Die Hungerstreikenden vom Brandenburger Tor

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Flüchtlinge in Deutschland

Die Hungerstreikenden vom Brandenburger Tor

Die Polizei ist jedoch der Meinung, dass Decken und Schlaf für einen Hungerstreik nicht notwendig seien und deswegen, … weg damit.

Asylbewerber wollten mit einem monatelangen Fußmarsch nach Berlin Aufmerksamkeit auf ihre miserable Lage lenken. Das Ende dieser Tortur ist für einige der Beginn eines Hungerstreiks.

Omar: „Wir kümmern uns nicht um die Regierung oder um die Gesetze, wir wollen bloß unter menschenwürdigen Bedingungen leben.“  

„Der Hungerstreik ist eine der stärksten Protestformen überhaupt und ich bin dazu bereit, in den nächsten Tagen auch diesen Schritt zu tun“, erzählte uns Omar, den wir Montagmittag im Asyllager am Oranienplatz getroffen haben. Omar führte uns durch diese kleine Zeltstadt und erzählte uns, wie das Leben unter diesen provisorischen Zuständen so abläuft. Dieses Lager gibt es nun schon seit dem 3. Oktober und es ist der Endpunkt des Protestmarsch von Asylbewerben, die auf ihre Situation aufmerksam machen wollten. Am 19. März starteten sie von Würzburg aus, passierten einige deutsche Städte und kamen am 6. Oktober in diesem Lager an. Omar erzählte uns, dass zurzeit etwa 90 Asylbewerber hier untergekommen sind. „Alles, was du hier siehst, kommt von Spenden. Ich bin total begeistert über die Hilfsbereitschaft der Deutschen“, sagt er, als er uns in die verschiedenen Zelte führt. Omar kommt ursprünglich aus dem Sudan. Dort wurde er aus politischen Gründen inhaftiert. Als ihm dann die Möglichkeit geboten wurde, nach Europa zu kommen, ergriff er sie beim Schopf. Er ist im Asylbewerberheim Bramsche-Hesepe gelandet und „dort war es schrecklich“, erzählte er mir.

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Ein Spender: „Ich fahre mal eine Woche in Urlaub und lebe unter solchen Bedingungen in Zelten. Aber für diese Leute ist das ein Dauerzustand. Unfassbar“ Die Menschen hier kommen aus den unterschiedlichsten Ländern, aus dem Sudan, Nigeria, Ghana, Somalia, Iran, Irak, Afghanistan. Ich frage Omar, wie es sei, wenn so viele Nationalitäten auf so einem kleinen Fleck hausen und sie alle doch für dieselbe Sache kämpfen. „Glaub mir, in der Nacht, wenn wir uns alle um das Feuer versammeln, das sind wunderschöne Zeiten. Jeder fängt an, über sein Land und über seine Geschichte zu reden, natürlich in der eigenen Sprache, Andere übersetzen das dann. Auch wenn unser Leben sonst so hart ist, geben uns diese Momente Kraft.“ Omar erzählt mir von anderen Flüchtlingen, die seit Mittwoch in einen Hungerstreik getreten sind und nun vor dem Brandenburger Tor demonstrieren. Ich frage, ob das für ihn auch eine Option wäre. Mit ernsten Augen bejaht er mir das.

Fadi: „Wir machen so lange weiter, bis die Leute uns hören“ Also machen wir uns auf, um die Kundgebung am Brandenburger Tor zu besuchen. Dort angekommen, ist es nicht sonderlich schwer, die Hungernden unter den Anwesenden ausfindig zu machen. Es sind diejenigen mit den tiefen dunklen Ringen unter den Augen, die sich kaum selbstständig auf den Beinen halten konnten. Fadi beispielsweise liegt absolut geschwächt auf einem Müllsack voller gespendeter, warmer Kleidung.

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Auch Hans-Christian Ströbele treffe ich hier. „Ich finde das äußerst mutig, aber natürlich ist das für ihre Gesundheit sehr gefährlich. Nachts gehen die Temperaturen ja deutlich unter null Grad und da diese Streikenden hier so geschwächt sind, gehen sie ein erhebliches Risiko ein“, erzählt mir hier also einer, der sich mit dem Thema Hungerstreik auskennt. „Ich würde so was nie raten, aber offensichtlich ist ihre Situation so verzweifelt, dass sie keinen anderen Weg mehr sehen. Also ich hoffe, dass die Politik reagiert und vor allem, dass sie wenigstens mal zulässt, hier ein kleines Zelt hin zu bauen oder wenigstens eine warme Matratze erlaubt. Das Vorgehen der Polizei finde ich völlig daneben und absolut unbegreiflich. Das ist doch einfach pingelig. Was wir hier sehen, ist eine Asylpolitik der Abschreckung, um denen das hier so schwer wie möglich zu machen.“ So langsam habe ich auch diesen Eindruck bekommen, dass vieles hier reine Schikane ist. Ich unterhalte mich mit Ashkan und merke sofort, dass er einen ziemlich starken Willen hat. Doch was bringt dieser starke Wille, wenn der Körper versagt? Immer wieder musste er sich bei seinem Freund abstützen. Als ich ihn bitte, seinen Namen für mich aufzuschreiben, zittern seine Hände so sehr vor Kälte, dass er es kaum schafft. Seit Mittwoch hat er wie die anderen nichts Festes mehr zu sich genommen.

Er erzählt mir vom Mittwochabend, als sie ihre Zelte vor dem Brandenburger Tor aufgebaut haben. Ashkan schlief, als Polizisten ihn aus seinem Schlafsack und seinem Zelt zerrten. Die Polizei ist der Meinung, dass Campingartikel auf einer Kundgebung nicht notwendig seien und deswegen, … weg damit. Ashkan war geschlagen und verhaftet worden. Er deutete auf die Schrammen und blauen Flecken in seinem Gesicht. „Die Kombination aus keinem Essen, kaltem Wetter, absolut keine Hilfsmittel benutzen zu dürfen, hier zu stehen und dann noch geschlagen zu werden, ist echt nicht gut.“ Ashkan sagt mir: „Jetzt sind die Polizisten friedlich, aber lass uns die Nacht abwarten.“ Er versuchte, ein kleines Lachen rauszubringen. Die Unterstützer dieses Protestes teilen sich in Nachtwachen ein, einer von ihnen erzählt mir, wieso: „Nachts, wenn keine Touristen und weniger Unterstützer da sind, beginnt die Polizei, die Streikenden systematisch zu schikanieren. Sie leuchten die Schlafenden dann mit ihren Taschenlampen an, um zu schauen, ob nicht doch irgendwer einen Schlafsack hierher geschmuggelt hat und wenn man die ganzen Tage ohne Essen verbracht hat, ist es natürlich anstrengend, auf so einen Stress zu reagieren.“ Der erste Streikende ist am Montagmorgen umgekippt und musste in einem Krankenhaus behandelt werden.

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Als wir für die Nacht wiederkommen, denken wir, wir seien gut gewappnet. Die Stimmung ist weiterhin recht friedlich, es gibt Menschen, die Musik machen und alle unterhalten sich. Bloß die Hungerstreikenden laufen wie Geister vor der Kulisse des Brandenburger Tors umher. Gegen ein Uhr, als einige der Unterstützer gegangen sind, durchsucht die Polizei nun also jeden Neuankömmling nach Schlafsäcken. Langsam wird die Stimmung gereizter. Die Polizei dreht ihre Runden um uns und wir sitzen auf dünner Pappe auf eisigem Boden. Ich unterhalte mich mit einigen Streikenden und habe das Gefühl, bei ihrem Zerfallsprozess zuschauen zu können.

Immer wieder bringen uns Helfer neue Jacken und Pullover, die wir uns dankbar anziehen. Wir sind lange nicht gut genug vorbereitet auf das, was uns hier erwartet. Als wäre die Kälte nicht schon hart genug, regnet es irgendwann auch noch. Alle rücken näher aneinander, Schirme werden verteilt und die Lücken werden mit Mülltüten geflickt. Irgendwann merken wir, dass es ein wenig unruhig wird und wir strecken unsere Köpfe aus unserem selbstgebastelten Zelt und sehen, dass es dem Streikenden Omar nicht gut geht. Er ist noch bei Bewusstsein, kann sich jedoch nicht mehr bewegen. Ein Krankenwagen wird gerufen.

Omar muss aus der Gruppe Schlafender getragen werden, weil er absolut keine Kraft mehr hat. Alle Anwesenden stehen noch eine ganze Weile recht verdattert da. Ich erinnere mich daran, was Ashkan einige Stunden zuvor gesagt hatte: „Dies ist nun der letzte Schritt, den wir machen können. Wir haben Demonstrationen veranstaltet, wir sind den ganzen Weg von Würzburg nach Berlin gelaufen und nun legen wir das Wertvollste, was wir haben, in die Waagschale dieses Protests, unser Leben. Das, was wir hier machen, ist ein Spiel auf Zeit. Es wird uns körperlich schaden, darüber sind wir uns bewusst, aber lass uns abwarten, vielleicht wird es auch dem jetzigen Asylrecht schaden.“

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Fotos: Grey Hutton

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