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Der gefährlichste Nabel der Welt

Alle die es wagten, an der scheinbar makellosen Oberfläche des russischen Olympia-Projektes zu kratzen, bekommen nun die Rache des Putin-Reichs zu spüren. Wir haben einen der drangsalierten Aktivisten getroffen.

Foto von Wei Peng

Was bleibt von Sotschi? Gigantische Bausünden, langfristige Umweltschäden und ein Imageaufschwung für Putin. Viele, die wagten den ganzen Wahnsinn zu kritisieren, sitzen heute im Gefängnis. Wir haben einen davon getroffen.

David holt hastig ein zusammengefaltetes Plakat aus seinem Rucksack. „Lasst Vitishko frei!" steht darauf geschrieben. Darunter ein Bär, das Maskottchen der Olympischen Spiele, aber mit Schlagstock und Handschellen neben den mit Stacheldraht umwickelten Ringen. Sie sind inzwischen zum beliebtesten Symbol der Widerstandbewegung geworden. Ein Gegenpol zur Idylle, die sich in dieser Stadt breit gemacht hat und des weichgebürsteten Images, das einen an jeder Ecke erwartet: Nigelnagelneue Hotelanlagen, hilfsbereite und freundliche Mitarbeiter in bunten Jacken, Schokoladenmedaillen und Russland-Flaggen.

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Für kurze Zeit sollte dieser Kurort ein weltoffenes Mekka für westliche Standards sein—glitzern und nur glitzern: Sotschi, das in wenigen Jahren aus dem Boden gestampfte Aushängeschild Russlands.

Aber die krassen Gegensätze finden sich nicht nur im Klima, sondern auch in anderen Bereichen. Doch zu sehen bekommt man die Stacheldraht-Ringe während der Spiele freilich nirgends. Dafür sorgt ein im Vorfeld erlassendes Demonstrationsverbot. Die später von Putin legalisierte Protestzone ist ebenso unbekannt wie wirkungslos. Sie lag bewusst dort, wo sie keiner zu Gesicht bekommen würde: In der Peripherie, im Niemandsland, im Bezirk Adler—außer Hörweite von Medien und Besuchern.

Wer also während der Spiele im Stadtzentrum oder im Olympischen Park ein derartiges Transparent hochhielt, tat das illegal. Und riskiert so einiges für eine kurze, öffentliche Kundgebung.

Foto von Wei Peng

Auch im Hotel, wo ich David letzte Woche zum Interview treffe, packt er sein Transparent schnell wieder ein. Einige Hotelmitarbeiter mustern die Lettern bereits skeptisch und abwertend. Einen Kilometer von hier im Zentrum—dort wo die Olympischen Ringe vor dem Hintergrund des Hafens und seinen Yachten als beliebtes Foto-Motiv emporragen, hatte er gerade einmal drei Minuten Zeit es den Passanten unter die Nase zu halten, bis die Polizei es ihm abnimmt.

Nur einen Tag später wird genau dort ein Video-Dreh von Pussy Riot gewaltvoll niedergeschlagen. Paramilitärische Milizen, so genannte Kosaken peitschen die maskierten Frauen und einige ihrer Anhänger aus und setzen Tränengas ein. David muss einige seiner Freunde ins Krankenhaus bringen. Und doch—das Punkgebet zeigt Wirkung: Das Video „Putin will teach you how to love your Motherland" wird allein in der ersten Woche über 80.000 Mal angeklickt.

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Beide Proteste galten demselben Mann: Yevgeny Vitishko—ein 40 jähriger Umweltaktivist und Teil der Organisation Environmental Watch on North Caucasus (EWNC), die im Vorfeld der Spiele als wichtigste Stimme der grünen, russischen Bewegung galt. Von 2007 bis 2011 arbeitete sie sogar eng mit Olympstroy zusammen—jener Firma, die für das Bauprogramm der Olympischen Objekte beauftragt wurde. 2011 wurde die Kooperation einseitig beendet. Die Mitglieder von EWNC galten als „zu politisch motiviert".

Summa summarum hieß es dann aber, das Projekt Sotschi hätte alles getan, um die Spiele so umweltschonend wie möglich zu gestalten. Dass das so nicht stimmen kann zeigen nicht nur die Recherchen von Whistleblowern wie Vitishko, sondern auch die Tatsache, dass man Stimmen wie seine geschickt zum Verstummen bringt.

Vor eineinhalb Jahren wurde Vitishko gemeinsam mit einem weiteren Aktivisten, dessen Namen ungenannt bleiben soll, zu einer Bewährungsstrafe von drei Jahren verurteilt. Grund: Er hatte auf einem Zaun, der ein Anwesen vom umliegenden Wald abgrenzte, einen gesprayten Schriftzug hinterlassen: „Alexander ist ein Dieb", stand da. Damit ist Alexander Tkachev gemeint, der Gouverneur der Region. Dieb kann man am ehesten als „korrupt" übersetzen, weil das Anwesen als nicht registriert galt und in einem nahe am Meer liegenden National Park errichtet war.

Der Schaden wurde auf unrealistische eine Million Rubel geschätzt und Vitishko drei Jahre auf Bewährung gesetzt. Da er sich jeden Tag bei den Behörden ausweisen musste, waren ihm als Aktivist die Hände gebunden. Er wurde zum freien Gefangenen in Sotschi. Seinem Kollegen gelang die Flucht nach Estland, wo er Asyl beantragt hatte. Inzwischen war der Fall Vitishko vom höchsten Gericht in Moskau überarbeitet worden und man war zu der Einsicht gekommen, dass einige inhaltlichen Fehler wegen mangelnder Beweise passiert waren.

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Foto von Alexander Popkov

Der Fall sollte im regionalen Gericht von Krasnodar unter Berücksichtigung der Fehler neu bearbeitet werden. Das Gericht ignorierte den Bescheid aus Moskau und hielt weiter an der Entscheidung der lokalen Gerichtsstelle fest. Als Vitishko eines Tages nicht zur Registrierung erschien, wurde seine Bewährungsstrafe in eine Freiheitsstrafe umgewandelt. Vor drei Tagen saß er noch in einem Gefängnis in Krasnodar. Heute weiß keiner, wo man ihn hingebracht hat—sein Anwalt vermutet in eine abgelegene Strafanstalt. Das Netzwerk EWNC meldete, er sitze in einer der gesichersten Zellen für Schwerstverbrecher.

Was Vitishko für Regierungsmitglieder so gefährlich gemacht hat, war nicht seine kleine Graffiti-Lappalie vor immerhin eineinhalb Jahren, sondern seine Arbeit an einer interaktiven Online-Grafik namens „Champions of the Olympic Race". Die Website funktioniert als Karte und legte den gewaltigen Korruptionssumpf rund um Infrastruktur, Postenvergabe und Finanzierung der Spiele trocken. Dass das Gesamtbudget mit knapp 50 Milliarden Dollar drei- bis fünfmal so hoch angesetzt war als bei vorherigen Spielen. Dass—anders als angekündigt—nur vier Prozent der Kosten von privaten Investoren gedeckt wurden und somit der Steuerzahler unwissend zur Kasse gebeten wurde. Dass alleine die Straße von Adler nach Krasnaya-Polyana so viel gekostet hat, wie die Olympischen Spiele in Vancouver.

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Dass für diese nicht einmal 50 Kilometer lange Straße ein Flussbett umgeleitet wurde, Abfall und giftige Stoffe ihren Weg ins Meer fanden. Zudem recherchierte das Team aus 23 Aktivisten prekäre Details zu sämtlichen Olympischen Bauten. Die Website dürfte dem Kreml ein Dorn im Auge sein—so wurde ihr Gründer Alexey Navalny am Montag den 24. Februar in Moskau während der Proteste vorübergehend festgenommen.

Foto von Wei Peng

Für sie gehen Menschen wie David jetzt auf die Straße. Seine Eltern wissen nichts davon, auch nicht, dass er vor einigen Tagen Pussy Riot bei sich aufgenommen hat. Sie hätten ihm wohl davon abgeraten. Davids Eltern schauen staatliches Fernsehen und lesen russische Medien, wo man einen wie Alexey Navalny niemals zu Gesicht bekommen würde. Es ist, als würden Parteien oder Organisationen wie die seine schlichtweg nicht existieren. Gleiches gilt für die im letzten Dezember amnestierten Pussy Riot Mitglieder Nadezhda Tolokonnikova und Maria Alekhina.

David kennt sie natürlich—über Facebook, Youtube und Twitter und er weiß, welche enorme Wirkung ihre Auftritte in der Öffentlichkeit haben. In der Hotellobby scrollt er über seinem Handy-Bildschirm: Pussy Riot schlafend in seinem Bett, Pussy Riot mit Masken in seiner Küche. Wenn er von den letzten Tagen spricht, schwingt ein gewisser Stolz, vor allem aber eine Loyalität und Bestimmtheit für das was er macht mit. Die Aktion Pussy Riot vs. Sotschi musste man durchziehen oder gleich lassen.

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Das war nicht ganz so einfach. Insgesamt dreimal wird man für mehre Stunden auf Polizeistationen festgehalten. Tage zuvor musste man das Hotel wechseln, Tage danach die Pressekonferenz unerwartet verschieben und schließlich aufgrund der Provokateure beinahe abbrechen. Die Mitglieder werden als Vaterlandsverräter und amerikanische Tussis verhöhnt. Man kann nicht wirklich sagen, dass Pussy Riot willkommen in Sotschi waren. In Moskau sind sie es aber auch nicht—Russland braucht keine Dissidenten. Nach dem aufgesetzten Lächeln während der Spiele folgen die Sanktionen.

Foto von David bei der Verhandlung, Foto von Alexander Popkov

Im Fall von David geschah es noch während der Abschlussfeier. Während drinnen das Feuerwerk explodiert und IOC-Präsident Thomas Bach Lobreden auf Putin hält, wird David nur 15 Kilometer entfernt in Matsesta grundlos an einer Busstation aufgehalten. Was dann folgt ist ein geschickt eingefädelter Ablauf von Anschuldigungen um ihn abzuführen. Zuerst wird er nach einer Akkreditierung gefragt—einem Besucher-Pass für die Olympischen Spiele der natürlich nur im Olympischen Gelände notwendig gewesen wäre. Anschließend soll er sich mit seinem Pass als Bürger von Sotschi ausweißen, doch das offizielle Eintragungszeichen fehlt.

David weiß, dass das nicht reicht um ihn in Gewahrsam zu nehmen und weigert sich in das Auto zu steigen. Später heißt es in der Polizeiakte, er habe sich geweigert sich auszuweisen und sei „zivil ungehorsam" gewesen. Anwalt Alexander Popkov meint, das seien Moskauer Methoden die in Sotschi nur selten zur Anwendung kommen. In den letzten zwei bis drei Jahren habe es nur drei oder vier ähnliche Vorgehensweisen der Polizei gegeben. Weiters ist er sich sicher, dass es sich bei der 15-tägigen Gefängnisstrafe von David rein um einen politisch motivierten Abschreckversuch aufgrund seiner Nähe zu Pussy Riot handelt. Denn Pussy Riot waren nach Homosexuellen die unwillkommensten Gäste in Sotschi.

Dass David die letzte Woche in einer Zelle in Krasnodar verbracht hat ist kein Zufall. Es ist die Kreml-Rache dafür, dass man den neuen, alten Unruhestiftern im Putin-Reich die helfende Hand hingehalten hat. Die Rache für jene, die es wagten an der scheinbar makellosen Oberfläche des Olympia-Projektes kratzten. Die Rache für die Verräter, welche Sotschi nicht als Imageprojekt sondern Weltbühne des Protestes sahen. Und sei es nur für drei Minuten. Weil genau dort für kurze Zeit jeder hingeblickt hat. Am gefährlichsten Nabel der Welt.

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