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Museumswärter als Kunstkritiker

Kein Kurator, Kunstkritiker, Museumsdauerbesucher oder Monokelbesitzer verbringt mehr Zeit damit, sich Kunst anzuschauen, als ein Museumswärter. Sie werden ja auch dazu gezwungen.

Fred Wilson, Guarded View, 1991

Kein Kurator, Kunstkritiker, Museumsdauerbesucher oder Monokelbesitzer verbringt mehr Zeit damit, sich Kunst anzuschauen, als ein Museumswärter. Sie sind gezwungen, Bilder so lange anzustarren, dass ihre Augen die Kunst nur noch als weißes Rauschen ausblenden. Während sie also rummeckern, wenn jemand versucht, ein Foto zu machen, oder im Flüsterton Idioten anschreien, die sich mit der Nase dem Kunstwerk auf Eskimokuss-Distanz nähern, muss sich doch die Kunst, deren Hüter sie sind, bereits auf ihre Netzhaut eingebrannt haben, oder? Ich wagte mich hinaus, um die Meinung dieser Meisterbeobachter über die Kunst, die sie Tag ein Tag aus beschützen, zu sammeln. Ihnen ihr Geheimnis zu entlocken, war schwieriger, als ich zuerst angenommen hatte. Ich begab mich zur Pressevorführung der Whitney Biennale und nahm an, ich könne einfach jeden mit Sicherheitsausweis anquatschen und man würde mir mit Begeisterung Rede und Antwort stehen. Weit gefehlt, meine Fragen wurden mit Gegenfragen beantwortet: „Wer sind Sie?“ Oder: „Warum fragen Sie mich das?“ Später teilte mir der Museumspressesprecher in einer E-Mail mit, dass es Whitney-Geschäftspolitik ist, „nur Kuratoren die Kunst kommentieren zu lassen …“ Was für ein bourgeoiser Eliteverein! Man muss den Stöpsel aus diesen stillen Geysiren der Kunstkritik ziehen, damit sie sprudeln können, verdammt. Es war sofort klar, dass ich bei der bürokratischen Schreckensherrschaft der Whitney-PR-Abteilung keinen Zentimeter vorwärts kommen würde, also beschloss ich, einfach so lange im Museum rumzuhängen, bis mein Gesicht den Wärtern mindestens so bekannt war wie die Kunst, über die ich sie befragen wollte. Schlussendlich öffneten sie sich mir und erzählen mir vom Besten und Langweiligsten der Ausstellung.

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Lutz Bacher, Pipe Organ, 2009-11

Hi. Haben Sie hier ein Lieblingsstück?
Wärter 1: Nein. OK. Was halten Sie hiervon?
Ich bin seit zehn Minuten hier und das ist ganz nett. Es ist eine elektrische Orgel und ich liebe Musik. Sie ist sehr groß und ich liebe es, wenn der Hammer auf die Tasten schlägt. Die Orgelpfeifen sehen kaputt aus und es gefällt mir, wie sie umgestoßen wurden, es erinnert mich an Torpedos oder Raketen.

Joanna Malinowska, From the Canyons to the Stars, 2012

Haben Sie auf diesem Stockwerk ein Lieblingsstück?
Wärterin 2: Ja, genau hier. Die Skulptur mit den Hörnern und Stoßzähnen. Ich weiß nicht so genau, was es ist, aber es sieht aus, als wäre es ein Kleiderständer für Dinosaurier. Es sieht furchteinflößend aus. Es erinnert mich an einen Ausflug nach Alaska, deswegen gefällt es mir so gut. Meine Meinung über Kunst hat sich vollkommen verändert, seit ich vor zehn Jahren nach Amerika gekommen bin.

Nick Mauss, Concern Crush Desire, 2011

Entschuldigung. Warum, glauben Sie, hat der Künstler einen gelben Raum in die Galerie gemalt?
Wärter 3: Keine Ahnung, aber ich mag es, wie es sich vom Rest der Galerie abhebt. Es sieht wie ein netter Raum aus. Mir gefällt, dass es Türen gibt, durch die man durch die Kunst hindurch gehen kann. Vielleicht soll es ein schöner Raum sein, der dem Künstler gefallen hat. Da hängt Warhol an der Wand des „Raums“ und einige Zeichnungen von … was steht da? Von Eyre De Lanux. Meine Aussprache ist wirklich schlecht.

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Kai Althoff, Untitled, 2011-12

Hallo. Gefällt es Ihnen, dieses Kunstwerk zu schützen?
Wärterin 4: Ja, es ist angenehm. Was ist so schön daran?
Es sieht schön aus. Es ist sehr farbenfroh, ich mag bunte Kunst, weil ich mich normalerweise in dunkle Farben kleide. Aber irgendwie ist es aufgrund der komischen Form des Bildes auch seltsam, das ist nicht normal—eine diamantförmige Leinwand oder so. Und dieser Vorhang aus Stoff, eine angenehmere Version einer Wand, an die man Bilder hängen kann. Es ist hinreißend.

Jutta Koether, The Seasons II, 2011

Was bewachen Sie momentan?
Wächter 5: Ich bin mir nicht sicher. Es steht dort. [Er deutet auf die Wand] Gefällt es Ihnen?
Ja, sehr nett. Was ist so nett daran?
Es hat viele Farben und ich mag diese verrückten Zickzack-Linien. Es sieht wie eine Party aus, eine richtig verrückte. Es erinnert mich an den Frühling, das ist schön, weil mir der Winter auf die Nerven geht. Es ist schön, so viele chaotische Farben zu sehen.

Andrew Masullo’s Oil on Canvas collection

Wärter 6: Kommen Sie her. VICE: Ja?
Warum machen Sie Fotos? Ich mache ein Foto von den Masullos hinter Ihnen.
[Der Wächter sagt nichts, starrt mich aber an.] Gefallen die Ihnen?
Ja. Warum?
Sie sind klein und lebhaft. Ich kann sie einfach genießen, wegen der Farbe und der Größe. Ich denke an überhaupt nichts, wenn ich das sehe. Ich vergesse meinen Job, wenn ich diese Bilder sehe.

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Forrest Bess, The Noble Carbunkle, 1960

Was halten Sie von diesem Bild?
Wärter 7: Nicht mein Favorit. Oh. Warum?
Es ist zu sexuell. Wirklich?
Kucken Sie sich doch das Zentrum des Bildes an. Es sieht aus wie die, … na, Sie wissen schon, von einer Frau. Und dann ist daneben dieses Einhorn, das traurig aussieht. Im Text an der Wand steht außerdem, dass der Künstler betrunken angefangen hat, an seinem eigenen Geschlechtsteil rumzudoktern, um weiblicher zu werden. Man tut sich schwer, dieses Bild anzuschauen, ohne sich vorzustellen, was er seinem Körper angetan hat.

Nicole Eisenman, Breakup, 2011

Haben Sie im Museum ein Lieblingsbild?
Wärter 8: Ja, im anderen Raum, es heißt The Breakup. Ist mir noch gar nicht aufgefallen. Wie sieht es aus?
Es ist das mit der traurigen Person, die etwas in der Hand hält, das wie ein Telefon aussieht. Es erinnert mich daran, wie viel meine Kinder ihr Handy benutzen. Ich glaube, das Bild erzählt die Geschichte von jemandem, der jemand anderen über das Mobiltelefon verlässt oder von ihm verlassen wird. Ich glaube, die Jugend hat heutzutage ein komisches Sozialverhalten und das Bild weist äußerst passend darauf hin.

http://www.babesatthemuseum.com/

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