Der Spendensammler Gideon vor einer Menschenmenge
Alle Fotos: Bernardo Martins
Menschen

10 Fragen an einen Spendensammler, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Belügst du Menschen bei deiner Arbeit? Findest du dich nervig? Wie viel spendest du selbst im Monat?

Wenn Gideon bei der Arbeit ist, sagen ihm die Leute öfter, dass er nervt. Oder dass er sich ficken soll. Dabei, sagt Gideon, wolle er Gutes tun. In seinem Beruf als Spendensammler, oder "Fundraiser", wie er es selbst bezeichnet. Vor knapp einem halben Jahr begann er damit als Nebenjob. Als man ihn beim Studium für Sozial Arbeit ablehnte, wechselte er in eine Vollzeitstelle und steht seitdem zwischen vier und sechs Tagen auf der Straße, um neue Spenderinnen und Spender für verschiedene Organisationen zu finden.

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Die Agentur, bei der Gideon angestellt ist, schließt zeitweise Verträge mit Nichtregierungsorganisationen ab, denen darin ein bestimmter Soll an neuen Spendern garantiert wird. Die Mitarbeitenden gehen täglich an belebte Plätze und versuchen, Menschen davon zu überzeugen, regelmäßig und langfristig einen Teil ihres Geldes zu spenden. Bis zu acht Stunden steht der 20-Jährige mit seinem Team auf der Straße, spricht mitunter minütlich neue Leute an. Unter den verschiedensten Wetterbedingungen und mit regelmäßiger Ablehnung konfrontiert muss er dabei stets gute Laune behalten.

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VICE: Wie oft stehst du nicht hinter Projekten, für die du wirbst?
Gideon: Bisher kam das nicht vor. Ich stehe sehr hinter der Organisation, für die wir derzeit werben. Die haben eine sehr gute Nebenkostenquote, schaffen es also, einen hohen Anteil der Spenden wirklich direkt in die Projekte fließen zu lassen. Wir dürfen uns aussuchen, welche Projekte der Organisationen wir vorstellen, deswegen hat es sich bisher immer gut angefühlt, für die NGOs zu werben.

Findest du dich nervig?
Ich sag mal so: Nach sechs, sieben Stunden, in denen man sich permanent selbst reden hört, ist man schon mal genervt. Man versucht natürlich immer, kreativ zu sein, individuelle Ansprecharten zu entwickeln, aber man benutzt doch sehr viele Standardfloskeln, stellt sich immer wieder erneut vor und erzählt die gleichen Infos. Wenn man dann zum fünfzigsten Mal "Mal kurz gestoppt!" benutzt, ist das schon etwas anstrengend.

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Wie findest du es, Leute zu etwas zu drängen?
Ich würde nicht sagen, dass ich Menschen in meinem Beruf zu etwas dränge. Ich sehe meinen Job eher als eine Art Informations- und Sensibilisierungsarbeit. Früher wurden tatsächlich Telefonvertreter auf die Straße gestellt, die den Leuten irgendwas aufgeschwatzt und sie für teilweise vier Jahre gefesselt haben. Darum geht es mittlerweile nicht mehr. Ich will den Leuten erst mal erklären, für was für eine Organisation wir werben, stelle zwei meiner Lieblingsprojekte vor, und jeder, der danach begeistert ist, kann regelmäßiger Spender werden.

Klar, wenn das jemand nicht möchte, versuche ich, die Aufmerksamkeit schon nochmal auf die Notwendigkeit zu lenken, biete die Option kleinerer Spenden an. Aber wenn dann klar kommuniziert wird, dass das nicht gewollt ist, lasse ich die Person gehen. Ich vermittle niemandem ein schlechtes Gefühl oder bin zu aufdringlich.

Der Spendensammler Gideon

Wie viel spendest du selbst im Monat?
Insgesamt knapp fünfzig Euro. Vor dem Job hatte ich schon eine Organisation unterstützt, das dann aber gekündigt, da ich von deren Arbeit nicht mehr wirklich überzeugt war. Als ich den Job begonnen habe, fand ich es nicht mehr vertretbar, dass ich auf der Straße für Unterstützung werbe und selbst nichts spende. Also habe ich bei den nächsten Fundraisern angehalten, mir angehört, was mir erzählt wurde, und angefangen zu spenden.

Wenn dir das Ganze so wichtig ist, warum machst du es dann nicht ehrenamtlich?
Ich mache das vier bis sechs Tage die Woche, verbringe davon sieben Stunden auf der Straße, fahre eine Stunde hin und eine zurück, dann gehören noch täglich zwei Stunden Vorbereitung und eine Stunde Nachbereitung dazu. Es kann also gut sein, dass ich bis zu zwölf Stunden am Tag unterwegs bin. Wenn ich fünf Tage mal zwölf Stunden ehrenamtlich auf der Straße stünde, könnte es schwierig werden, über die Runden zu kommen.

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Welche Psychotricks wendest du an, um Leute zum Spenden zu überzeugen?
Es gibt einen bestimmten Gesprächsablauf wie in jedem anderen Verkaufsjob auch. Ich versuche, jedem interessiert gegenüberzutreten und in Erfahrung zu bringen, mit wem ich es zu tun habe. Es sollte niemals anonym sein, die Leute sollen sich wohl fühlen. Es gibt gewisse Einwände, die ich immer wieder höre. Beispielsweise wollen einige erst ihre Partner fragen oder ihre Daten nicht auf der Straße herausgeben.

Da habe ich vorher schon Gegenargumente im Kopf, um die Bedenken beiseite zu räumen. Ich erkläre ihnen, dass das Vertrauen der Menschen für NGOs alles ist und sie es sich gar nicht leisten können, dieses durch beispielsweise Datenmissbrauch zu verlieren. Ich betone auch immer wieder, dass es erst einmal nur um einen Startschuss geht, und erkläre, dass es ohnehin noch dauert, bis die erste Spende fällig wird, und noch in Ruhe mit dem Partner zu Hause gesprochen werden kann. Man lernt beispielsweise auch zu erkennen, ob ein Mensch eher rational oder emotional ist und auf welcher Ebene man die Person am besten erreicht.

Außerdem gibt es bestimmte Wordings, die sich angenehmer anhören. Wir sagen beispielsweise, man könne jederzeit "Stopp" sagen, anstelle von "kündigen". Oder wir nennen die IBAN die "Zauberzahlen". Das klingt einfach nicht so bürokratisch. Aber das ist alles keine tiefe Psychologie. Ein großer Punkt ist einfach, wirklich selbst überzeugt zu sein und Selbstbewusstsein auszustrahlen.

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Belügst du Menschen bei deiner Arbeit?
Nein. Ich habe bestimmte Zahlen im Kopf, die ich immer wieder nenne. Beispielsweise wie viele Kinder auf der Welt arbeiten müssen. Das sind keine zehntausend unterschiedliche Werte, sondern einfach ein paar, für verschiedene Kaufgespräche. Alles ist im Internet nachvollziehbar. Sollte jemand merken, das etwas nicht stimmt, ist man den Spender ganz schnell wieder los, das könnte man sich also absolut nicht erlauben.

Wirst du pro Stunde bezahlt oder auf Provision?
Eine Mischung aus beidem. Es gibt schon ein Fixgehalt, aber das ist wirklich nicht die Welt. Das System dahinter finde ich aber fair. Wenn man gut ist, kann man davon auf jeden Fall leben.

Der Spendensammler Gideon in einer Menschenmenge

Wie sehr macht dir dein Arbeitgeber Druck, dein Soll zu erfüllen?
Nicht unangenehm hoch. Ich glaube, jeder Einzelne möchte jeden Tag Förderer gewinnen, denn es ist einfach kein gutes Gefühl, am Ende des Tages niemanden geschrieben zu haben und einer NGO nur Geld gekostet zu haben. Wenn man mal ein paar Tage nicht gut war, gibt es aber schon eine Ansprache. Es wird geschaut, was los ist, woran es gelegen haben könnte und was man verbessern muss. Wer eine ganze Woche lang keine neuen Förderer gewonnen hat, dem liegt der Job vielleicht einfach nicht. Dann wird die Person auch selbst nicht bleiben wollen. Worauf aber auch geachtet wird, sind die Motivation und das Engagement der Mitarbeiter. Wer wirklich Lust hat, sich in die Firma einzubringen und auch mal unbezahlt länger zu bleiben, um vielleicht doch noch jemanden zu schreiben.

Hast du ein schlechtes Gewissen, wenn du jemanden zum Spenden überredest, der es sich eigentlich nicht leisten kann?
Ich neige eher dazu, gar nicht zu versuchen, solche Leute zu überzeugen. Allerdings ist die Aussage "Ich habe kein Geld" relativ. Ich bin davon überzeugt, dass hierzulande so gut wie jeder den Mindestbetrag von zehn Euro übrig hätte, wenn er das wollen würde. Ich habe schon mal Leute angesprochen, die finanziell etwas enger aufgestellt waren, aber ich sage ihnen dann, dass sie es einfach mal ausprobieren sollen und jederzeit wieder kündigen können. Erstmal geht es nur um einen Startschuss.

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