American Honey: Mit diesem Film kommt der Sommer zurück ins Kino
© Universal

FYI.

This story is over 5 years old.

Popkultur

American Honey: Mit diesem Film kommt der Sommer zurück ins Kino

"Ich wollte American Honey hassen, doch es gelang mir nicht."

Präsentiert von Universal Pictures International
Anzeige

Eigentlich hasse ich lange Filme; ich halte es für einen der größten Makel des modernen Films, dass Filme immer drei verdammte Stunden dauern. Zuschauer sind Menschen. Sie wollen aufs Klo und was Essen, schon vergessen? Außerdem hasse ich Coming-of-Age-Filme, die Pubertät war auch ohne Wiederholung schon entsetzlich genug. (Oh, und Romanzen, hab ich schon was gegen Romanzen gesagt?) Die Zeichen standen also gut, dass ich American Honey hassen würde, und ich habe ihn geliebt. Ich habe ihn vom ersten Aufflackern auf dem Bildschirm im 1.37:1-Frame alle 9723 Sekunden hindurch geliebt. Er hätte meinetwegen fünf Stunden lang sein können.

Anzeige

Bringen wir die Filmkoordinaten hinter uns: Star (Sasha Lane), die Heldin des Filmes, ist dabei, mit zwei Kindern (vielleicht ihre Geschwister, vielleicht auch nicht) im Abfall nach Essen zu suchen, als eine Gruppe Jugendlicher in einem Van in ihr Leben gebraust kommt. Am meisten interessiert sie Jake (Shia LaBeouf), der Fahrer, der sich vor allem durch ein Paar sehr, ehm, anziehender Hosenträger auszeichnet. Sie starren sich über Supermarktkassen hinweg an, dann auf dem Parkplatz—die Kamera schwankt neben Star her und ist mindestens so verwirrt wie sie. Jake bietet Star einen Job in seiner Crew an, mit der er durchs Land fährt und Magazine verkauft. Natürlich sind alle in der Crew jung und schön und wild. Nach einem traumatischen Erlebnis mit ihrem Stiefvater gibt Star ihre Geschwister bei ihrer Mutter ab und stürzt sich mit Jake in einen von HipHop befeuerten, sonnengetränkten Trip quer durch die Staaten.

© Universal

Die Staaten sind hier weder die übliche idealisierte Fassung der USA noch die übliche filmgewordene Kapitalismuskritik, sondern eine bunte, zuweilen beängstigende Kulisse für Stars Abenteuer. Die Jugendlichen ziehen von Stadt zu Stadt, um an Haustüren Magazine zu verticken. Ihre Chefin, Crystal (Riley Keough) ist (natürlich) eine Bitch und mit Stars Schwarm liiert, und ja, wie man sich denken kann, ist Star nicht mit den finsteren Geschäftsmethoden der Drückerkolonne einverstanden. Aber all das ist nicht eigentlich wesentlich—wesentlich sind die langen Szenen, in denen wir einfach nur mit der Crew auf der Rückbank des Wagens sitzen. Wesentlich ist der Soundtrack, der das Tempo vorgibt, den Film durchpulst, als sei nicht der Soundtrack zum Film, sondern der Film zum Soundtrack aufgenommen worden. Wesentlich sind die kurzen Momente der Verbundenheit, in denen die zahlreichen Charaktere für einen Moment in Stars Aufmerksamkeitsfeld eintauchen und wieder verschwinden. Eine zeigt Star eine Zeichnung. "Weißt du, wie Darth Vader unter seinem Helm aussieht? Er ist ein Skelett. Wie wir alle."

Die Kamera macht den Zuschauer dabei nicht nur zum Komplizen, sondern engagiert ihn gleichsam als Teil der Gruppe. Sie begleitet Star wie eine gute Freundin und saugt einen ins Geschehen—man beginnt beinahe, seinem Kinonachbarn irgendwas verkaufen zu wollen. Ohne zuviel von der Story vorwegzunehmen, sei gesagt, dass der Film noch etwas Großartiges vorzuweisen hat, was sonst im Kino nach wie vor zu selten vorkommt: Realistische Sexszenen. Nicht in dem Sinne, dass sie besonders graphisch wären, aber Sex läuft in American Honey wie im wirklichen Leben. Er ist ungeschickt, verwirrend, fantastisch, und vor allem fernab jeder Choreographie. Obwohl nichts an der Handlung krass ungewöhnlich ist, vermeidet sie die gängigen Klischees so knapp und geschickt, das man, im Kinosessel sitzend, Story-Bingo spielen kann. Zuweilen schlittert alles in Richtung Stereotypenfalle, um dann im letzten Moment die Kurve zu kriegen. Wenn man unbedingt will, kann man sicher Coming-of-Age-Elemente, Emanzipation und so weiter in American Honey hineindeuten, oder man scheißt drauf und genießt ihn einfach als das, was er ist: Die Geschichte eines starken Mädchens in einer beschissenen Welt.

American Honey ist unterstellt worden, dass die Charaktere nicht tief genug gezeichnet wären und sich der Spannungsbogen innerhalb der Geschichte festfährt, aber was viele Kritiker für eine Schwäche halten, ist eine Stärke. Der Film schafft, was viele versuchen—ein "auf Zelluloid" (als ob) gebannter Sommer zu sein. Das langsame Ausfaden des Sommeralltags, die Rückbank eines Autos, Orte, an denen man immer wieder ist. Ereignisse, die von außen banal und von innen alles bedeutend sind. Der nächste Morgen, der nächste Job. Die nervige Angelegenheit, die Verliebtsein ist. Obwohl er nicht darauf aus ist, wirklichkeitsgetreu zu sein, bildet er eine Wirklichkeit ab: Dass das sogenannte "wirkliche Leben" keiner Storyline folgt, sondern das ewige Kreisen eines Alltages ist, den wir selbst mit Bedeutung aufladen müssen.

American Honey läuft ab 13.10. in den deutschen Kinos