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Der Klugscheißer-Guide zu Flucht und Asyl – Teil 2: Europa

Damit ihr euch bei der nächsten Diskussion gegen gefährliches Halbwissen zur Wehr setzen könnt, haben wir euch die wichtigsten Schlagwörter zusammengestellt.
Alle Fotos: Grey Hutton

Wir haben euch in einem Faktencheck bereits gezeigt, wie sich die schlimmsten Totschlagargumente gegen Flüchtlinge mit etwas Wissen entkräften lassen. Wenn euch das noch nicht reicht, haben wir für euch als verantwortungsvolle Vertreter der Lügenpresse in diesem ausführlichen Guide eine Auswahl der wichtigsten Schlagwörter im Bereich Flucht und Asylpolitik zusammengestellt, damit ihr euch bei der nächsten Diskussion gegen gefährliches Halbwissen zur Wehr setzen und als wahre Klugscheißer glänzen könnt.

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EU-Abkürzungen, die jeder schon mal gehört hat und die keiner erklären kann, gibt es en masse. Im diesem Teil des Guides machen wir euch mit Begriffen wie Eurosur, Pushbacks und Triton sattelfest. Denn wahre Klugscheißer wissen mit komischen Begriffen um sich zu werfen und dabei gut auszusehen. Wenn ihr mehr über die Flüchtlingssituation in Österreich erfahren wollt, klickt hier.

Eurosur

Das System zur Überwachung „problematischer Menschenströme" ist seit 2014 unter dem Namen „European Border Surveillance System" in Verwendung—als Antwort auf den Tod von 63 Menschen vor der italienischen Insel Lampedusa. Zuvor hatte ein italienischer Grenzhelikopter das in Seenot geratene Boot gesehen, Wasser und Kekse vorbeigebracht und dann die maltesische Küstenwache alarmiert, in dessen Gebiet sich das Boot anscheinend befand. Malta behauptet, nie einen Anruf erhalten zu haben. Das Boot war also geortet worden, die Zuständigkeit allerdings ungeklärt. Den „boatpeople" kam niemand zu Hilfe.

Mit Drohnen, Aufklärungsgeräten, Offshore-Sensoren und Satellitensuchsystemen soll das Mittelmeer komplett vermessen werden. Nationale Koordinierungszentren sollen beim Datenaustausch mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex helfen. 874 Millionen Euro soll der Spaß kosten. Frontex weiß dadurch wesentlich besser darüber Bescheid, wo sich Menschen in Seenot befinden. Wer dafür zuständig ist, sie zu retten, ist dadurch noch immer nicht geklärt.

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Dublin II und Dublin III

Die sogenannte Dublinverordnung legt fest, welcher EU-Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Laut dieser Verordnung muss in jenem Land um Asyl angesucht werden, welches als Erstes betreten wurde.

Dass diese Regelung ohnehin schon völlig überforderte Länder wie Italien, Griechenland und andere Küstenstaaten in Schwierigkeiten bringt, ist klar. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat Abschiebungen nach Griechenland aufgrund der dort herrschenden Zustände für menschenrechtswidrig erklärt. Mehrere Mitgliedsstaaten, inklusive Deutschland, haben seither erklärt, bis auf Weiteres keine Dublin-Abschiebungen nach Griechenland mehr durchzuführen. Doch auch Abschiebungen in Ländern wie Ungarn sind problematisch. Die Berichte über Abschiebungen ohne ein faires Asylverfahren sowie entwürdigende Haftbedingungen und Misshandlungen von Seiten des Wachpersonals häufen sich.

Der UNHCR und zahlreiche NGOs wie Pro Asyl oder Amnesty International kritisieren das Dublinabkommen scharf. Einerseits, da es bloß Zuständigkeiten regelt, aber keine einheitliche Flüchtlingspolitik gibt. Außerdem soll es gegen internationale Flüchtlingsrechte verstoßen.

Kooperation mit Anrainerstaaten oder „Komplizenstaaten"

Die EU macht seit über 15 Jahren Deals mit einigen „Komplizenstaaten", wie der Ukraine, Tunesien, Weißrussland und Libyen. Auf diese Weise hat Europa eine Art Puffer um seine Grenzen errichtet, damit fliehende Menschen es erst gar nicht bis an die EU-Grenzen schaffen. Viele dieser Staaten nehmen es mit Menschenrechten nicht so genau und finden es nicht so schlimm, Menschen lebendig zu begraben.

Libyens Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi beispielsweise bekam einige Millionen und moderne Ausrüstung von Italien zugeschickt. Dafür musste er den befreundeten europäischen Ländern lediglich den Gefallen tun, die Grenze zum Tschad abzuriegeln und Abgeschobene wieder zurücknehmen. Auf Andere übt Europa Druck aus, indem sie die Entwicklungshilfe kürzt, wenn die Staaten die Flüchtenden nicht abfangen. Dass diese Beamten nicht gerade zimperlich mit den Flüchtlingen umgehen, ist weitgehend bekannt. In Marokko werden ihnen Arme und Beine gebrochen, in der Ukraine werden sie inhaftiert—gesponsert wird dieses Verhalten von Brüssel.

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Pushback

Sogenannte Pushback-Aktionen sind illegale Operationen, bei denen Flüchtlinge, die bereits europäisches Gebiet betreten haben, von Grenzbeamten zurückgeschickt werden. Eine Methode ist es, Flüchtlingsboote mit einem anderen Boot abzudrängen—heraus aus europäischen Gewässern. Wer es in EU-Territorium geschafft hat, darf Asyl beantragen und erst dann wieder von den Behörden ausgewiesen werden, wenn sein Asylantrag abgelehnt wurde.

Im Februar 2014 starben 15 Menschen bei dem Versuch, von Marokko aus die spanische Exklave Ceuta schwimmend zu erreichen. Die spanische Guardia Civil pumpte Tränengas ins Meer, prügelte mit Stöcken und schoss mit Gummigeschossen auf die Schwimmenden. Videoaufnahmen zeigen Situationen, in denen Grenzbeamte mit Schlagstöcken gegen Migranten, die hilflos auf den Grenzzäunen hängen, vorgehen. Man sieht in dem Video, wie ein bewusstlos geschlagener junger Mann schließlich zurück hinter den Zaun geschleift wird. Liest man das, versteht man die Bezeichnung „War on migrants", der von Flüchtlingsaktivisten beklagt wird.

Europe or Die: Todesboote nach Griechenland.

Triton vs. Mare Nostrum

Triton bezeichnet in diesem Fall nicht den Vater von Ariel der Meerjungfrau (ja genau, aus dem Disney-Film), sondern eine EU-Operation. Im November vergangenen Jahres hat sie die Seerettungsaktion Mare Nostrum abgelöst, die in einem Jahr 130.000 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet hatte. Diese Mission hatte Rom nach der Flüchtlingskatastrophe von Lampedusa gestartet. Doch laut Italiens Innenminister Angelino Alfano hat „Italien hat seine Pflicht getan"—und Mare Nostrum lief aus. Obwohl Triton als Nachfolge-Operation vorgestellt wurde, gibt es einige elementare Unterschiede:

  • Das Budget und die technischen Ressourcen von Triton sind wesentlich geringer als die von Mare Nostrum, die sich auf 9 Millionen Euro beliefen. Triton hat weniger als ein Drittel davon.
  • Triton ist eine Operation von Frontex, der europäischen Grenzschutz-Agentur. Frontex fehlt laut der Bundesvorsitzenden der Grünen, Simone Peter, „das Selbstverständnis für eine Seenotrettungsmission, für sie steht der Grenzschutz im Fokus."
  • Das Einsatzgebiet von Triton wird wesentlich kleiner sein, die Schiffe nur sehr nahe an der italienischen Küste patrouillieren
  • Das Operationsziel von Mare Nostrum war vorrangig die Seenotrettung. Triton hingegen ist laut Deutschland eine Operation zum Schutz und zur Überwachung der Außengrenzen, die auch „Kapazitäten zur Seenotrettung" hat. Frontex' Interimsdirektor Gil Arias sieht hier den Hauptunterschied. Leben zu retten, ist also keine Priorität von Triton.

Wir hoffen, ihr seid jetzt ein bisschen klüger. Wenn euch klugscheißen allein nicht reicht, engagiert euch doch.