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Mafia

Wie sich ein weißer Junge aus Boston in der chinesischen Mafia nach oben arbeitete

John „White Devil" Willis fing als Schuldeneintreiber an und war bei seiner Verhaftung im Jahr 2011 die rechte Hand des Mafia-Bosses von Beantown. Wir haben uns mit dem Journalisten unterhalten, der die Geschichte von Willis aufgearbeitet hat.

Foto: bereitgestellt von John Willis und BenBella Books Sie nannten ihn „Bac Guai", was vom FBI mit „White Devil" übersetzt wurde. Er war ein junger Mann, der in Dorchester—ein ärmlicher Vorort von Boston—aufwuchs und wie alle anderen Einwohner und Arbeiter mit irischen Wurzeln Eishockey spielte. Boston ist eine Stadt mit lange bestehenden Traditionen, in der man auf die koloniale Vergangenheit, die ansässigen Sportmannschaften und sogar auf die kriminelle Geschichte stolz ist. Aber besagter junger Mann, der als John Willis geboren wurde und als White Devil in den Rängen der chinesischen Mafia aufstieg, sollte sich letztendlich nicht den Bostonern gegenüber loyal zeigen, mit denen er aufgewachsen war.

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Willis' Vater verließ die Familie, als der Junge zwei Jahre alt war, und seine Mutter verstarb kurz nach seinem 15. Geburtstag. Zwar hatte Willis im Stadtgebiet ein paar Verwandte, aber niemand wollte den zum Waisen gewordenen Teenager bei sich aufnehmen. Wie jeder junge Mensch, der sich verletzt und einsam fühlt, wollte Willis einfach nur akzeptiert werden. Als ihm diese Akzeptanz bei seinen eigenen Leuten verwehrt wurde, zog es ihn in Richtung einer Gemeinschaft, die ihn aufnahm. Überraschenderweise handelte es sich bei dieser Gemeinschaft um eine chinesische Gang namens Ping On.

Von Mitte der 80er bis nach der Jahrtausendwende stieg Willis in einem von Bostons größeren Mafia-Clans immer weiter nach oben. Dabei fing er als Schuldeneintreiber bzw. Bodyguard an und endete als der Kopf hinter einem 4 Millionen Dollar schweren Oxycodon-Ring (er selbst behauptet, dass der Ring „10 Mal soviel" wert sei). 2011 wurde er wegen Drogenhandels und Geldwäsche zu 20 Jahren Haft verurteilt. Scott O'Donnell, der FBI-Agent, dessen Spezialeinheit den White Devil schließlich zu Fall brachte, meinte, dass ihm ein Krimineller wie Willis „noch nie" untergekommen sei—und zwar aufgrund dessen hohen Rangs innerhalb der chinesischen Mafia.

Anfang 2016 wird über BenBella Books ein Buch mit dem treffenden Titel White Devil veröffentlich werden, in dem das Leben und die Verbrechen des Bostoner Gangsters nacherzählt werden—inklusive Gedanken und Anekdoten von Willis persönlich. Beim Autor der Chronologie handelt es sich dabei um Bob Halloran, einem Nachrichtensprecher und Sportmoderator von Channel 5, dem Bostoner Ableger des Fernsehsenders ABC. Ich habe mit dem preisgekrönten Journalisten telefoniert, um mehr über seine Gefängnisbesuche bei John Willis und über die Geschichte des Jungen aus Dorchester, der innerhalb der chinesischen Mafia zum White Devil aufstieg, zu erfahren.

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VICE: Wie genau ist ein weißer Jugendlicher aus einem Bostoner Vorort in der chinesischen Mafia gelandet?
Bob Halloran: Da haben Glück und der Zufall eine große Rolle gespielt. Ja, John hatte auf gewisse Art und Weise einfach nur viel Glück. Mit 16 gab er fälschlicherweise vor, bereits 18 zu sein, um als Türsteher in einer Bar in der Nähe des Bostoner Baseball-Stadions Fenway Park arbeiten zu können. Schon damals war er Steroiden sowie dem Bodybuilding verfallen und dementsprechend auch breit gebaut. In besagter Bar waren immer viele Asiaten unterwegs und eines Abends kam es dann zu einer Schlägerei, bei der er einem der Asiaten aus der Patsche half. Dieser Asiate—Woping Joe—drückte John schließlich eine Karte mit einer Telefonnummer in die Hand und meinte, dass er ihn einfach anrufen sollte, wenn er mal Hilfe bräuchte.

Und Willis hat dann natürlich auch angerufen.
Genau. Als John echt schwere Zeiten durchmachte—er war pleite und schlief auf dem Boden der Wohnung eines verstorbenen Verwandten—, entschied er sich dazu, die Nummer zu wählen, weil er einen Fahrer brauchte. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwarten würde. Plötzlich tauchte neben der Telefonzelle, in der John gerade noch telefoniert hatte, ein Auto auf und sechs oder sieben Chinesen stiegen aus. Sie machten Platz für ihn und alle zusammen fuhren dann zu einem Haus, in dem sich noch viel mehr Chinesen aufhielten—auch Mütter, Kinder und andere Gang-Mitglieder. Bei dieser Gang handelte es sich um Ping On und sie hatte damals in den 70er und 80er Jahren die Kontrolle über einen großen Teil von Bostons illegalen Glücksspielhöllen und Massagesalons.

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Dort aß er dann zu Abend und am nächsten Tag gaben sie ihm neue Klamotten, machten ihm mit der Gang vertraut und nahmen ihn schließlich bei sich auf. Das klingt alles so unkompliziert, aber es gibt ansonsten wirklich keine andere Erklärung für diese Akzeptanz—John hat ihnen gegenüber einfach Respekt gezeigt und sie taten es ihm nun gleich. Mit der Zeit entstand dann eine tiefgreifende Verbindung. Er wurde in der Gang richtig ausgebildet, indem er anfangs nach New York reiste, um dort das Geld aus den Spielhöllen einzusammeln und als Bodyguard für hochrangige Kriminelle zu arbeiten.

Hatte Willis mit einer Sprach- oder Kulturbarriere zu kämpfen?
In New York hat die Gang immer versucht, in chinesischen Bars und Clubs Frauen aufzureißen. Natürlich waren dort hauptsächlich Asiatinnen anwesend und einer von Johns guten Freunden, der ebenfalls in der Gang angelernt wurde, meinte zu ihm, dass er chinesisch lernen müsste, wenn er asiatische Frauen abschleppen will. Und genau das tat er dann auch, indem er bei Gruppenkonversationen genau zuhörte, chinesische Filme anschaute und chinesische Musik hörte. Er beherrschte die Sprache schließlich richtig gut—inklusive korrekter Grammatik und einem perfekten Akzent. Diese Tatsache war für seinen Aufstieg innerhalb der Gang sehr wichtig, denn er hatte es auch mit vielen Chinesen aus der ersten Generation zu tun, die nicht viel Englisch sprachen.

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Foto: bereitgestellt von John Willis

Er ist der Gang als Jugendlicher beigetreten. Warum wurde er vom kriminellen Untergrund auch in den darauffolgenden Jahren weiterhin akzeptiert?
John hat immer so ein bisschen damit angegeben, der einzige Weiße in einer chinesischen Gang zu sein. Am Anfang habe ich das Ganze noch nicht so recht glauben können, aber als ich dann das FBI dazu befragte, meinte man zu mir, dass Johns Fall doch etwas ziemlich Seltenes darstellen würde. Die chinesische Mafia ist nämlich nicht gerade für ihre Offenheit bekannt. Dort traut man keinen Außenstehenden und John war ungefähr die Definition eines Außenstehenden. Meiner Meinung nach war es die Art und Weise, wie er als Jugendlicher eingeführt wurde—also diese Besonderheit—, die dazu geführt hat, dass er sich langfristig gesehen so weit hocharbeiten konnte. Er war auch immer ein Gesprächsthema, weil sein Boss es so interessant fand, dass ein Weißer Chinesisch sprechen konnte.

Das Wichtigste war aber, dass er dazu bereit war, alles zu tun, was man von ihm verlangte. Und er war immer erfolgreich, egal wie die Aufgabe auch ausgesehen haben mag. Ihm konnte man vertrauen und er war loyal. Wenn er erst als 28-Jähriger zur Gang gestoßen wäre, dann hätte seine Einführung wohl nicht so gut geklappt. Die ganze Sache war für ihn als naiven 16-Jährigen schon einfacher. Ich glaube, dass ihm dieser Umstand sehr weitergeholfen hat. Er stellte auch nicht so etwas wie einen Wegbereiter dar, denn nach ihm wurden keine anderen weißen Typen in diese Mafia-Gruppierung aufgenommen. Er war wirklich der Einzige.

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Am Anfang war Willis ja noch der Mann fürs Grobe. Wie ist er dann in der Mafia-Hierarchie nach oben geklettert?
Nach seinem „Training" Anfang der 90er in New York ging es für ihn wieder zurück nach Boston, wo er dann für einen Mann namens Bai Ming arbeitete. Ming war damals in Bostons Chinatown jedoch nicht sehr wichtig, er stand vielleicht an sechster oder siebter Stelle. Schon bald sollten die Anführer allerdings einer nach dem anderen von der Bildfläche verschwinden—einer ist zum Beispiel zurück nach China und ein paar andere brachten sich gegenseitig um. Plötzlich stand Bai Ming an der Spitze von Chinatown und John war seine rechte Hand, sein Bodyguard, sein wichtigster Geldeintreiber sowie der Typ, der das Auto jeden Morgen auf Bomben checkte und ihn sicher in Restaurants und andere öffentliche Plätze brachte.

Beim Kommando über die Gangs von Chinatown stand John aufgrund seiner Position als Assistent des Oberhaupts an zweiter Stelle. Als er nach New York ging und Chinesisch lernte, stieg er in der Hierarchie auf, weil er mit allen kommunizieren konnte und weil er körperlich gesehen einfach größer und stärker als alle anderen Gang-Mitglieder war. Außerdem war er sich für keine Drecksarbeit zu schade.

Wie kam es dann, dass Willis von den Behörden geschnappt und zu seiner 20-jährigen Haftstrafe verurteilt wurde?
Anfang der 90er betrieb Bai Ming vor allem Spielhöllen und auch einige Prostitutionsringe. Mit Drogen hatte er jedoch nichts am Hut. John musste irgendwann kurz ins Gefängnis und als er wieder freigelassen wurde, hatte er Beziehungen geknüpft, die ihn ins Marihuana-Geschäft einstiegen ließen. Die Grasmengen wurden schnell immer größer und irgendwann fing es mit dem Kokain an. Zwar meinte Johns Boss, dass er da lieber die Finger davon lassen sollte, aber John machte auf eigene Faust weiter und verdiente so eine Menge Geld. Eine ganze Zeit lang arbeitete er gar nicht mehr ausschließlich für die chinesische Mafia, ließ die Beziehung aber nie abreißen.

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John landete noch ein paar Mal im Knast und so kam es auch zu der Verbindung nach Florida, durch die er an eine große Menge des Schmerzmittels Oxycodon kam. Er fing dann damit an, dieses Mittel von Florida nach Massachusetts zu schmuggeln und das Ganze am Cape Cod sowie in und um Boston herum zu verkaufen. Schließlich starteten die Behörden allerdings eine jahrelang andauernde Ermittlung, die sich vor allem auf die Kriminellen innerhalb Chinatowns konzentrierte. John wurde mit diesen Kriminellen in Verbindung gebracht und genau das führte letztendlich zu seiner Festnahme.

Wie war es, John Willis für das Buch in einer Haftanstalt zu interviewen?
Ich führte die Interviews mit John in einem kleinem Zimmer außerhalb seiner Zelle. Über einen Zeitraum von zwei Tagen hinweg habe ich insgesamt sieben Stunden mit ihm verbracht. Das hört sich jetzt vielleicht schrecklich an, aber irgendwie habe ich ihn doch sympathisch gefunden—oder zumindest verstanden. Er bittet niemanden um Vergebung, weil er seiner Meinung nach nichts Falsches gemacht hat. Als er mir seine Geschichte aus seiner Perspektive erzählte, gab es definitiv guten Grund, mit ihm mitzufühlen, aber auch guten Grund, es nicht gut zu finden, wie er sein Leben anging. Wenn man ihn ohne das Wissen über seine Vorgeschichte kennenlernen würde, könnte man auch denken, dass es sich bei John um einen richtig cleveren, charismatischen und interessanten Typen handelt, der alles durchdenkt, verschiedene Interessen hat und viel liest.

Ich wusste nicht, was ich zu erwarten hatte, denn er hat ja einige wirklich schlimme Verbrechen begangen und war einige Jahre als Drogendealer tätig. Ich treffe mich jetzt nicht so häufig mit Kriminellen und hatte dementsprechend keine wirkliche Ahnung, wie das Ganze ablaufen würde. Als ich mich dann mit ihm zusammensetzte, war er sehr freundlich, fast schon sanftmütig. Er redet nie mit lauter Stimme, sondern flüstert schon fast, wenn man mit ihm spricht. Ich hielt ihn für sehr interessant und fesselnd. Während unserer Unterhaltung fühlte ich mich kein einziges Mal von ihm eingeschüchtert. Selbst als ich ihn etwas reizte, wurde er nicht wütend.

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Weißt du noch, über was ihr am Anfang eures Treffens geredet habt?
Eine der ersten Sachen, die John betonte, war die Tatsache, dass Gangster nur Gangster und Kriminelle nur Kriminelle umbringen. Er meinte, dass ausschließlich Idioten Zivilisten töten würden. Ich glaube, dass er da auch ein schlimmeres Wort hätte verwenden können. Er wollte damit eigentlich sagen, dass er mit seiner Gang gegen andere Gangs gekämpft hat und es dabei um Gebietsanspruch und das Geld aus den Spielhöllen und Bordellen ging. Ihm war es wichtig, dass mir klar wurde, dass er keine unschuldigen Menschen verletzt oder getötet hat.

Was hat John Willis für dich menschlich gemacht und wie wirst du ihn in Erinnerung behalten?
Über seine Frau und seine Tochter haben wir nicht wirklich ausführlich geredet, aber während des Interviews kamen ihm dann die Tränen, als er meinte, wie sehr er die beiden vermissen würde. Das hat mich richtig verwundert, weil ich immer dachte, dass John kaltherzig, empfindungslos und abgebrüht sei. Ich will das Wort Psychopath hier nicht einfach so in den Raum werfen, aber er hat wegen seiner Verbrechen nicht den Hauch eines schlechten Gewissens. So etwas existiert für ihn einfach nicht. Als es dann aber um Liebe und Beziehungen ging, wurde er vor mir irgendwie zu einem anderen Menschen. Das war für mich so außergewöhnlich, weil es im kompletten Gegensatz zu dem steht, was seine Persönlichkeit sowie seine kriminelle Vergangenheit sonst ausmacht.