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Hinter den Kulissen im Krieg gegen den IS

Nicht nur Kämpfer riskieren alles gegen den IS. Auch die Leute, die es Journalisten ermöglichen, über den Terror zu berichten.
VICE Media

Kämpfer des IS: Standbild aus dem Dokumentarfilm von VICE News

Wir bekommen alle täglich Bilder zu sehen, auf denen sich junge Männer und Frauen mit den einfachsten Waffen den übermächtig scheinenden Gegnern des Islamischen Staates in den Weg stellen. Doch auch abseits von Schützengraben und Häuserkampf gibt es mutige Menschen, die ihren Beitrag im Kampf gegen die wohl skrupelloseste Terrorbande der Welt leisten. Ich war als freier Journalist in Irak und Syrien und stelle euch zwei von denen vor, die ihr Leben Tag für Tag riskieren und ohne die so manch eine Story aus den Krisengebieten gar nicht erst möglich wäre.

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Awdo (rechts) und ich auf dem Weg nach Rojava, Foto: Sonja Hamed

Über Istanbul mache ich mich von Erbil aus auf in Richtung Syrien. Am Grenzübergang Fishkabour wartet Awdo auf mich. Ein Kurde in seinen 30ern, dem ich die nächsten Tage mein Leben anvertraue. Seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien ist er im kurdisch besiedelten Teil Rojava damit beschäftigt, Journalisten von einem Frontabschnitt zum nächsten zu fahren. „Die Aufgabe macht mir Spaß, ich bin viel unterwegs und bin immer auf dem aktuellsten Stand und weiß, wer wo wie viele Verluste hat", erzählt er. Wie oft er Journalisten an Fronten gebracht hat, weiß er nicht mehr genau, aber um die hundert schätzt er. Vom Grenzübergang bringt er mich nach Qamishli in das Hauptquartier der kurdischen Einheiten YPG. Qamishli wird zum größten Teil von kurdischen und arabischen Einheiten kontrolliert. Einige Viertel sowie der Militärflughafen sind unter der Kontrolle des Assad-Regimes.

„Pack die Kamera weg, wenn wir durch dieses Viertel fahren, hier hat das Regime die Kontrolle und sobald sie ausländische Journalisten erkennen, denken sie, dass ausländische Geheimdienste sie ausspionieren wollen. Erst vor einigen Monaten haben sie einen schwedischen Journalisten gekidnappt. Nach langen Verhandlungen seitens der Kurden hat man ihn und seinen Übersetzer freigelassen", erklärt Awdo. Während der 120 Kilometer langen Fahrt zum Hauptquartier erzählt mir Awdo mehr von der aktuellen Situation in Syrien. Auf seinem Honda-Van habe er ein gesondertes Autozeichen von der kurdischen Selbstverwaltung bekommen, daran könnten die Sicherheitskräfte an den Checkpoints erkennen, welchen Job er hat und man müsse ihn nicht lang kontrollieren. Benzin bekomme er auch kostenlos zur Verfügung gestellt.

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Motherboard: Syrien ist zu einer Front der DIY-Waffenschmiede geworden

Die Türkei und die kurdische Regionalregierung im Irak haben gegenüber der Selbstverwaltung ein Embargo ausgestellt, sodass keine Exporte möglich sind, die Menschen vor Ort nutzten das Öl deshalb für ihren Eigenbedarf. „Am liebsten würde ich selber kämpfen, doch die YPG will das nicht, weil ich verheiratet bin und eine kleine Tochter habe. Als man mir dann diese Aufgabe angeboten hat, habe ich sofort zugesagt", meint Awdo mit einem Grinsen. Am Hauptquartier der YPG angekommen müssen wir aus Sicherheitsgründen mehrere Male durchsucht werden, weil in der Vergangenheit öfters versucht wurde, mit Sprengsätzen das Quartier zu stürmen. Im Hauptquartier wird Awdo dann erklärt, zu welchem der 900 Kilometer langen Frontabschnitte wir fahren können. Neben Syrien fährt Awdo auch in den Irak, genauer gesagt nach Sinjar, wo ich am nächsten Tag hin will. Um fünf Uhr morgens soll es los gehen. Außer mir sollen noch ein deutsches Fernsehteam und zwei Fotografinnen mit. „Nach Sinjar Zentrum bin ich bis jetzt elf mal gefahren. Das letzte Mal mit der BBC. Es ist einer der gefährlichsten Orte, 70 Prozent der Stadt kontrolliert Daish (Dschihadisten), den Rest kurdische Einheiten, PKK, Peshmerga und Jesiden", erklärt Awdo.

Pünktlich um fünf Uhr steht Awdo bereit, er hat uns vorher noch eine Bescheinigung besorgt, damit wir an die Front können und von den Kurden geschützt werden. Er scheint sein Handwerk sicher zu beherrschen. Während der Fahrt nach Sinjar hört er Musik, von der er sagt, dass sie ihn entspannt. An einer Tankstelle wechselt er seine Reifen und besorgt uns Getränke.

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Der Tag in Sinjar kann lang werden und da es keine Getränke zu kaufen gibt, ist es wichtig, dass wir uns vorher versorgen. Über die syrische Stadt Til Kocher fahren wir in den Irak. Die Fahrt bis nach Sinjar dauert circa fünf Stunden.

Bis kurz vor Sinjar sind wir die Route alleine gefahren, Awdo hat einige Kilometer vor Sinjar angehalten und dafür gesorgt, das uns bewaffnete Fahrzeuge mit kurdischen PKK-Kämpfern begleiten, da einige umliegende Dörfer mit dem IS sympathisieren. Awdo wirkt sehr entspannt während der Fahrt. Ihm merkt man die Freude an seiner Arbeit an, dennoch wünscht er sich nichts mehr, als dass der Krieg ein Ende hat.

„Es wurde zu viel Blut vergossen in der Vergangenheit."

„Als die Jesiden im August letzten Jahres vertrieben worden sind, hat man uns gebeten, ihnen mit dem Auto, so schnell wie es nur geht, zur Hilfe zu eilen. Ich habe mein Auto getankt und habe eine Familie aus dem Sinjar-Gebirge mit nach Rojava genommen. In Rojava wurden sie in Camps untergebracht", blickt Awdo zurück mit einem nicht so grinsenden Gesicht wie vorher. Einige Meter vor der Front müssen wir aussteigen und er wartet an einem Checkpoint auf uns, bis wir unsere Bilder gemacht haben. Bevor die Sonne untergeht, machen wir uns auf den Weg zurück in Richtung Syrien. Awdo wirkt angespannt bei der Rückreise. „Wir müssen uns etwas beeilen, bevor es dunkel wird. Einige Dörfer, durch die wir fahren, waren bis vor Monaten unter der Kontrolle des IS. Ein Auto mit Journalisten aus dem Ausland bringt den Dorfbewohnern bestimmt viele Dollar", lacht er. Mir war nach dem Satz weniger nach Lachen. Zum Glück ist am Ende alles gut verlaufen und Awdo konnte uns sicher in unsere Unterkunft bringen. Für einen Tag an die Front nimmt Awdo zwischen hundert und zweihundert Dollar, je nach Entfernung und Einsatzort. Wenn man überlegt, was für ein Risiko er täglich eingeht, sind das auf jeden Fall akzeptable Preise. Für mich ist die Reise nach drei Tagen beendet, Awdo jedoch wird weiter in dem Chaos von Syrien leben und arbeiten. Er wird weiter Journalisten an die heißesten Ort bringen und darauf hoffen, dass Öffentlichkeit und Politik was tun, damit das Elend in seinem Land ein Ende hat und er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen kann.

„Ich weiß wo es die Interessanten Geschichten gibt."

Can (rechts) tauscht mit einem General der PKK Nummern aus, um immer auf dem Laufenden zu bleiben.

Ich wechsele den Ort. In Sulemaniye, einer Stadt im Nordirak, empfiehlt ein Kontakt mir jemanden, der die Geschichten für die großen Zeitungen und TV-Anstalten organisiert. Can ist ein schmächtiger Syrer, der seit fünf Jahren mit seiner Frau zusammen als Stringer arbeitet. Stringer werden nie in Beiträgen erwähnt, aber ohne sie wäre kaum eine Geschichte möglich. Vor allem in Kriegsgebieten sind Reporter auf einen guten Stringer angewiesen, der Kontakte zu Politkern und dem Militär vor Ort hat. Außerdem weiß er so manche Insiderinfos. „Willst du gefangene IS-Leute treffen? Wir haben aktuelle Infos, dass einige Iraker und Türkmenen, die mit dem IS gekämpft haben, bei Peshmerga-Einheiten in Kirkuk sind. Wenn du möchtest, organisier ich dir da was", erklärt er mir. Er habe von fast jedem General die Telefonnummer, neben Kurdisch spricht er Arabisch, Türkisch und Englisch. In Damaskus wurde er von syrischen Einheiten angeschossen, weil er gegen das Regime um Baschar al-Assad aktiv wurde, danach ist er in den Irak geflüchtet und arbeitet nun zusammen mit seiner Frau als Stringer. „Sehr viele Beiträge, die international ausgestrahlt worden sind, wurden von mir organisiert, für CNN, SKY NEWS und mit der ARD arbeiten meine Frau und ich seit Jahren zusammen", erklärt er mir. Can erzählt mir in der Hotellobby, dass er keinen Unterschied mache zwischen irakischer Armee, Peshmerga oder Guerillakämpfern der PKK. Wenn es eine interessante Geschichte gibt, fragt er sein Journalisten-Netzwerk per Mail, ob sie Interesse daran haben. Auch ich möchte seine Dienste in Anspruch nehmen und will Kämpfer treffen, die einen deutschen Hintergrund haben. „Da gibt es eine Rocker-Gruppe, Median Empire, kennst du die? Die Kämpfen mit kurdischen Peshmerga in Kirkuk. Wir können morgen hinfahren. Dann gibt es noch einige junge Frauen, die aus Deutschland kommen und mit der PKK in Kirkuk kämpfen", erzählt Can. Er organisiert uns einen Pick-up und will uns am nächsten Tag mit einem Fahrer nach Kirkuk bringen. Kirkuk ist die Öl-Stadt schlechthin; eine Stadt, in der Kurden und Araber leben und die in den letzten Monate häufiger zum Ziel des IS geworden ist. Die Reise nach Kirkuk hat sich für mich gelohnt, Can hat mich zur 23-jährigen Beritan gebracht, eine in Essen geborene Kurdin. Die Rocker konnten wir leider nicht treffen, da sie mit der Befreiung von Dörfern im Umland von Kirkuk beschäftigt waren. Can und ich machen uns auf die Rückreise nach Sulemaniye, wo es von dort aus dann für mich nach einer anstrengenden Woche nach Hause geht. Mach einer Reise, die ohne die Beiden wesentlich schwieriger gewesen wäre. In solchen Gebieten ist es wichtig, Leute wie Awdo und Can zu haben, die mit ihren Fähigkeiten und Kontakten dafür sorgen, dass man sicher und erfolgreich wieder zurückkommt.


Titelfoto: Imago/Xinhua