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Die FPÖ hat kein Verständnis für Journalismus

Corinna Milborn hat die Crash-Rhetorik Hofers gecrasht—und ihn damit zu Antworten gezwungen.
Screenshot via Puls4.

Foto: Screenshot via Puls4.

Den Spin hat sich Heinz-Christian Strache schon vorher überlegt. Noch ehe Norbert Hofer zu Gast bei Puls4-Infochefin Corinna Milborn war, schrieb er auf Facebook: "Die gestern auf Puls4 eingeleitete Hetzkampagne gegen Norbert Hofer geht sicher heute weiter."

"Frau Milborn hat heute alle negativen Erwartungen (…) übertroffen", schrieb Strache dann kurz nach dem Interview. "Puls4 bricht an Niveaulosigkeit alle Rekorde. Diese Form eines Interviews hat mit einem fairen Journalismus nichts mehr zu tun. Die ideologische Verzweiflung ist der 'jungen' Dame ins Gesicht geschrieben." Und weiter: Das Interview sei "eine Zumutung" gewesen, manche Journalisten würden ihre "Manipulationsversuche" und "Kampagnen" gegen Norbert Hofer nun gar nicht mehr verstecken.

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Zugegeben, das Interview war anders als alle bisherigen dieses langen Wahlkampfs. Milborn hinterfragte jedes Wort von Norbert Hofer und ließ keine Ausflüchte zu. Sie war streng und brachte Hofer in Bedrängnis. Das ist nicht immer in Ordnung, in dieser Situation aber sehr wohl.

Wie der Falter in penibler Kleinarbeit analysierte, zielt Hofers Rhetorik in TV-Diskussionen darauf ab, den inhaltlichen Diskurs zu zerstören. Bei unbequemen Fragen weicht Hofer aus. Die Crash-Rhetorik ist eine eigene Disziplin. Ein politischer Einsteigertrick zur Veranschaulichung ist Touch-Turn-Talk: Man berührt eine Frage ("Das ist eine interessante Frage"), dann wendet man sich etwas anderem zu ("aber viel wichtiger ist doch die Frage …"), ehe man darüber spricht, worüber man will ("… wie wir mit der islamischen Zuwanderung umgehen").

Von keinem Politiker ist bekannt, dass er so gut in Crash-Rhetorik ausgebildet ist, wie Hofer. Hinzu kommt, dass das Interview live ausgestrahlt wird. Interviews für Zeitungen laufen meist anders ab. Man hat eine Stunde Zeit, lässt den Gesprächspartner ausreden und kürzt dann das Unwesentliche (rund zwei Drittel) weg. Bei einem Live-Interview geht das nicht, der Journalist ist gezwungen, live einzuschreiten. Sprich, zu unterbrechen und darauf hinzuweisen, dass die Antwort nicht die gestellte Frage betrifft. Das hat Milborn hervorragend gemacht. Sie hat die Crash-Rhetorik Hofers gecrasht—und ihn damit zu Antworten gezwungen.

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"Aber darf man das überhaupt?", fragen sich viele FPÖ-Anhänger: "Einen Politiker im TV so vorführen und ihn zu Antworten drängen?". Die Antwort ist, vereinfacht gesagt, ja. Die Aufgabe von Journalisten ist es, die Wirklichkeit so wahr wie möglich abzubilden. Das schafft man nicht, indem man nur lieb danach fragt. Ein Faschist wird sich selbst nur sehr selten auch so bezeichnen. Und ein Präsidentschaftskandidat wird nicht ohne Bedrängnis etwas Schlechtes über seine Vergangenheit sagen.

Journalisten sind gezwungen, ihre Gesprächspartner herauszufordern und mit Fakten, Meinungen und früheren Aussagen zu konfrontieren. Und sie müssen beharrlich sein. Die BBC-Legende Jeremy Paxman etwa stellte 1997 in einem achtminütigem Interview 12 Mal (!) die gleiche Frage; der Interviewpartner wich immer aus.

Verlassen Journalisten damit nicht das Gebot der Objektivität? Nein, entschied der Verfassungsgerichtshof in einem vergleichbaren Fall. 1988 interviewten zwei ORF-Journalisten den damaligen Bundespräsident Kurt Waldheim zu seiner NS-Vergangenheit. Der harte Stil der Fragesteller war zu dieser Zeit ein Skandal.

"Da hört sich bei mir das Verständnis auf", Norbert Hofer zur Israel-Recherche des ORF.

Der VfGH wies die Rüge der Rundfunkkommission aber zurück, die Objektivität sei "authentisch interpretiert", sprich weiterentwickelt worden. Die Journalisten nehmen in Interviews die Rolle des Publikums ein und dürfen selbst "subjektive" und suggestive Fragen stellen. Der Interviewpartner hat immerhin live die Möglichkeit sie zu widerlegen.

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Das ist die rechtliche Freiheit, auf der Journalisten seither bauen dürfen. Journalisten sind keine Mikrofonhalter oder Lautsprecher, die die Botschaft von Politikern ungefiltert hinaustragen. In einer Demokratie kommt ihnen die Rolle der "vierten Gewalt" zu. Sie sollen wie "Wachhunde" die Gewalten des Staates—also unter anderem Politiker—beobachten und kritisieren. Auch wenn die Bedeutung von Journalisten in der Praxis oft geringer ist, ist es diese Freiheit, die eine kritische Öffentlichkeit erst möglich macht. Die FPÖ hat dafür kein Verständnis.

Screenshot via fb.com/HCStrache

Das beweist die oberste Führung der Partei seit einigen Monaten—nicht nur im Fall Milborn. Die ORF-Journalistinnen Ingrid Thurnher und Lou Lorenz-Dittlbacher können davon ein Lied singen. Letztere habe einen "bösen Blick wie eine Klapperschlange", wenn sie Heinz-Christian Strache interviewe, meinte die von der FPÖ entsandte ORF-Stiftungsrätin.

Und FPÖ-TV in Kombination mit fb.com/HCStrache widmete Thurnher gar ein Negative Campaigning-Video, das ohne Ton, der vielleicht Kontext hinzufügen könnte, und teilweise in Slow-Motion veröffentlicht wurde. Strache glaubt, die "Objektivität des ORF am Gesichtsausdruck der Moderatorin" erkennen zu können.

Die "Volksverbrecherin" Thurnher könne sich auf eine "Abrechnung" gefasst machen und gehöre in ein "dunkles Loch", heißt es in den Kommentaren bei fb.com/HCStrache—auch noch Monate danach.

Dass die FPÖ von unabhängigen Journalisten fordert, bei Interviews freundlich drein zu schauen, ist absurd. Würde das rechtlich festgeschrieben werden, würden Willkür und Gesinnungsstrafrecht Tür und Tor geöffnet.

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Realistischer ist es dagegen, dass sich die FPÖ gegen unliebsame Recherchen wehrt, wenn sie die Möglichkeit dazu hat. Norbert Hofer hat im TV-Duell nach der Israel-Recherche des ORF bereits einen Ausblick darauf gegeben.

Der "ORF-Manipulationsskandal" (Strache) besteht aus folgender Szene: Ingrid Thurner spielt eine Report-Sequenz vor, in der Norbert Hofer sagt: "Ich war da mitten in einem Terrorangriff. Neben mir wurde eine Frau erschossen." Danach folgt ein Interview mit dem Sprecher der israelischen Polizei, der all das dementiert. Thurnher fragt Hofer live: "Kann es sein, dass Sie da etwas verwechseln?"

Nach der TV-Konfrontation stellte sich heraus, dass es zu dieser Zeit doch einen Vorfall in Jerusalem gab. Aber es war nicht, wie von Hofer behauptet, ein Terrorangriff und die Frau wurde auch nicht "erschossen". Mehr dazu in "Es ist kein Skandal, wenn der ORF zu Hofers Israel-Reise recherchiert".

Journalistisch gibt es daran nichts auszusetzen. Mit nur einem Satz hätte Hofer die schiefe Optik aufklären können. "Nein", sagte aber Hofer, "da hört sich bei mir das Verständnis auf. Wenn jetzt wirklich versucht wird, mir vorzuwerfen, ich hätte die Unwahrheit gesagt, dann werde ich mich auch wirklich wehren." Der Skandal—wie die FPÖ ihn sieht—ist nicht, dass Norbert Hofer gelogen hat, sondern, dass der ORF dies thematisiert.

Und nein, die Anfeindungen der FPÖ haben nichts mit Medienkritik zu tun. Professionelle Medienkritik, wie es Zapp, Übermedien.de und BILDblog in Deutschland machen, bräuchte es in Österreich tatsächlich mehr. Die Kritik der FPÖ spielt sich aber nicht auf der inhaltlichen, sondern persönlichen Ebene ab.

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Das untergräbt nicht nur die Glaubwürdigkeit einzelner, hervorragender Kollegen, sondern stützt auch das Sytem-Opfer-Narrativ der Freiheitlichen und führt unweigerlich zu höheren Reichweiten "ihrer" Medien. Bei FPÖ-TV, unzensuriert.at und Wochenblick schauen die Moderatoren immer freundlich drein. Weil es—so klar müssen wir sprachlich sein—Propaganda im klassischen Sinn ist und kein unabhängiger Journalismus. Wenn diese Medien nicht spulen, wie Generalsekretär Herbert Kickl es will, kann er die Mitarbeiter feuern; das ist sein gutes Recht. Aber die FPÖ sollte diesen Maßstab nicht auf unabhängige Medien anlegen.

Wohin das führt, kann man in Tagen wie diesen beinahe live in der Türkei und den USA mitverfolgen. Zwei Wochen nach der Wahl schließt Donald Trump noch immer Journalisten von seiner Kommunikation aus, und beschimpft die angesehensten Reporter der USA als "Lügner". Eine der ersten Maßnahmen Erdogans im Ausnahmezustand war es, unliebsame Journalisten verhaften zu lassen und viele andere zur Flucht zu zwingen.

Der Chefredakteur von Heute bekam von einem Hofer-Fan einen Drohbrief—gleich wie der Politikchef des Kurier.

Journalisten sind ein beliebtes Opfer. Viele Medien haben es in den letzten Jahrzehnten verabsäumt, mittels Transparenz ihre gesellschaftliche Aufgabe zu erklären. Vielleicht vertrauen deshalb nur 43 Prozent aller Österreicher Journalisten, wie aus einer aktuellen GfK-Umfrage hervorgeht. Sie sind damit das unbeliebteste Kontrollorgan unserer gewaltgeteilten Demokratie. Das macht es für Politiker so leicht, sie derartig zu diskreditieren. Bei einem Richter würde in Österreich wohl kein Politiker auf die Idee kommen, zu so harten Formulierungen zu greifen.

"Ich frage mich, ob es sich da um gezielte Einschüchterung von Journalisten handelt—aber auch, wenn es so sein sollte, werde ich sicher nicht die Fragen, die ich in einem Interview stelle, danach ausrichten.", schrieb Corinna Milborn nach ihrem Interview auf Facebook. Jene, denen an der kritischen Öffentlichkeit und der Freiheit, im TV dreinzuschauen wie man will, etwas liegt, dürfen hoffen, dass der künftige Bundespräsident dafür Verständnis hat.

Christoph auf Twitter: @Schattleitner