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Campus, Sex und Ravioli

Der VICE-Guide zum Leben in einer 8er-WG

Du überlegst, in eine 8er WG zu ziehen, weil du unter 25 bist, noch in deiner Studienzeit wirklich jedes Lebensmodell durchgearbeitet haben willst und gerne zu Hause besoffen bist? Dann solltest du dir diesen Guide tätowieren.

Du überlegst, in eine 8er-WG zu ziehen, weil du unter 25 bist, noch in deiner Studienzeit wirklich jedes Lebensmodell durchgearbeitet haben willst und gerne zuhause besoffen bist? Vielleicht hast du auch entdeckt, dass drei deiner Freunde über den mageren, provisionsverseuchten Wohnungsmarkt jammern und hast dich mit ihnen zusammengetan. Dann kamen noch vier dazu und schon seid ihr acht, die ein Loft mit genau so vielen Zimmern suchen.

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Wenn es dein Wunsch sein sollte, in ein kuscheliges Wohnsyndikat zu ziehen, dann möchten ich dir diese Ratschläge aus meiner eigenen langen, abwechslungsreichen Zeit in einer 8er-WG mit auf den Weg mitgeben. Zunächst gibt es ein paar Vorstellungen, von denen du deinen Geist befreien musst, damit einem ausgelassenen Gruppenwohnen nichts im Wege steht:

8er-WGs sind keine Kommunen und sie sind keine Großfamilien. Sie bieten dir kein ausfüllendes soziales Leben, wenn du keine Freunde hast. Das sind Märchen von Kollektivnostalgikern, die meist selbst Dauergäste in WGs sind, aber am liebsten alleine wohnen.

Diese Träumer besuchen grundsätzlich nie eine Person, sondern haben es auf die Gemeinschaft abgesehen. Sehnsüchtig mustern sie jede nikotinüberzogene Postkarte und lachen herzlich über den aktuellen Putzplanstreit. Solche Neu-68er kommen sonntags, um literweise Kaffee zu trinken. Ihre imaginierte Idylle schwankt zwischen Jam-Sessions in Mansons Barker Ranch und politischen Diskussionen im Stil von Kommune 1.

Die Barker Ranch. Ist sie nicht schön? Foto von steve lyon

Hör dir Charles Mansons Gitarrenklampfen über sein glückliches Zuhause an und schon hat sich dein Wunsch nach einer abgeschotteten Ranch ohne Internet und Besucher erübrigt.

Jetzt zur populären, reduzierten Version der Politisierung der Privatsphäre in Groß-WGs, die am Rande von Das wilde Leben oder konservativen Hasstiraden auf Kommunen produziert werden: Viele denken bei dieser Vorstellung von 8er-WGs an schlaue Diskussionen, in denen sie sich als postpostmodernen Denker feiern und an die Orgien, die sie mit einer Uschi Obermaier ausleben würden.

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Das Lust-Prinzip treibt dich jedoch nicht in die Uni und deine Eltern nicht zur Kasse. Und ein glückseliges WG-Leben beschert es dir auch nicht.

Bild von studio muscle

Zur Großfamilie: Was Familienfanatiker insgeheim an der Vorstellung einer großen WG faszinierend finden, ist, dass jemand für sie kochen könnte, wenn sie ausgelaugt aus der Uni kommen. Außerdem stehen sie auf Rollenverteilung. Vielleicht haben sie sogar schon Freunde, die für sie so was wie antiautoritäre Eltern sind.

Ich vermute, dass die Vorstellung einer WG-Großfamilie eng an Cola im Glas geknüpft ist: Man trinkt zwar das Produkt eines kapitalistischen Großkonzerns, aber gibt ihm den Anschein von vertrauenserweckender Häuslichkeit. Analog dazu geben Großfamilien-Fetischisten ihrer anhaltenden Kindlichkeit und Unselbstständigkeit das Gesicht einer wilden Studenten-WG.

1. Gründe die WG, dann kannst du überall deine Duftmarken setzen.

Eine schon gegründete 8er-WG beziehen, das ist wie auf einem warmen, weichen Teppich mit Fußgeruch schlafen. Vertrautheit und fremder Schmuddel, der dich in deinen wenigen klaren Momente im WG-Leben wahnsinnig macht. Du wirst die Küche betreten und möchtest am liebsten alle Weinspritzer an den Wänden übermalen, sowie alle zugetaggten Tische auf den Mistplatz fahren.

Jede Spur, die man nicht selbst hinterlassen hat, kann quälend sein. Sie kann dich ewig zum Sklaven des verpassten Höhepunkts machen. Lass dich nicht damit geißeln, dass diese Wände großartige Gelage bezeugt haben, die du angeblich nicht mal auf LSD verstehen könntest.

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2. Suche dir die Leute gut aus, mit denen du einziehst.

Bild von Rodrigo Suarez

Masse heißt wirklich nicht, dass man einfach irgendjemanden einziehen lässt. Auch bei einem riesengroßen Clubbing kommt es noch drauf an, wer die Gäste sind.

Selbst wenn du dir denkst, dass der Typ, der direkt von der Afterhour zum Casting kommt und zehn Sofas mit in die WG bringen will, ganz lustig sein könnte, lass es. Selbst wenn ihr in der Überzahl seid—er wird in der Küche warten, bis ein vereinzeltes Opfer zum Nudelkochen den Raum betritt und 20 Minuten seine vom Koks befeuerten Laber-Tiraden ertragen muss.

Auch mit einsamen Typen über 30 sollte man sehr, sehr vorsichtig sein. Wenn der Typ nach der fünfminütigen Aufwärmphase von seiner Therapie erzählt, die ihn gerade auf den richtigen Weg bringt, dann solltest du ihn auf keinen Fall einziehen lassen. Er würde sich noch furchtbarer fühlen, wenn er einzieht, weil deine WG alle seine Vorstellungen (siehe oben) zerstören wird.

3. KEINE PAARE.

Bild von Hamed Masoumi

Wirklich. Das geht nie gut. Verliebte versprechen dir, dass sie nie streiten würden, fast nie zu Hause sein werden und wenn sie sich trennen, dann so, dass es nicht mal jemand bekommt. Das ist in jedem Fall die Unwahrheit und oft sogar eine verdammte Lüge. Die meisten streiten und ignorieren einander. Das Zweite ist fast noch schlimmer als das Erste.

Jede Konversation, die aus der auf alle Mitbewohner übergreifenden Anspannung entsteht, nutzen sie, um ihren Liebsten vor Zeugen anzugreifen. Du kannst dich dem nicht entziehen. Du kannst nicht ausblenden, dass er mal eine Auszeit braucht und um die Häuser zieht und sie aus Trotz darüber, dass sie zurückgelassen wurde, ihre Zimmertür offen lässt und dich zu ihrem Leid einlädt.

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Die Trennung ist der Gipfel. Mit verweinten Augen und dicken, dunklen Tränensäcken sagen sie dir, dass es ihnen gut geht. Sie wollen dich nicht belasten, du hättest ja so viel zu tun.

Sie tragen ständig Jogginghosen oder Bademäntel und laden dich am helllichten Tag zum Frustschnapstrinken in ihren verwüsteten Zimmern ein. Wenn dann einer der beiden endlich auszieht, ist die Qual noch lange nicht vorbei: Es müssen Fotos und Erinnerungen an die Beziehung aus der Gemeinschaftssphäre entfernt werden und die Erinnerungen müssen verblassen.

Die lange Verarbeitungs- und Trauerphase bleibt dir leider nicht erspart. Das neue Leben des Ausgezogenen ist tabu. Nachts, wenn du angetrunken nach Hause kommst, wirst du zu jedem Schritt deines Abends verhört. Wenn man den ehemaligen Liebsten trifft, muss danach Bericht erstattet werden. Spätestens dann schwörst du der Liebe ab.

4. Begrabe die Idee von Eigentum.

Bild von Rafael Castillo

Gewöhne dich gleich daran, dass deine Sachen nach einer Woche im Arsch sind. Also ein bisschen gesunder Kommunismus und du wirst nicht mehr leiden.

Deine Mitbewohner machen nicht mal vor deinen Erbstücken halt. Eine Kneipe und ein Museum sind nun mal unterschiedliche Orte mit unterschiedlichen Konventionen, gerade was den Umgang mit Gegenständen betrifft. In einer 8er-WG sollte man eigentlich aus Plastikbechern trinken und aus Tupperware essen.

Möbel sollten Secondhand sein. Wichtig ist, dass du einfach keinerlei emotionale Bindung zur Einrichtung hast.

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Damit kommen wir auch zum Thema Nahrung: Auch hier solltest du dich von deinen Besitzansprüchen verabschieden. Getrennte Fächer im Kühlschrank funktionieren zwar, aber sie sind trostlos. Warum einen Aufstrich haben, wenn du acht haben kannst? Warum nur eine Obstsorte essen, wenn du ein Obstbouquet in deiner Küche vorfindest?

Ein weiterer Rat: Wenn du kochst, koche für eine Kompanie. So schaffst du positive Anreize für die anderen, dich zu bekochen. Du wirst essen, wie Gott in Frankreich oder so, als hättest du deine Studentenzeit lange hinter dir gelassen.

5. Deine Privatsphäre ist dein einziger Freund.

Bild von Caneles

Schütze sie und behalte deine anderen (sogenannten) Freunde außerhalb, auch wenn es anstrengend ist.

Essenziell für ein glückliches WG-Leben sind ein schön eingerichtetes, eigenes Zimmer und ein eigener Zirkel von Freunden, der nicht den Dunstkreis deiner Mitbewohner schneidet. Wenn du diesen Punkt vergisst, wirst du dich in deiner WG während einer Reihe von Besäufnissen mit vielen Besuchern, die dich normalerweise nicht interessieren, verloren fühlen.

Es wird hart sein, dich von deinen Mitbewohnern loszureißen. Aber es ist der einzige Weg, auf dem du nicht mit ihnen zu einem Harmonieklumpen verschmilzt.

6. Sexabenteuer nur außerhalb deines Wohnrudels

Bild von BGP

Auch wenn es anders bequemer ist, solltest du dir dringend semi-fremde Fickfreunde suchen. innerhalb der WG wirst du dich schnell an die Vorstellung gewöhnen, dass deine Mitbewohner keine Geschlechtsteile haben. Falls du dich gegen diese Beruhigung deine Libido wehren solltest, ist das eigentlich nicht tragisch, weil niemand Interesse daran haben wird. Dein inzestuöses Abenteuer wird totgeschwiegen, ausgeblendet, vielleicht sogar mit Gefühlskälte geächtet.

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Lass die Finger von den Freunden deiner Mitbewohner. Die Versuchung ist groß, aber auch hier gilt „Don't shit where you eat". Du solltest dir zumindest sicher sein, dass du sein/ihr Gesicht am nächsten Tag erträgst, bevor du mit ihm/ihr in die Kiste springst.

Erspare dir den befremdenden Anblick eines Freundes von irgendeinem Mitbewohner, mit dem du in dein Zimmer gegangen bist und der schon vor dir mit deinen Mitbewohnern genüsslich frühstückt.

7. Etabliere deine WG als Institution

Bild via VICE Media

Gib deiner WG einen Namen, den du in Facebook-Veranstaltungen und im Gespräch ständig erwähnst. Nenne nur im Notfall deine Adresse. Inszeniere deine WG als Kollektiv, das künstlerische, politische und vor alledem Party-Ambitionen hat. Du kannst ruhig mehrere Hundert Menschen zu deinen Events einladen, auf denen du im großen Stil Alkohol verkaufst und DJs beschäftigst.

Je größer du denkst, desto steiler wird der Ruhm deiner WG wachsen. Außerdem machen es etablierte Institutionen und Riesenpartys auch einfacher, Punkt 5 und 6 zu befolgen.

8. Nimm dir Zeit für dein WG-Leben.

Bild von VICE Media

Das WG-Leben ist wie ein Kind oder Haustier. Du musst dich damit befassen. Wenn fast jedes Zimmer vorübergehend von einem Untermieter bewohnt wird, du eigentlich die meiste Zeit bei deiner Freundin oder deinem Freund verbringst und dich manchmal erstaunt fragst, wie eine 8er WG eigentlich so leer sein kann, dann merkst du, dass das Zusammenleben zu einer Farce geworden ist.

Der Vorteil ist, dass kaum irgendwo Anonymität größer sein kann als in einer großen WG. Der Nachteil ist, dass es darum in diesem Guide nicht geht. Wenn du also keinen Bankraub planst, sondern ein freundschaftliches 24/7-Miteinander, solltest du dich schon mental mit der Basisdemokratie vertraut machen. Du wirst viel plenieren und über zwischenmenschliche Spannungen reden. Und dich vielen prallen Freuden aussetzen.

Genieß das Alleinsein, bevor du einziehst.