Was bedeutet Schönheit für dich?
Nicolas Winding Refn: Ich finde es ziemlich schwierig, das für mich zu definieren, weil das Thema so individuell und komplex ist. Ich denke, Schönheit bedeutet einfach, schön zu sein—und da hängen sehr viele verschiedene Bedeutungen dran. Das ist ein sehr, sehr sinnliches Thema.

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Warum hast du Elle Fanning für die Hauptrolle ausgesucht, als das Symbol perfekter Schönheit?
Ich habe sehr lange überlegt, wen ich nehmen möchte. Ich habe wahnsinnig viele junge, unbekannte Schauspielerinnen gecastet, weil die Anforderungen der Rolle so spezifisch waren. Aber die ganze Zeit war mir klar, dass es nur Elle Fanning sein konnte. Sie ist einzigartig, weil sie mit einem Geschenk geboren wurde, das jeder möchte: dieses Talent und ihre besondere Ausstrahlung, mit der sie sich abhebt.

Hast du dir jemals überlegt, mit dem Filmemachen aufzuhören—einfach, um den ungeheuren Druck nicht mehr zu haben?
Gute Frage. Ich glaube nicht, dass ich jemals mit dem Filmen aufhören könnte, weil ich einfach nichts anderes kann. Sonst habe ich gar keine besonderen Eigenschaften oder Talente. Kreativität kann auch sehr schmerzhaft sein, aber wenn alles fertig ist, fühle ich mich immer sehr gut.

Wie viel schneidest du am Ende aus dem Film raus, wenn du schon während des Drehs das Skript umschreibst?
Wir haben nicht wirklich was entfernt, ich glaube nicht, dass wir irgendwelche fertigen Szenen verloren haben. Ich habe einfach schon das Skript geändert, bevor wir die nächste Szene geschossen haben. Ich drehe ja auch keine unterschiedlichen Versionen, sondern schreibe das Drehbuch vorher um. Dann nehme ich nur das auf—chronologisch.

Die besonderen Objektive, die du benutzt hast, lassen die Haut der Darsteller makellos aussehen. Aber es geht doch um den Wahnsinn der Modeindustrie.
Na, es ist ein Film über Schönheit, also müssen die Leute darin auch schön sein! Ich wollte das Ganze einfach aussehen lassen wie eine "gesteigerte Wirklichkeit".

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Hast du die miesen Reaktionen auf deinen Film erwartet?
Ich weiß nicht, ob ich sie "erwartet" habe. Aber ich würde sagen, dass Vielfalt Qualität bedeutet, auch bei Feedback. Bei Kunst und Kreativität geht es doch darum, dass jemand reagiert. Und die Leute haben reagiert, also freue ich mich drüber. Was juckt es mich, wenn ein paar Kritiker den Film nicht mögen? Ich finde es interessant, dass alle über den Plot reden und sagen, dass er kaum vorhanden sei. Das muss der Film nicht alles explizit erzählen, finde ich. Es kommt mir so vor, als würden Kritiker nach einer Art Plot suchen, die sie aber nicht wirklich definieren können.

Ich fand es aber auch schwierig zu begreifen, was der Plot eigentlich sollte. Visuell ist der Film dafür ein Feuerwerk. Ist The Neon Demon ein
Experimentalfilm?
Absolut nicht. Ich denke aber, dass Leute, die diesen Plot heruntermachen, versuchen, ihn in ein festes Verständnis von Plot zu pressen—ein Verständnis, das sie normalerweise davon abhält, über das nachzudenken, was sie sehen. Im Kino des 21. Jahrhunderts geht es aber viel mehr um Erfahrungen. Diese visuelle Ästhetik, von der alle reden, würde gar nicht funktionieren, wenn da nichts dahinter wäre. Plot ist sehr wichtig, er muss nur nicht immer auf dieselbe Weise präsentiert werden.

Deine Zuschauer sind ja auch nicht alles Filmspezialisten.
Das müssen sie nicht sein. Ich bin kein Filmspezialist! Aber was hältst du denn für den Plot oder hätten du gern gesehen? Es ist interessant, wie Leute dasitzen und nach den Handlungssträngen suchen, anstatt die Handlung einfach geschehen zu lassen. Vielleicht sind diese Leute einfach zu gewohnt an eine bestimmte Art von Plot, mit der sie sich wohlfühlen.

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Vielleicht hatten die Zuschauer einfach nicht das Gefühl, ein abgeschlossenes Ganzes zu sehen? So ging es mir zumindest.
Aber es muss doch nicht abgeschlossen sein! Wenn Sie mit dem Gefühl hinausgehen, dass das Thema abgeschlossen ist, müssen Sie nicht darüber nachdenken—darum geht es ja. Das ist es, was ich meinte: Die Leute reagieren heftig auf den Film, aber andererseits möchten sie ihn irgendwie anders haben. Ich höre nur, dass Kritiker den Film schlecht finden oder nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Ich würde gerne wissen, was sie gerne gehabt hätten.

Wo laufen die Handlungsstränge zusammen? Für mich sieht es so aus, als würden sie Jesse [die Hauptfigur] nur streifen, aber eben keinen Zusammenhang ergeben.
Die Stränge verbinden sich schon, allerdings eher in Jesses Funktion als Impulsgeberin. Sie bringt die Motivation für alles, was passiert. Deswegen ist der Film auch wesentlich mehr aus dem Blickwinkel der anderen Charaktere gedacht als aus dem von Jesse. Sie ist mehr eine Maschinerie, die in diese Welt eindringt und alle Menschen darin zu einer Reaktion zwingt.

The Neon Demon läuft seit dem 23. Juni in den deutschen Kinos.