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Vice Blog

​Ich war als Feministin auf der Hochzeitsmesse

Was er mit der Aussage: „Denn Gleichberechtigung beginnt in der Hochzeitsnacht!", eigentlich ausdrücken wollte, ist mir nach wie vor ein Rätsel.

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Samstag 13:00 Uhr. Während draußen der Schnee trieb, begaben meine Trauzeugin T. und ich uns ins Gedränge der Trau Dich, Österreichs größter Hochzeitsmesse. Als wir ankamen, hatte ich jede Menge Vorurteile im Gepäck, nach drei Stunden gingen wir mit acht (!) Kilo Informationsmaterial wieder nach Hause.

Vielleicht lag es an dem leichten Rauschzustand nach einem Bier (für das wir uns Informationen über eine Brauerei als Hochzeits-Location anhörten) und einem Glas Sekt (das wir nach einem Gespräch über Hochzeitsreisen bekamen), aber am Ende hatte ich fast ein wenig Spaß.

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Kitschfaktor und Angebot

Mehr als 250 Aussteller boten alles, was man sich nur vorstellen kann: Kleider, Anzüge, Torten, Fotografen, Mietblumen, Feuershows, handbemalte Schuhe, Hochzeitstauben, Limousinen, Mietcasinos, Fotoboxen-Verleih, Hochzeits-Bands, Alleinunterhalter und Zauberkünstler. Abgesehen von den hässlichen Luftballons, die als Erlebnis-Dekoration verkauft wurden, und Hochzeitskerzen in Traueroptik, war das Angebot erstaunlich unkitschig.

OK, die aktuelle Vampir-Mode für Herren, die T. als Dandy-Style bezeichnete, ist nicht mein Fall, aber über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Oder eben schon, nur bringt es nichts. Laut Herrenausstatter sind 2016 übrigens Gehröcke und die Farbe Midnight Blue im Trend.

Auf der einstündigen Modenschau, die dreimal am Tag abgehalten wurde, war von Dunkelblau allerdings nichts zu sehen. Zu einem Mix aus Annett Louisan, dramatischer Geigenmusik, Phil Collins, orchestraler Klassik, Pharrell Williams, Tim Bendzko und Enya-ähnlichen Klängen, die bei uns Assoziationen zu Braveheart weckten, tanzten übertrieben geschminkte Frauen und Männer in lächerlichen Choreografien über den Laufsteg. Als der Herr im Glitzerfrack die Bühne betrat, war sich das Publikum dann doch geschmacklich einig und lachte laut auf.

Geschlechterstereotype und Zielgruppe

Hochzeit ist Frauensache, will man uns einreden. Bereits kleinen Mädchen wird versucht den Traum vom Heiraten zu verkaufen und sobald wir in einer festen Beziehung sind, unterstellt man uns auf den Antrag zu warten. Wenn der Partner dann endlich gefragt hat—wehe der, die selbst fragt—, steht unserer Traumhochzeit nichts mehr im Wege. Schließlich heißt es Brautpaar und nicht Bräutigampaar, nicht wahr?

Die Zielgruppe sind eindeutig Bräute. Sämtliche Magazine, Kataloge, Flyer und Aussteller sprechen in erster Linie Frauen an. Natürlich mit entsprechend harmlos lieblichem Design in Pastelltönen, wie wir es dank Gender-Marketing ja gewöhnt sind.

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Die Veranstalter bemühten sich wirklich, das Thema Gleichberechtigung aufzubringen, aber es blieb bei der fadenscheinigen Betonung des Moderators, dass es in dem vorgestellten Dessous-Geschäft auch Slips für Herren gibt. Was er mit der Aussage: „Denn Gleichberechtigung beginnt in der Hochzeitsnacht!", eigentlich ausdrücken wollte, ist mir nach wie vor ein Rätsel. Vor allem, weil gleich danach nur weibliche Models in Unterwäsche zu sehen waren.

Zum Abschluss unterstellte der Moderator dann noch allen Frauen den Wunsch, mindestens einmal Prinzessin sein zu wollen. Wenn ich mich schon für eine Märchenfigur entscheiden müsste, wäre ich zwar lieber Drachentöterin, aber was erwartet man umgeben von Firmen, die Bezeichnungen wie „Cinderella", „Aschenputtel" und „Elfe" im Namen tragen?

Fehlende Diversität

Ich habe ihn wirklich gesucht—den Stand, an dem homosexuelle Partnerschaften thematisiert und dargestellt werden, um zumindest alibihalber Vielfalt zu präsentieren. Ich habe ihn nicht gefunden. Egal wo wir hinsahen, überall strahlten uns junge, schöne, dünne, weiße, heterosexuelle Paare an, die so künstlich in Szene gesetzt waren, dass sie jede Menschlichkeit vermissen ließen.

Das Messe-Publikum passte zu den abgebildeten Pärchen. Der Großteil war +/– 30 und rein der Optik nach wohl eher besser situiert. Kein Wunder, für 16 € Eintritt wurden immerhin sündhaft teure Begehrlichkeiten geweckt, die man sich erst mal leisten können muss. Den Männeranteil schätzte ich auf 40 Prozent, was mich positiv überraschte. Unverständlich, warum die Aussteller in Anbetracht dessen den Bräutigam nicht als Faktor in ihre unternehmerischen Überlegungen mit einbeziehen.

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Traditionelle Individualität

Beim Thema Hochzeit werden plötzlich sämtliche Traditionen wieder hervorgekramt—passend zum noch immer gültigen Begriff der Ehe von 1812. Der wird tatsächlich in §44 ABGB folgendermaßen (in alter Rechtschreibung) definiert: „Die Familien-Verhältnisse werden durch den Ehevertrag gegründet. In dem Ehevertrage erklären zwey Personen verschiedenen Geschlechtes gesetzmäßig ihren Willen, in unzertrennlicher Gemeinschaft zu leben, Kinder zu zeugen, sie zu erziehen, und sich gegenseitig Beystand zu leisten."

Wenn man sich verlobt, hat man in der Regel keine Ahnung vom Heiraten, also verlässt man sich darauf, „wie es sich gehört" und „wie man das normalerweise macht". Schließlich kommen ja auch die Eltern und Großeltern, also fallen Dreitagespartys unter der Brücke schon mal weg. Als ich beim Stand einer Hochzeits-Papeterie fragte, ob man Einladungen nicht mittlerweile auch per E-Mail senden könne, erhielt ich als Antwort: „Ja, das machen wir durchaus beim Save the Date." Save the Date? Es gibt eine Einladung vor der Einladung? Für eine Hochzeit? Es reicht also nicht mehr, sechs Monate vor dem Hochzeitstermin Bescheid zu geben?

Die Haupteinladung schicke man selbstverständlich keinesfalls per E-Mail. Als nächstes kommt sonst noch jemand auf die Idee, alt genug zu sein, sich selbstständig einen Sitzplatz auszusuchen. Dann wäre das Chaos perfekt!

Aus irgendeinem Grund halten die Menschen auch sonst an lächerlichen Bräuchen fest. Den schlimmsten las ich im Folder eines Strumpfbandherstellers: „Die Braut wirft den Brautstrauß, der Bräutigam das Strumpfband. Das Besondere hierbei ist das Abnehmen des Strumpfbandes vor der gesamten Hochzeitsgesellschaft. Die Braut stellt hierzu ihr Bein auf einen Stuhl, der Bräutigam schiebt das Brautkleid langsam nach oben um die Stimmung anzuheizen. Schließlich nimmt er das Strumpfband ab, was häufig mit Hilfe der Zähne erfolgt."

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Machen Menschen so was wirklich? Ganz wichtig ist natürlich, dass das Strumpfband, genau wie alles andere, individuell angefertigt wird und sich die Braut ihren persönlichen Rose- oder Lachston aussucht.

Bei jedem Stand wurde Individualität betont. Beginnend beim Poltern, das eine Firma anbot deren Name ich fälschlicherweise als "Poltergeister" las, über individuelle Eheringe, bei deren Anfertigung das Paar mithilft (oder zumindest für ein Foto so tut, wenn sie sich als absolut unfähig erweisen, wie der Händler uns im Vertrauen erzählte), bis hin zum individuell choreografierten Hochzeitstanz. Damit der besonders originell auf YouTube aussieht und auch auf Personen, die man gar nicht kennt, einen guten Eindruck macht. Darstellung und Inszenierung werden großgeschrieben. Heiraten als Event und Spektakel, zumindest in dem Punkt ist man in der Gegenwart angekommen. Da darf das Hochzeitsvideo in Super Slow Motion und 4K natürlich nicht fehlen.

Originalität wird lediglich simuliert, um den Charme eines Wagnisses zu versprühen, etwa in Form von Kärntner Trachten-Kilts. Am Ende muss aber trotzdem alles seine Ordnung haben, inklusive Morgengabe, Agape, Braut-Boudoir-Fotografie und Hussen. Alles, was mein Zukünftiger und ich wollen, ist eine gute Party—jetzt brauchen wir auf einmal ein Wörterbuch, um zu verstehen, welche Entscheidungen man von uns erwartet.

Fazit

Mein Wille zu heiraten ist trotz Hochzeitsmesse ungebrochen. Ich persönlich kann auf Einladungskarten aus handgeschöpftem Bio-Papier und mit veganen Farben sehr gut verzichten, aber ich habe auch nicht die Erwartung, dass dieser eine Tag der schönste meines Lebens wird. Der Druck, alles perfekt und richtig zu machen, ist auf jeden Fall real und spürbar. Ich hoffe sehr, dass in den nächsten Jahren nicht nur der Begriff der Ehe modernisiert wird, indem Kinderzeugen raus- und gleichgeschlechtliche Liebe reingenommen wird, sondern auch die gesellschaftlichen Ansprüche an das Hochzeitspaar ans 21. Jahrhundert angepasst werden.

Mein persönliches Highlight war, neben den zahlreichen Süßigkeiten, die es überall gratis gab, der Yogastand. Mitten im Trubel irritierte er uns mit seiner Anwesenheit. Die Frau nannte mich feige, weil ich mir meine Energie nicht von ihr zentrieren lassen wollte. Zuhause googlete ich die Gruppierung und stieß auf einen Bericht der Schweizer Fachstelle für Sektenfragen, die eine gewisse Skepsis für angebracht hält. Offenbar sind meine Chakren doch nicht so blockiert und senden mir noch genug richtige Intuition. Dann steht ja auch der Hochzeit nichts mehr im Wege.