FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Sperma, Ratten, Thorsten Legat – Nieder mit der Wirklichkeit, ab in den Dschungel?

Das Dschungelcamp ist zurück und ein bisschen so, als hättest du nach großem Streit zum ersten Mal wieder Sex.

Lebenszeit to burn? Na, dann willkommen am Lagerfeuer! Der Start des Dschungelcamps 2016 wird gefeiert, als wäre der Kakerlakensarg gerade erst erfunden worden. Die aktuelle Begeisterung besitzt etwas von Make-up-Sex. Also das hysterische Rumfummeln, nachdem man Streit hatte. Schließlich gab's zuletzt auch Krach zwischen Show und Fans der Show. Ereignisarme Staffeln und der unsägliche Sommerdschungel waren schuld. Und jetzt? Ist wirklich wieder alles gut, oder greift bloß das Stockholm-Syndrom in Australien, wenn Thorsten Legat sich beim Penisessen verletzt?

Anzeige

Ausgangslage

Die verwöhnte und gefühlt etwas pomadig gewordene RTL-Redaktion sendet mit Regeländerungen und Vorab-Interviews ihrer Chefautoren („Im letzten Jahr haben wir zu viele Fehler gemacht") eindeutige Signale. Ihre Botschaft: Wir haben verstanden.

Das alleinige Vertrauen darauf, dass der Dschungel seine eigenen Gesetze hat und aus jeder Gruppe von selbst die geilen Storys rauskitzelt, wurde mit großer Geste aufgekündigt. Die Spielleitung nimmt sich in die Pflicht.

Allerdings hat jene zuletzt viel Kredit verballert. So lag ihr „bester" Move nach dem letztjährigen Langeweile-Desaster darin, mit dem Sommerdschungel einfach ein noch überflüssigeres Format auf den Winter-Flop oben drauf zu kotzen. Und jetzt von Untergangsstimmung wieder zum „besten Dschungel aller Zeiten"? So leicht wie es dir deine Timeline und die Begleitberichterstattung überall suggerieren wollen, geht es nun auch nicht.

Reglement

Alle Fotos/Screenshots vom Autor

Die neuen Regeln, die die Gruppe erstmal in zwei konkurrierende Camps teilen, erinnern auffällig anPromi Big Brother—jener Sat1-Zombie, der überraschend in den letzten Jahren am Primus Dschungelcamp vorbeigezogen ist. Zwar nicht hinsichtlich der Quoten, aber mit dem (Alb)Traumpaar Hubert Kah („Sternenhimmel") und Ronald Schill (Richter Gnadenlos auf Drogen) oder der letztjährigen Wiederentdeckung von Nino de Angelo und Menowin wurde deutlich, wie hausbacken dagegen das neuere Dschungelcamp-Inventar wirkte—und trotz Outdoor-Camping weit blasser blieb.

Anzeige

Insofern haben die neuen Regeln etwas von einem Einknicken vor der Konkurrenz. Wenn sich das iPhone plötzlich bei Samsung etwas abschaut, mag das sinnvoll sein, es sagt allerdings auch etwas über nivellierte Machtverhältnisse am Markt aus und über das Ende einstiger Vorherrschaft. Ähnlich ist es 2016 bei #ibes. Hier muss nun sogar in der Hochburg der abgehängten TVs (also bei Sat1) geklaut werden, damit man nicht noch weiter untergeht. Würdevoll geht anders.

Die Realität

Doch ging es beim Dschungelcamp denn je um Würde? Natürlich nicht, viel eher ist deren Abwesenheit der Trigger zur Trash-TV-Ekstase—und so scheint der aktuelle Dschungel-Relaunch aufgegangen. Die Sendung lebt wieder und verheißt einiges an Sprengkraft. Etwas anderes nach dem vielversprechenden Startwochenende der zehnten Staffel zu konstatieren, wäre kleinlich oder zwanghaft. Die Änderungen am Modus haben gegriffen und der einleitende Schnarch-Faktor, bis endlich der erste Kandidat am Rad dreht, ist ausgefallen. Das enorm hohe Borderline-Aufkommen im Cast tut der Sendung gut, der hohe Druck des Gegen- statt Miteinanders dramatisiert die Gruppendynamik früher als in den Staffeln davor. Besonders die in die Jahre gekommenen Ekel- und Insekten-Prüfungen funktionieren wieder besser, wenn sie nicht mehr gegen die Zeit, sondern gegen eine zweite Person gespielt werden müssen.

Die Realität 2

Neben der showimmanenten Realität trägt aber sicher auch die offizielle Realität, die wir alle teilen, zum neuerlichen Hoch der Sendung bei. Schon lange nicht mehr war der Bedarf an Eskapismus so groß wie dieser Tage. Sich „Was passiert dann"-Gedanken über die Modellwelt im australischen Dschungel zu machen, besitzt etwas Beruhigendes. Etwas Beruhigendes, das die herrschenden Zustände im heimischen Dschungel einfach nicht mehr zu bieten haben. Im Gegenteil. Gib mir einen Zungenkuss, Zerstreuung. Man will doch auch nicht immer bloß verzweifeln, wenn man ins Fernsehen oder Social Media schaut. Der aktuelle #ibes-Hype profitiert von diesem Wunsch.

Die wunderbaren Kandidaten - „Es ist noch Penis da!" (Jenny Elvers)

Ex-Fußballer und Unterklassen-Trainer Thorsten Legat fasziniert mit seiner unbeherrschten Art, die zwischen fernöstlicher Philosophie-Persiflage und Faustkampf variiert. Eine tickende Zeitbombe im Dauer-Affekt mit unterhaltsamer Grammatik. Helena Fürst brilliert dagegen mit ihrem Irrtum, der sie glauben lässt, eine total überhebliche und unsympathische Erscheinung sei deckungsgleich mit einer starken Persönlichkeit. Und für alle, denen das Missverhältnis zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung zu subtil ist, hat sie ja noch diese Axl-Rose-Gedächtnis-Frisur.

Anzeige

Ricky Harris ist mit seinen naiven Moderationsambitionen ein herrlicher Troll, der mit Käppi aussieht wie 25, ohne wie 55. (Ex-)Drinking-Buddy und nicht umsonst Promi Big Brother-Siegerin Jenny Elvers besitzt einen abgehangenen Charme.

Die beiden Alten, Rolf Zacher und Gunter Gabriel, lassen die beiden alten Muppets-Nörgler wie lebensfrohe Party People aussehen. Sophia Wollersheim und David Ortega Arenas stehen sinnbildlich für die Ambition, dass in dieser Staffel die Hirne noch kleiner und die Busen noch riesiger sein sollten als je zuvor.

Die überflüssigen Kandidaten

Zwei Ausfälle gibt es allerdings doch. Einmal Jürgen Milski, der gemeinhin als Ballermann-Animateur wie Guru der besorgten Bürger in Erscheinung tritt. Seine unzähligen Stunden als Kandidat im Reality-TV und als Moderator von Call-In-Nepp-Shows bei 9Live lassen ihn zwar nicht wirklich telegen, aber doch extrem gefestigt vor der Kamera wirken. Die unsympathische rheinische Art, die er dabei offenbar als eine Art Humor vor sich her schiebt, verunmöglicht dabei, dass er sich die erhoffte Blöße gibt.

Ebenfalls keine gute Wahl stellt Brigitte Nielsen dar. Die Wiederholung der Wiederholung. 2012 im Dschungel dabei, 2015 in der Sommervariante (Ich bin ein Star, lasst mich wieder rein) und nun 2016 erneut am Lagerfeuer. Dort repliziert der Reality-Show-Vollprofi trötend seine eigene Catch-Phrase „Was geht los da rein?!". Wenn alles gesagt ist, geht's einfach wieder von vorne los.

Anzeige

Heldenreise

Der Dschungel als griechische Tragödie. Seit der fünften Staffel mit Peer Kusmagk hat sich rumgesprochen, welch literarische Höhen die Erzählung des Camps besitzen kann. Letztes Jahr reiste man allerdings nur mit Walter Freiwald ins Tal der Selbstdemontage. Für diesen Ausflug wären bereits 2 Sterne bei yelp zuviel.

Doch die diesjährige Nummer besitzt mit Menderes selbst hinsichtlich dieser Königsdisziplin des Formats mal wieder einen verheißungsvollen Kandidaten. Neben den ganzen unterhaltsamen Krawallschachteln um ihn herum besitzt der hypersensible 31-Jährige das Zeug, von der kuriosen Kultfigur zum gekrönten Sympathieträger zu avancieren. Dazu muss er allerdings durchhalten, was natürlich zum Teil seiner beschwerlichen Reise dazugehören wird. Der unbefleckte Menderes („Ich bin noch Jungfrau") gegen die von allen Seiten hereinprasselnden Alpha-Trottel (Legat, Fürst, Gabriel …). Falls Menderes durchhält, hat der ewig tragische Michael-Jackson-Adept und Dieter-Bohlen-Reject endlich sein Happy End.

Und sonst noch?

McDonald's hat sich das wahre Jugendwort 2015 für seine Kampagne zu „10 Jahre Big Rösti" (wtf?) gezogen und wirbt via Inserts innerhalb der Sendung mit „Gönnung muss sein!" OK, gut zu wissen, „Gönnung" kann man sich ab jetzt also auch sparen. Feindliche Übernahme. Dafür sollte Ronald McDonald einen Stinkfruchtburger mit Buschschweinsperma im Kakerlakensarg essen. Immerhin hat #ibes bereits Ersatz geschaffen. So gab Frisurenunglück Fürst vor ihrer Prüfung raus: „Ich hab Konfro!" OK, im Austausch akzeptiert.

Die nächsten Abende noch mal dreckigen Make-up-Sex—und vielleicht kann der Zuschauer die Maren-Gilzer-Staffel doch irgendwann verzeihen.