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Österreich treibt Asylwerber in die Illegalität

Wäre ich Hassan, ich wäre viel wütender, als er es ist. Egal, wie motiviert und fleißig, die einzigen Möglichkeiten für Flüchtlinge in Österreich an Geld zu kommen, befinden sich außerhalb der Legalität.

Fotos von J.J.Kucek

Hassan X. ist für sein Alter schon weit herumgekommen. Mit sieben Jahren floh er aus Gründen, über die er mit VICE nicht spricht, mit seinem Onkel aus Afghanistan in den Iran. Mit zehn begann er, auf Kost und Logis in einer Fahrradwerkstatt zu arbeiten. Schule? Gab es nicht für Afghanenkinder. Mit dreizehn begann er seine Reise nach Europa, und es dauerte zwei weitere Jahre, bis er schließlich in Österreich landete. Hier angekommen, verbrachte er widerum zwei Jahre zwischen Traiskirchen, Kärnten und einer „Flüchtlingspension“ nahe Graz damit, auf den Ausgang seines Asylverfahrens zu warten. Und Deutsch zu lernen. Der Status als „subsidiär Schutzberechtigter“, den er schließlich erhielt, besagte, dass er erstens legal arbeiten darf und zweitens vor Abschiebung geschützt ist. Warum gerade er diesen Status erhalten hat, der so vielen anderen mit so ähnlichen Geschichten vorenthalten wird, weiß er selber nicht genau.

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Wie auch immer. Hassan ist hier und verkörpert all das, was das offizielle Österreich von seinen Migranten verlangt: Spricht fließend Deutsch, hat die Hauptschule nachgeholt (mind you—ohne davor etwas so Luxuriöses wie eine Volksschule genossen zu haben), und dass er seine Lehre abgebrochen hat, hatte finanzielle Gründe. Von dem bisschen Lehrlingsgehalt konnte er die Miete nämlich nicht zahlen, die nun fällig wurde, da er als Volljähriger in der „Pension“ für minderjährige Flüchtlinge keinen Platz mehr hatte. Und wer arbeitet, auch als Lehrling, fällt nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich der Grundversorgung für Flüchtlinge. Stattdessen heuerte Hassan also bei einer Reinigungsfirma an. Und da würde er noch heute arbeiten, „sich integrieren“ und all die Freuden genießen, die Österreich integrationswilligen, hart arbeitenden Menschen wie ihm angeblich bietet. Wenn nicht …

Ja, wenn nicht. Wenn er sich nicht die Mietwohnung mit zwei Kollegen geteilt hätte, die er noch vom Erstaufnahmelager Traiskirchen her kannte … Die benutzten nämlich die gemeinsame Wohnung als Umschlagplatz für Kiffe und schafften es, die Polizei auf sich—und Hassan—aufmerksam zu machen. Hassan selbst bekam davon nichts mit, auch nichts von der Überwachung seines Telefons. Er war mit Arbeiten und Schlafen ausreichend beschäftigt. Als also eines Tages die Polizeispezialeinheit Kobra vor der Tür stand und diese, statt zu läuten, sicherheitshalber gleich eintrat, wusste Hassan nicht, worum es ging. Dies bestätigten übrigens auch seine beiden geschäftstüchtigen Mitbewohner bei der Hauptverhandlung. Übrigens: Bis zu dieser Hauptverhandlung, ja? Da saß Hassan einige Wochen in U-Haft, wegen Terminproblemen zwischen Pflichtverteidiger und Haftrichterin länger als eigentlich vorgesehen.

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So weit, so üblich, so einsehbar: Eine polizeiliche Untersuchung läuft, und die persons of interest warten inzwischen in U-Haft. Nicht mehr ganz so ohne Weiteres einsehbar ist, warum Hassan bei der Hauptverhandlung dann die gleiche Bewährungsstrafe ausfasste wie seine Mitbewohner, aber gut: VICE war nicht dabei, VICE konnte sich die Geschichte nur im Nachhinein erzählen lassen, und VICE versteht nichts vom ehrbahren Richterhandwerk. Doch ganz entschieden überhaupt nicht mehr einzusehen ist, was sich seitdem um Hassan X. abspielt.

Es ist nämlich so: Während er in U-Haft saß, lief Hassans „Karte“ (sein Ausweis für subsidiär Schutzberechtigte) ab. Das sollte kein Problem sein, denn die kann er neu beantragen—an seiner Berechtigung hat sich nichts geändert—und als Arbeitsberechtigung gilt laut Gesetz auch die abgelaufene Karte. Bloß sieht das das AMS anders und verweigert ihm—Stand der Dinge: Sonntag, 17.11.—die Bestätigung, die sein Arbeitgeber bräuchte, um ihn wieder aufnehmen zu dürfen. Hassans Hinweis an den AMS-Berater, er habe sich das Gesetz ausgedruckt—hier, die abgelaufene Karte sei gültig!—gab ihm der Berater recht: Der positive Bescheid würde demnächst per Post kommen. Was dann per Post kam, war jedoch ein negativer Bescheid. Das bedeutet nun: Weder darf Hassan arbeiten, noch hat er ein Anrecht darauf, seine erworbenen Ansprüche auf Arbeitslosengeld zu beziehen. Da er schon einmal gearbeitet hat, hat er auch keinen Anspruch auf die Grundversorgung. Er könnte nicht einmal seine Wohnung kündigen, weil er sich, solage er keine neue „Karte“ hat, nirgends melden kann. Die bürokratischen Katzen beißen sich in ihre Schwänze.

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Als er in Österreich zu arbeiten anfing, hatte Hassan „einen Teppich und einen Heizstrahler in der Wohnung, sonst nichts“. Die Dinge, die er sich seitdem erarbeitet hat, musste er alle wieder verkaufen, um inzwischen die Miete zu begleichen. Wenn sich in den nächsten Wochen zwischen AMS und Asylamt nichts tut, steht er vor dem Nichts.

Hassans Story ist ein Lehrstück darüber, wie die Politik und vor allem die Verwaltung in Österreich just das produzieren, was sie zu bekämpfen vorgeben, nämlich „Parallelgesellschaften“ „nicht integrierter Ausländer“: Wenn es keinen erkennbaren Leitfaden gibt, wie man sich zu verhalten hat, um über die Runden zu kommen—wenn es nach blindem Zufall aussieht, ob man seine „Karte" verlängert bekommt oder nicht, und wenn von der ad-hoc Gesetzesinterpretation von AMS-Angestellten abhängt, ob man arbeiten darf oder nicht—erscheint es nicht rational, sich positiv auf das Staatswesen zu verhalten, sich also zu integrieren. Das es so erscheint, kann niemand wollen.

Wäre ich Hassan, ich wäre viel wütender, als er es ist. Wäre ich an seiner Stelle, ich würde zur Kenntnis nehmen: Die einzigen Spielregeln, auf die ich mich sicher verlassen kann, sind die Höflichkeitsnormen und Netzwerke innerhalb der afghanischen bzw. migrantischen Community, und alle verlässlichen Möglichkeiten für mich, an Geld zu kommen, sind illegal—mit anderen Worten: Moschee und Haschisch. Legalität und Anteilhabe an den Versprechungen des Staates dagegen würden mir als ein Glücksspiel erscheinen.

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Als ein ganz anderes Glücksspiel—russisches Roulette—spielen dagegen wir „angestammten“ Österreicher, wenn wir zulassen, dass motivierte, fleißige junge Menschen derart in einen rechtlichen und verwaltungstechnischen Limbus geworfen werden: Wenn auch nur einer von zehn Betroffenen so reagiert, wie ich wohl würde (wie gesagt: Moschee und Haschisch), haben wir in zehn Jahren ein Kalifat von Puntigam oder dergleichen am Hals. Seien wir Hassan dankbar, dass er so viel cooler ist als ich.

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