Was macht man, wenn alle Freunde plötzlich Babys kriegen?

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Was macht man, wenn alle Freunde plötzlich Babys kriegen?

Jana Romanova hat sich in die Schlafzimmer von schwangeren Pärchen geschlichen und Fotos von ihnen gemacht. Und irgendwie ist das gar nicht so creepy.

Im Leben eines jeden jungen Erwachsenen kommt irgendwann der Punkt, an dem ihm klar wird, dass es an der Zeit ist, ein paar Dinge zu ändern. Z.B. damit aufhören, bis spätnachmittags zu schlafen, den halbtags von Zuhause ausgeführten Job als Grafikdesigner, von dem man so verzweifelt gehofft hatte, es würde funktionieren, kündigen, und vor allem sich dem wirklichen Leben stellen, anstatt weiter in seiner kleinen, selbst geschaffenen Welt vor sich hinzuvegetieren.

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Normalerweise trifft dich die Erkenntnis irgendwann zwischen deinem letzten Jahr an der Uni und der unvermuteten plötzlichen Hochzeit und/oder Schwangerschaft deiner bekloppten Schulfreundin.
Meistens folgt darauf eine die Substanz angreifende Krise, während der du panisch versuchst, rational zu denken und alles, aber wirklich alles, was in den nächsten 60 Jahren deines Lebens passieren soll, vorauszuplanen.
Es gibt natürlich auch kreativere Wege, damit umzugehen. Ich zum Beispiel entwickelte eine Hosenkollektion, die mittlerweile stolze 64 unterschiedliche Entwürfe umfasst.

Meine neue Freundin Jana Romanova—eine russische Fotografin—hingegen fing an, sich in die Schlafzimmer ihrer schwangeren Freundinnen zu schleichen, um sie für ihr Projekt Waiting im Schlaf zu fotografieren. Jedem Tierchen sein Pläsierchen, schätze ich.
Das Beste an ihrem Projekt: Weil das Ergebnis so bezaubernd ist und sich fast jeder damit identifizieren kann, findet die Tatsache, dass Jana schlafende Menschen fotografiert, kaum jemand anstößig. Ich rief sie an, um ein bisschen mit ihr zu plaudern.

VICE: Du warst 25, als du angefangen hast, an diesem Projekt zu arbeiten—ziemlich jung, um schon an Babys zu denken, oder? Hast du deine innere Uhr schon ticken gehört?
Jana Romanova: Nein, ganz im Gegenteil. Als viele meiner Freundinnen plötzlich schwanger wurden, änderte sich alles. Der ganze Spaß—Alkohol und per Anhalter durch die Gegend zu fahren—das alles war plötzlich vorbei und für mich war das eine ziemlich schwierige Zeit. Ich fühlte mich allein.

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Wolltest du durch die Bilder selber auch daran teilhaben?
Irgendwie schon. Ich suchte weiter nach Arten, damit umzugehen. Eines Nachts schlief ich in der Wohnung einer schwangeren Freundin. Als ich aufwachte, bemerkte ich, dass das Paar auf dem Boden schlief. In der Wohnung stand eine Leiter. Ich stieg hinauf und fotografierte die Beiden. Das Bild verriet mir etwas über ihre Beziehung. Die Art, wie sie schliefen, ließ sie einerseits wie ein richtig gutes Team aussehen, aber gleichzeitig auch extrem voneinander getrennt. Auf deinem Blog habe ich gelesen, dass die 40 Bilder aus denen das Projekt besteht, die 40 Wochen einer Schwangerschaft repräsentieren.
Ja, und ich habe 40 Paare fotografiert. Dahinter steckt kein tieferer Gedanke, ich brauchte nur eine Begrenzung und dachte mir, dass das 40-Wochen-Schwangerschafts-Prinzip ganz gut passen würde.
Außerdem sind die Bilder im Buch so platziert, dass sie—das hoffe ich zumindest—den Betrachter die verschiedenen Phasen einer Schwangerschaft durchleben lassen.
Das Paar auf dem ersten Foto schläft zum Beispiel sehr weit voneinander entfernt. Von Bild zu Bild kommen sich die Paare näher. Aber das kommt nur davon, wie ich die Bilder arrangiert habe. Hast du auch versucht, Frauen in verschiedenen Schwangerschaftsstadien zu fotografieren?
Ja, aber das war sehr schwierig. In Russland sind viele Menschen abergläubisch und halten ihre Schwangerschaft bis zum dritten Monat geheim, aus Angst, das Baby zu verlieren.

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Deshalb wollten sich die meisten während dieser Phase nicht fotografieren lassen.
Aber auch hier konnte ich die Reihenfolge der Bilder so festlegen, dass es wirkt, als wären die Frauen in den Anfängen ihrer Schwangerschaft. Das erste Bild zeigt diesen richtig großen Typen und dieses wirklich zierliche Mädchen. Sie sieht nicht wirklich schwanger aus, war aber zu dem Zeitpunkt schon im siebten Monat.

Kannst du mir erzählen, wie du vorgegangen bist? Wie lange hast du daran gearbeitet und wie viel Zeit hast du mit den verschiedenen Pärchen verbracht?
Für das ganze Projekt brauchte ich drei Jahre. Ich hab gefühlte 300 E-Mails geschrieben, um die 40 Paare dazu zu bringen, sich fotografieren zu lassen. Und ich musste die Nacht mit ihnen verbringen, was es noch schwieriger machte, sie zu überzeugen. Sobald ich ein Paar so weit hatte, ging ich in ihre Wohnung und stellte meine Leiter, mit der Kamera auf der obersten Stufe, neben ihr Bett.
Danach legte ich mich in einem anderen Raum schlafen und stellte mir meinen Wecker auf 6 Uhr. Ganz leise stieg ich auf die Leiter und fing an, Fotos zu machen, während die Beiden noch schliefen. Das dauerte meistens zwei Stunden. Zwei Stunden? Die sind dabei doch sicher aufgewacht.
Ja, manchmal. Vor allem gegen Ende der Sessions. Darum sind die meisten Bilder, die ich letztendlich benutzt habe, auch während des Anfangs, also gegen 6 Uhr, entstanden.

Du hast gesagt, der Blickwinkel sei zufällig gewählt, aber es wirkt auf mich ziemlich berechnet—der Betrachter wird Teil des Raums.
Ich denke, jeder von uns wünscht sich manchmal, ein unsichtbarer Beobachter zu sein. Ich vermute, deshalb lieben die Leute Reality-TV so sehr. Vermutlich. Wieso schlafen sie alle in Einzelbetten oder auf Sofas?
Das haben mich viele Leute gefragt. „Wieso schlafen die auf dem Sofa, sind die arm?“ Aber das hängt mehr mit räumlicher als mit finanzieller Ersparnis zusammen. Ich schlafe auch auf einem Sofa. Außerdem sind es junge Paare und viele von ihnen sind erst kürzlich zusammengezogen. Sie waren es gewohnt, alleine zu schlafen.

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Gibt es ein Foto, das du besonders magst?
Da ist dieses eine Pärchen, die beiden haben es mir angetan. Aber es ist eine ziemlich traurige Geschichte. Es ist das Foto von dem großen, haarigen Kerl, der seine Hand auf dem Bauch seiner Frau hat. Der Mann starb letztes Jahr bei einem Autounfall in Thailand und jetzt ist seine Frau auf sich allein gestellt. Ich lernte das Paar während des Projekts kennen und wir kamen uns ziemlich nah, weshalb mich der Blick auf das Bild jedes Mal traurig macht. Was noch hinzukam: An dem Tag, an dem ich von seinem Tod erfuhr, wurde das Bild als Poster für ein Festival, an dem ich teilnahm, ausgesucht. Ich sah es und wollte sterben. Aber zumindest habe ich das Bild als Erinnerung an ihn. Das tut mir leid. Hast du vor, das Projekt in irgendeiner Form, fortzuführen?
Ich denke, ich werde die Familien in zehn Jahren noch einmal fotografieren. Die russische Gesellschaft befindet sich in einem permanenten Wandel—alles ist so neu für uns. Waiting handelt auch irgendwie davon. Die Kinder, die heute das Licht der Welt erblicken, werden die Sowjetunion nur noch aus Geschichtsbüchern kennen—ihre Eltern wurden geboren, als sie zusammenbrach. Es wird interessant sein zu sehen, wie sie sich in den nächsten zehn Jahren entwickeln. Ich werde dran bleiben. Danke, Jana.