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Popkultur

Manchmal ist die Größe doch wichtig

Du wirst vor deinem überdimensional großen Fernseher sitzen und mit deinem Handy das Programm bestimmen, deine Pizza im FC-Bayern-Ofen backen, skypen und das Licht aus- und anschalten—ohne dich bewegen zu müssen.

Die Funkausstellung in Berlin ist die Prahlmesse für alles, was einen Stecker hat. „Smarte“ TV und Küchengeräte gehen online und in die Cloud. Wer braucht das?

Es ist Samstag, ich bin auf der „Internationalen Funkausstellung“ in Berlin. Das Messegelände unterm Funkturm ist so groß, dass Pendelbusse zwischen den Hallen fahren. Alle Großen der Unterhaltungsbranche sind hier. Nur ein Dickfisch fehlt, wie auf anderen Technikschauen: Apple. Die Firma hat es offenbar nicht nötig, ihre Nase zu zeigen.

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Ich bin der Herde der Besucher gefolgt und habe unversehens die „Galaxy Gear Smartwatch“ von Samsung umgeschnallt. Kaum habe ich ein paar Fotos des Hightech-Geräts geschossen, da stellt sich eine freundliche Dame an meine Seite, um mir das Gerät zu erklären.

Ich lerne, wie ich mit der Uhr telefoniere, Fotos mache und zehnsekündige Videos aufzeichne. Ich lerne, dass der Chronograph ohne Galaxy in Bluetooth-Weite dumm ist wie eine Rolex. Ich streiche über den Bildschirm und taste mich durch die Menüs. Hinter mir wird ein Junge schon nervös, der die Uhr auch ausprobieren will. Am liebsten würde er sie mir vom Arm reißen. Um mich herum machen zahlreiche Besucher mit ihren Handys und Tablets Fotos der Uhr.

Eine Uhr, die alles kann. Am Stand von Samsung versammelten sich die Massen wegen der Smartwatch.

„Will ich das? Brauche ich das?“ Diese Frage geht mir auf der Funkausstellung ständig durch den Kopf. Sie ist meine Begleiterin. Sie ist wie ein technikskeptisches Teufelchen, das auf meiner Schulter sitzt und Reibach der Konzerne wittert. Diese Haltung mag in meiner Erziehung verankert sein. Mein Opa hielt Farbfernsehen für Geldmacherei. Aber muss mein Fernseher tatsächlich „smart“ sein? Schlauer als ich dummer Kerl auf dem Sofa, der entmündigt wird, weil die Glotze besser weiß, was er will? „Smart“ ist das Schlüsselwort der Messe. Es wird als Verheißung angepriesen: Mit dem Fernseher gehe ich ins Internet, ich skype über die Glotze, schaue dort YouTube-Videos, zeige Urlaubsfotos, höre Musik, ziehe mir Hollywoodstreifen rein. Vieles davon liegt irgendwo in der „Cloud“ und die wiederum liegt womöglich in den USA und steht weltweit unter [Beobachtung](http://Die Polizei überwacht eure Handys).

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Ich kann mit einer dynamischen Handbewegung Fotos vom Tablet auf den TV-Bildschirm werfen oder auf einem Zweitgerät Bezahlprogramme sehen, die auf dem Erstgerät laufen. Eine vorstellbare Anwendung hierfür könnte sein, dass die Gattin im Schlafzimmer eine Sendung anschaut, während der Göttergatte dasselbe im Wohnzimmer tut.

Die Besucher sind fasziniert von den gestochen scharfen Bildern auf den riesigen Flachbildschirmen.

Was die Fernsehstationen senden, scheint in dieser wunderbaren TV-Welt zur Nebensächlichkeit zu geraten, während sich die „smarten“ Fernseher verkaufen wie warme Semmeln. Und alle großen Hersteller machen bei dieser Art der Aufrüstung mit.

Hunderte Fernseher flimmern in den Messehallen. Wobei Flimmern das falsche Wort ist. Die Bilder sind gestochen scharf. Die Hersteller bejubeln „World’s first 4k OLED TV“, „World’s first curved LED TV“, „World’s first curved UHD TV“ oder schlicht „World’s largest“.

Bei jedem Hersteller stehen hübsche Damen in edlen Abendkleidern und präsentieren die „largest“ Weltneuheiten.

Allenthalben treffe ich auf das Kürzel 4K. Die Bezeichnung Ultra-HD geht auch. Hauptsache, du sprichst es Englisch aus. Beides steht für eine nie gesehene Auflösung. Auf Bildschirmen sehe ich riesige Schlangen, friedliche Gorillas, zauberhafte Landschaften. Dies alles farbenfroh und brillant. Welche vier- oder fünfstelligen Summen die Firmen aufrufen, will ich gar nicht erst wissen, um mir die Stimmung nicht zu verderben—ein Traum in weiter Ferne. Bei Panasonic bleibe ich stehen und kucke gebannt auf die Monitorwand. Davor fläzt sich ein Mitarbeiter der Firma vor einem Fernseher im Sessel. „My home screen“ steht an die Wand geschrieben, wobei die Betonung auf My liegt.

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Mit dem Handy wird auf alles draufgehalten. Alles mitnehmen, was geht, außer die hohe Auflösung. 

Eine Kamera am Fernsehgerät hat längst erkannt, wer da sitzt, und hat die Mattscheibe so sortiert, wie das Herrchen es bevorzugt. Seine Lieblingsprogramme hat der TV ausgewählt, seinen Skype-Account geöffnet, die Favoriten unter seinen Apps geöffnet.

Der Panasonic-Mann erzählt mit schnellen Worten: Wenn mir meine Frau eine SMS auf den TV-Bildschirm schickt, ich solle die Verabredung am Abend nicht vergessen, und ich sie vergessen habe, kann ich zuerst mit meiner Lieben skypen, wobei ich sie auf dem TV-Bildschirm sehe, dann am TV-Bildschirm eine Pizzeria suchen, gleich einen Tisch reservieren … Und das alles könne man, ohne sich aus dem Fernsehsessel zu erheben. Allerdings empfiehlt der schlaue Fernseher während der Berliner Vorführung ein Restaurant in Brooklyn …

Trotzdem: Das sieht schon toll aus! Manches davon ist praktisch, dazu leicht zu finden, Stimme und Fernbedienung ein super Gespann. Selbstredend darf ein smarter Fernseher nicht klein sein. Größe zählt. 55 Zoll verdienen das Etikett „gigantisch“ nicht mehr. Die Wände voller Bildschirme erinnern mich an Mediamarkt. So würde ich mich dort fühlen, wäre ich ein Zwerg. Je größer die Glotzen sind, umso kleiner bin ich.

Bei Panasonic lerne ich, wie ich künftig fernzuschauen habe.

Manch Revolutionäres ist am Rande aber auch ganz klein und gut versteckt, Manches ist gar unsichtbar, weil es sich um Soft- statt Hartware handelt. Da ist beispielsweise die Firma Flinc. Die Mitfahrzentrale vermittelt nicht nur Fahrten von A nach B, sondern auch von C nach B. Benjamin Kirscher, der Firmengründer, läuft in Manier eines Mark Zuckerberg im blauen T-Shirt und Jeans auf und ab, als er auf dem Podium von „MotorBlog Talks“ erklärt, wie Flinc funktioniert. Allerdings spricht er vor nur gut zwei Dutzend Zuhörern.

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Neuerdings arbeitet Benjamin mit dem Navi-Hersteller Garmin zusammen. Das Gerät zeigt Autofahrern sogar während der Fahrt, wenn jemand am Rande der Strecke kurz entschlossen eine Mitfahrgelegenheit sucht. Wie lange dauert der nötige Umweg? Wie hoch wird der Obolus sein, den der Fahrgast an ihn entrichten muss? All diese verrät das Gerät. Toll ist, dass weder Fahrer noch Mitfahrer Gebühren bezahlen müssen.

Die Besucher verlieren auf der IFA vor lauter Technik einen klaren Blick.

Endlich entdecke ich etwas, das mir viel Geld gespart hätte: Der Rettungsbeutel für Handys, die ins Wasser gefallen sind. Die Dame am Messestand lächelt mitfühlend, als ich ihr erzähle, dass ich jüngst dabei war, wie ein Samsung im Klo versenkt wurde. Natürlich war es danach kaputt. Der EVAP hätte es vielleicht gerettet. Auf der Packung prangt ein blaues Kreuz: „Der Beutel ist der Erste-Hilfe-Kasten fürs Handy.“ Jeder solle solch ein Säcklein daheim haben. 24 Stunden lang in Silikon und ein Granulat gepackt und das Handy ist wieder trocken.

Leider steht kein Aquarium bereit, in das ich testhalber mein Smartphone werfen könnte. Ich hätte es sonst sofort ausprobiert. So bekomme ich zwei EVAP in die Hände gedrückt. Ich darf sie daheim ausprobieren. Ohne Aufsicht des Experten und dessen Haftpflichtversicherung wage ich es doch nicht.

Handybesitzer brauchen das Wasser nicht mehr scheuen. Mir wird versprochen, der kleine Plastikbeutel lege jedes Smartphone wieder trocken.  

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Unvermittelt lande ich bei den Herstellern von Haushaltsgeräten. Kühlschränke sind „smart“, Herde sind „smart“, Waschmaschinen auch. Ich streife durch die Reihen und will eigentlich nur raus hier. Da steht er vor mir: Der „Meistertrockner“ der „edition FC Bayern München“. Auf dem Knopf, mit dem das Trockenprogramm gewählt wird, prangt das Bayernlogo. „Gibt es auch eine Bayern-Waschmaschine“, frage ich einen Berater von Siemens. „Damit es der Zeugwart schafft, die Trikots der Mannschaft in der Halbzeitpause zu waschen.“ Der Mitarbeiter schaut mich verständnislos an und sagt, dass er eigentlich nur für Bügeleisen zuständig ist. Der Trockner kann nichts Besonderes, so viel verrät er, so wie ein „Golf Rolling Stone“ keine eigenwilligen Sound hat.

Mia san trocken. Der FC Bayern Trockner macht's möglich.

Da höre ich eine bayerische Stimme, die von Vitaminen doziert. Sie gehört Fernsehkoch Alfons Schuhbeck. Gerade war er noch mit dem Handy am Ohr zwischen Geschirrspülern und Waschmaschinen herumstolziert. An seiner Brust prangt das Logo der Bayern. Der Satzfetzen „habe einen Vertrag“ war deutlich zu hören. Der Koch ist Geschäftsmann. Jetzt rührt er wieder in Töpfen.

Zwischen allerlei Kaffeeautomaten köchelt Spitzenkoch Wolfgang Müller ein Selleriesüppchen, für das er Kaffee verwendet. „Der hat einen schönen Nachhall“, sagt er. Als ich ihm erzähle, dass ich unsmart koche, indem ich zusammenrühre, was ich im Kühlschrank finde, sagt er nur: „Ist doch ok, wenn’s schmeckt.“ Im modernen Haushalt speichert die Kaffeemaschine die Persönlichkeitsprofile—wer trinkt Espresso, wer Latte und wer Cappuccino? Der Backofen läuft mit Voicecontrol. Und mein Smartphone schreibt mir den Einkaufszettel, sobald ich mich online für ein Kochrezept entschieden habe, wobei das Telefon beim Kühlschrank nachfragt, was drinnen ist.

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Das Zauberwort der diesjährigen IFA lautet 4K. Alles ist „amazing“, „revolutionary“ und „awesome“. 

Dann entdecke ich noch einen Toaster, der mit einem Sensor den Bräunungsgrad misst!

An der „Tagesbar“ schüttelt ein Team von Promi-Wirt Charles Schumann Cocktails. Passionsfrüchte, Gurken, Ingwer wirft Flinn Spinney in die Gläser. Seinen „Zuma“ trinken die Gäste am liebsten. Gestern hat er insgesamt 1.200 Drinks ausgeschenkt. Trotzdem: Die IFA ist keine Fress- und Pichelmesse. Versucherle gibt es kaum, Müllers asiatische Hühnerbrüstchen machen auch nicht satt.

Bei Motörheadphönes lagert eine ungeöffnete Weinflaschen im Kühlschrank, deren Etikett das Emblem der Rockband zeigt. Ein Schlagzeug wurde aufgebaut. An den Wänden hängen Fotos von Heavy-Metal-Stars, eine Art Wall of Fame. Musik von Motörhead dröhnt. „Gibt’s hier Livemusik“, frage ich. Leider nein, sagt Anders Nicklasson. In Las Vegas hatte sich Band-Ikone Lemmy mit den Kopfhörern gezeigt—aber auch nicht musiziert.

Für den richtigen Sound sorgen die Kopfhörer von Motörhead. Die sind zur Abwechslung auch mal nicht smart.

Heavy-Metal-Kopfhörer, als ich das sage, reagiert Anders angesäuert. Die Geräte seien für jede Art handgemachter Musik gedacht, die einen satten Bass braucht und dynamisch ist.

Deshalb würde Motörheadphönes nie Porträtzeichner engagieren, die Besucher mit Kopfhörern zeichnen. Das überlässt man Sennheiser und Marley, wo entspannter Reggae läuft.

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Sarrah präsentiert den Brick.

Bei so viel guter Laune kommt „Brick“ gerade recht. Ein Plastiktelefon wie aus der Handy-Steinzeit. Groß wie ein Backstein, allerdings leichter. „Ein iPhone ist kein Statement mehr. Hat ja jeder“, sagt Sarrah Ahmed, die die Geräte erklärt. Dieser Brocken sorgt für Aufmerksamkeit. „Manchmal ist die Größe doch wichtig“, sagt Sarrah augenzwinkernd und ruft mir ein „Living life larger“ nach.

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