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Ich war (fast) bei den Olympischen Spielen

Das im Fernsehen ist nicht Sotschi, das ist Sotschi. Man darf Putin nicht dauernd auf den Leim gehen.

Begonnen hat mein kleiner Sotschi Trip am Flughafen von Moskau, in der seit Edward Snowden weltberühmten Transitzone, die sehr riesig und menschenleer ist. So leer, dass manche Shops dort zwar offen haben, aber unbesetzt sind. Was egal ist, weil es weder einen Wechselschalter noch einen einzigen Bankomat dort gibt. Wer keine Rubel hat, hat hier nichts zu melden.

In Sotschi gelandet, empfängt einen ein kleiner Olympia-Banner und die obligatorischen farbigen Ringe vor dem Gebäude. Unbewaffnete Sicherheitskräfte und einen unmotivierten Sicherheitscheck später ist man dort, wo unweit das Olympische Dorf ist, die riesigen Stätten und die allgegenwärtige Angst vor Terror. Aber sicher fühlt man sich nicht wahnsinnig, da ist Schwechat schärfer. Am Weg von Adler, wo der Flughafen liegt, ins ca. 40km entfernte Sotschi stehen an fast jeder Autobahnausfahrt Polizisten, allesamt unbewaffnet und ohne Fahrzeuge.

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In Sotschi nimmt das Polizeiaufgebot überhand, dort stehen sie an jeder Ecke, aber nirgendwo ein einziges Einsatzfahrzeug, keine einzige Waffe. In allen 4 Tagen waren zwei Hundepatrouillen der Speznas die einzigen taktischen Einsatzkräfte, die ich dort gesehen habe. In der Gastgeberstadt, in der am nächsten Nachmittag in voller Propagandafolklore die Olympische Fackel durchgekommen ist. Wir standen am Rand und hätten völlig problemlos in jeden Busch einen schönen Sprengsatz deponieren können oder mit dem Auto in die Menge rasen. Ich sollte an allen Tagen keine einzige Personenkontrolle erfahren, ich war völlig frei.

Sotschi selber liegt an der russischen Riviera, oder dem, was sich Russen unter einer Riviera vorstellen. Erst recht spät um die Jahrhundertwende gegründet, hat es sich schnell den Ruf des Monte Carlos des Schwarzen Meers eingeheimst. Reiche Russen residierten dort, selbst Stalin hatte hier sein Sommerhaus. Putin hat sich angeblich aus freien Stücken in diesen Ort verliebt und als einziger die Berufung Sotschis zu Höherem erkannt. Auf der Suche nach dem historischen Kern der Stadt, der einfach nicht mehr da ist, haben wir abwechselnd leere, ganz leere oder frisch bezogene Hoteltürme gefunden. An dieser Stelle sei gesagt, dass die Gerüchte über unfertig bezogene Hotels stimmen. Ich war selbst in einer 15 stöckigen Bettenburg mit je 70 Zimmern pro Stock.

Die Bausubstanz war aus den 70ern, das Hotel wurde innen derart neu ausgestattet, das bei Ankunft unserer Freunde, die hier abgestiegen sind, weder der Fußboden in der Lobby, noch die Rezeption fertig waren. 12 Stunden später war beides da. Der Lift fuhr bis in den letzten Stock, wo wir nach russischer Art auf die Reise anstoßen wollten. Aber der Stock stand leer, bis auf einen Bretterverschlag, hinter dem Behelfsunterkünften die Arbeiter hausten, gezeichnet von überlangen Arbeitszeiten und Anstrengungen, die sich nicht fotografieren lassen wollten. Ein anderes leerstehendes Hotel wurde über drei Stöcke mit den Farben der russischen Flagge beleuchtet, wieder ein anderes erstrahlte bis Mitternacht in Vollbeleuchtung und wurde danach schlagartig stockdunkel.

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Wie wenig dort ein Menschenleben wert ist, und wie sehr die Sache im Vordergrund steht, zeigte uns aber der für uns sichtbar schlimmste Job in Sotschi. Das waren die Arbeiter in den Autobahntunnels, die noch gänzlich ohne Entlüftung 24 Stunden im Einsatz waren, um die Deckenbeleuchtung, Markierungen oder Leitungen anzubringen. Die Staubentwicklung in den unfertigen Röhren war unfassbar, die Luft unerträglich. Neben menschenunwürdigen und gefährlichen Jobs gab es auch skurrile, mein Favorit war die auch getwitterte alte Dame, die den braunen Rasen vor dem Olympia Stadion grün färbte.

Am zweiten Tag sind wir erstmals Opfer der Willkür geworden. Unsere italienischen Freunde mussten um 11 Uhr zur Pressekonferenz in die Casa Italia im Olympischen Dorf nach Adler. Von Sotschi in 45 Minuten Fahrzeit gut zu schaffen, vorausschauend haben sie ihr Auto am Vorabend auf den Parkplatz direkt vor dem Hotel geparkt und nicht beim etwas entfernten zweiten Car Park. Um rechtzeitig zu kommen—es wurde täglich von unangekündigten Straßensperren berichtet—wollten sie sich um halb 9 auf den Weg machen. Nur stand anstelle ihres Fahrzeugs auf dem Parkplatz ein Polizist.

Natürlich sprach der kein Wort Englisch und deutete auf einen Kollegen. Selbes Bild hier, selbe Handbewegung. Am Ende des Hotelgrundstückes bei Kollegen 4 angekommen, konnte dieser berichten, dass das Auto nicht mehr da sei. Stimmt, aber sagen Sie uns, wo es jetzt ist? Gone. Not stolen. Gone. Die Rezeptionistin und Cop 4 konnten gemeinsam kommunizieren, dass es sich beim Zirkus befindet, womit sie aber nicht Olympia gemeint haben. Vielmehr wurde der Jeep für eine Straßensperre in der Nacht gebraucht und wurde danach dort geparkt. Die beiden haben ihr Auto nach knapp einstündiger Suchfahrt auch tatsächlich gefunden, sich die Pressekonferenz aber auf den Bauch gepickt.

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Ich erfahre das, wir lachen alle, weil es keine andere Reaktion drauf gibt. Kurz danach schicken wir Matthias aus unserer Filmcrew los um den ebenfalls gestern vor der Oper geparktes Auto zu holen. Keine 10 Minuten später erfahren wir, dass am gesamten Vorplatz der Oper eine Militärparade stattfindet und weit und breit kein einziges parkendes Auto zu sehen ist. Gelernt aus dem Erlebnis unserer Freunde haben wir unsere Hotelrezeption angerufen, um sich bei Polizei und Militär kundig zu machen, wo die Autos von dem recht öffentlichen und recht gekennzeichneten Parkplatz, auf dem nichts auf eine spontane Militärparade hingedeutet hat, gebracht wurden. Immerhin haben wir erfahren, dass mehrere hundert Fahrzeuge abgeschleppt worden sind.

Unglücklicherweise führte jedoch niemand Protokoll und demnach kann nicht gesagt werden, wo welches Auto nun steht. Mehr sei leider dazu nicht zu sagen, Ende der Auskunft. Was sprach also dagegen, wieder beim Zirkus nachzuschauen, dem Hotspot für verschleppte Autos? Dieser zitierte Zirkus war übrigens eine Nebenstraße wie jede andere auch, nur halt neben dem mitten unter der Autobahnbrücke befindlichen innerstädtischen Umspannwerk. Kein Zelt weit und breit, kein Jahrmarkt oder dergleichen. Dafür aber ein Auto, sehr schön. Wir haben wieder einen halben Tag mit unserer neuesten Lieblingsdisziplin verbracht.

Mit der verbleibenden Zeit wollten wir uns Sotschi genauer ansehen. Aber es gibt dort kein Zentrum, keinen Hauptplatz, keine Gastronomie, keinen repräsentativen Meerzugang, keinen schönen Hafen, keine Promenade, keine Rivera. Nichts dergleichen. Sotschi hat keine Geschichte und keine Seele, dafür ausreichend Trash. Hier wird nach Olympia weniger sein als vorher. Schon gar kein touristischer Aufschwung, keine nachhaltige Belebung der Region. Nur leerstehende Bettenburgen, die dann immerhin fertig sein werden.

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Am Tag der Eröffnung mussten die ersten von uns abreisen. Das gesamte Produktionsteam samt Kameras und allem Equipment. Zu viel Zeug für ein Ladataxi. In Kombination mit Straßensperren waren das zu viele potenzielle Gefahrenherde für Verspätungen, also wollten wir ein Großraumtaxi am Vorabend bestellen. Das ging aber nicht. Erstens weil ich nach Bus, Mini Bus, VW Bus, Mercedes Bus, Kombi, Kofferraum, viel Equipment, Lada hat die falsche Karrosserieform mit meinen Activity Gesten am Ende war. Englisch ging ja auch hier nicht, ging nie. Njet. Not possible, war die einzige Antwort auf alles. Ich dreh mich um und sag in den Raum, dass das wohl nicht sein kann, dass der nicht einmal einen Mini Van bestellen kann. Ahhh, Mini Van! Yes yes, Mini Van! Sagte er und tippte ins Telefon. Der Funke Hoffnung war aber eh gleich wieder dahin, weil er nach seinem Telefonat wieder njet, not possible sagte. Whatever, du Heisl. Er konnte mit seinem Zeigefinger gleichzeitig nein und ja deuten. Muss ich mir merken. Irgendwann saßen wir dann doch im Auto und fuhren die kurvige Straße von Loo nach Sotschi. Übrigens großteils hinter einem neuen 9 Sitzer, mit fetter Telefonnummer und der Aufschrift Taxi drauf.

Endlich vom Flughafen retour, war es dann schon fast Zeit für die Eröffnung, zu der wir in die Casa Italia geladen waren. Ins Stadion wollten wir nicht, 80 Nationen beim Fahnenschwenken zuschauen geht mit la vita è bella und Rotwein besser runter als in der Kälte. Nur kamen wir dazu nicht. Zwei Kreuzungen nach dem Hotel Parkplatz war Ende, wir schon wieder in einer Straßensperre gefangen. Binnen einer Minute waren alle Auswege verstopft—Russen fahren gerne knapp drauf, nicht nur auf der Autobahn. Also aussteigen, bis zur Strassensperre nach vor gehen und schauen. Nur gab es bis auf die allerorts befindlichen unbewaffneten Polizisten und eine völlig autofreie Straße nach Adler nichts zu sehen. Das Auto liessen wir zurück und marschierten entlang der Straße Richtung „Zentrum“. Scheiss auf die Eröffnung, ich hab eh keine Lust mehr auf euren Chaotenzirkus hier, wir gehen in der Stadt was essen, wird eh überall übertragen.

Eine halbe Stunde später rasen mit Höllentempo geschätzte 50 schwarze Mercedes mit Blaulicht und einem Sound, der wie die Aliens bei Mars Attacks immer meh meh mehmehmehmeh meh meh macht an uns vorbei. Danach bricht die wieder geöffnete Straße unter dem Verkehr völlig zusammen. Aber uns ist das egal, wir stehen vor einem Japaner und erkundigen uns nach einem Tisch für vier. No reservation? No problem, chjes is possible. But tonight we charge 2000 Rubel (ca. 40 Euro) extra  because of the olympics that we broadcast. But then you can eat all you want. Ok, also wir zahlen, haben dann aber all you can eat? Yes yes, all you pay all you can eat. Sie konnte ausreichend englisch und hat uns nicht einmal verarscht. Sie macht nur, was uns bei allen Gesprächen aufgefallen ist. Bloß nicht mitdenken, immer nur darauf antworten, was man gefragt wird. Die Wahrheit immer stückchenweise servieren und am Ende darauf achten, dass das rauskommt, womit man selber keine Probleme bekommt, mit niemandem.

Frei von Hausverstand und guter Laune, voll indoktrinierter Unterdrückung und daraus resultierender Ellbogentaktik in allen Lebensbelangen leben die Menschen rund um Sotschi, die wir getroffen haben. Es drängt sich permanent das Gefühl auf, dass in dieser Gesellschaft es normal ist, ständig und den ganzen Tag darauf zu achten, wo man bleibt, denn sonst bleibt man auf der Strecke. Jeder minimale Vorteil gegenüber Mitmenschen muss ausgenützt werden, um sich selber von der grauen Masse abzusetzen—in deren Ausweglosigkeit man sofort wieder zu versinken droht. Aber es gibt noch jene Menschen rund um Sotschi, die nicht einmal diese Möglichkeit haben und vom Staat von jeglichem Leben völlig ausgeschlossen werden.