Ein HErz in einem Eiswürfel, umgeben von Feuer, gerade am Valentinstag haben viele Singles das Gefühl, Außenseiter zu sein, aber der Autor ist seit zehn Jahren Single und fühlt sich nicht allein.
Bild: imago/Zoonar, Design Pics, Panthermedia
Menschen

Valentinstag: Warum es völlig OK ist, heute alleine zu sein

Ich hatte seit zehn Jahren keine Beziehung und auch du überstehst den heutigen Tag als Single. Gerade, weil viele unser Schicksal teilen.

Ich bin seit zehn Jahren Single – abgesehen von Affären, die maximal zwei Monate lang hielten. Und so habe ich mit 29 Jahren nur wenige Erfahrungen gesammelt, die mich auf Haus, Kinder, Vorstadt und Eheleben vorbereiten könnten. Das treibt mich um, manchmal belastet es mich. Ganz besonders zum Valentinstag, wenn Werbung, Social-Media-Posts und gefühlt eigentlich die ganze Welt uns suggerieren: Als Single gehörst du nicht dazu. Aber ist das wirklich so schlimm? Oder ist es vielleicht völlig OK, alleine zu sein?

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Um das herauszufinden, besuche ich am Wochenende vor dem Valentinstag eine Singleparty in Berlin. Im mit Herzchen dekorierten Frannz Club drängen sich gegen 22 Uhr schon an die 200 Menschen. Noch tanzen und flirten hier eher die älteren Gäste. Später kämen dann die Jüngeren, sagt Sandra Schmidt, die mit Wolfram von Dobschütz seit 2016 die Party veranstaltet. Ich treffe sie im Backstage, wo wegen des bevorstehenden Valentinstags die Journalisten ein- und ausgehen. Die Singleparty "Fisch sucht Fahrrad" gibt es seit 1994. Ihr Slogan heißt "Wir verlieben Dich".

Ihre Party gebe Suchenden viel mehr als Dating-Apps sagt Schmidt. Die Chemie sei wichtig: "Vieles geht ja auch über den Geruch. Das merkt man sofort." Aber nicht online.


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Auch ich bin seit 2018 auf Online-Datingplattformen: Auf Bumble, OKCupid, Hinge, und Tinder habe ich nach einer Beziehung gesucht. Aber auch dort bin ich nicht weitergekommen, auch wenn ich es mir noch so sehr gewünscht habe.

Denn in all den Jahren als Single dachte ich, es sei ein Makel, keine Beziehung zu führen. Meine Eltern sind seit den Neunzigern zusammen und fragen mich bei jeder Gelegenheit: "Wann lernst du denn jemand Festes kennen?" Meine Oma hat zwei Männer zu Grabe getragen und nun mit über 80 Jahren noch jemanden kennengelernt.

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"Mama, ich habe jemanden gefunden", hätte ich lange Zeit gerne gesagt. Nicht nur, um weiteren Nachfragen aus dem Weg zu gehen, sondern auch, weil ich dachte, es so zu wollen. Unsere Gesellschaft ist darauf ausgelegt, dass Menschen Paarbeziehungen eingehen. Sie fördert das ganz offiziell. In den 1950er Jahren hat die Bundesregierung das Ehegattensplitting zum Schutz der "natürlichen Lebensgemeinschaft" eingeführt. Es bevorteilt Steuerzahler, die verheiratet oder in einer eingetragenen Partnerschaft sind. Das besteht so bis heute und wird vielfach kritisiert.

Ich dachte, ich würde Menschen enttäuschen, wenn ich keine feste Beziehung führe. Aber nicht nur das setzte mich unter Druck. Vor einer Woche fragte mich die Notification einer Dating-App, ob ich diesen "Valentinstag tatsächlich alleine" sein will? Ich solle das ändern, indem ich jetzt swipe. OK cool, ja, ich bin Single, danke für den Hinweis.

Wie mir geht es vielen. Laut einer aktuellen Studie von ElitePartner ist jeder zweite Deutsche unter 30 Jahren Single. Jeder Fünfte aus allen Altersgruppen hat wie ich seit mehr als zehn Jahren keine Beziehung geführt. Die Plattform erklärt das unter anderem mit Unsicherheiten, hohen Ansprüchen und dem Fokus auf die eigene berufliche Karriere. Das trifft auch auf mich zu.

Dating-Apps haben mir nicht weitergeholfen. Vielleicht ging es den Gästen auf der Singleparty ähnlich. Sind sie deshalb hier? Und wie kommen sie damit zurecht, Single zu sein? Viele wollen erst nicht mit mir sprechen. Sie scheinen sich zu schämen, Fragen zu diesem Thema zu beantworten. So als habe sie hier in Wahrheit ein besonders kontroverses Hobby hergeführt, wie, sagen wir, Pelzmäntel aus kleinen süßen Tieren anfertigen. Dabei geht es hier nur ums Dating.

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Ich kann dieses Schamgefühl trotzdem nachvollziehen, ich kenne es auch von mir. Einige Namen haben wir auf Wunsch geändert. Auch den von Artur. Er hat sich herausgeputzt für die Party und steht wippend am Rande der Tanzfläche. Er sagt: "Ach, ich geh's entspannt an". Er sei seit einem Jahr Single und eigentlich Beziehungsmensch. Trotzdem finde er das Single-sein nicht schlimm. Deswegen suche er nun wieder und hat einen Arbeitskollegen als Verstärkung dabei.

Der sagt, er sei "lange, lange, lange" Single und will eigentlich gar nicht darüber reden. Manchmal sei er deswegen down, aber meistens könne er sich ablenken. Diesen Mechanismus kenne ich von mir auch. Möglichst viel arbeiten, Sport machen oder Raven gehen, um genau über so etwas nicht nachdenken zu müssen. Blöd, wenn ausgerechnet dann ein Journalist ankommt und dir dein ganzes Elend wieder in Erinnerung ruft.

An der Bar eines kleineren Raums stehen zwei junge Frauen und rauchen. Anna besucht die Party mit einer Freundin und sagt, dass sie gar nicht auf der Suche sei. Die beiden begleiten Annas Vater, der seit acht Jahren Single ist. Wie sie seine Chancen einschätzen, jemanden zu finden? Das käme darauf an, wie er sich heute anstellt. Er selbst will nicht mit mir reden. Vielleicht, weil auch er sich als Teil eines Tabus betrachtet.

Anna hingegen berichtet gerne. Sie beschreibt sich selbst als Single-Mensch. Sie suche generell keine Beziehung und finde sich mit Anfang 20 auch noch zu jung, "um mein Leben mit jemandem zu teilen". Die notwendigen Absprachen würden vieles auch anstrengender machen. Für diese Unabhängigkeit und Selbstsicherheit beneide ich sie. Ebenso wie Artur für seine Entspanntheit. 

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Mein Singledasein umarmen: Ganz so weit bin ich noch nicht. Aber ich habe mich in den letzten Monaten zumindest damit abgefunden. Die Begegnungen bei der Party haben mir abermals gezeigt, dass ich keinen Grund habe, mich verrückt zu machen – nur weil ich Single bin.

Einen der wichtigsten Schritte in diesem Prozess machte ich im vergangenen Sommer, als ich das erste Mal einen Text von Eva Illouz las. Die Soziologin erforscht, wie sich unsere Gefühlswelt im Kapitalismus verändert und wie sich daraus Profit schlagen lässt. Durch sie wurde mir bewusst, wie mein Schicksal im größeren Kontext steht. Sie zeigt auf, dass es vielen so geht wie mir, und warum das so ist.

Illouz argumentiert, dass die sexuelle Befreiung und der mit ihr einhergehende Gelegenheitssex zum Ende der romantischen Zweierbeziehung führen könnte. Zuvor habe Sex als der Beginn einer Beziehung gegolten: Er folgte auf langes Geplänkel, Umwerben mit Geschenken und die Zustimmung der Eltern, sich zu treffen. Heute führe er eher zu Ungewissheiten. Sie beschreibt, dass Menschen, die sich gerade kennenlernen, einander über ihre wahren Emotionen eher im Unklaren lassen.

Für mich hat das beim Dating dazu geführt, dass ich über jede einzelne Handlung nachdenke: Wie hat sie diesen Satz von mir wohl verstanden? Was meint sie mit dem Emoji? Will sie mich nochmal sehen? Ich legte jedes Wort auf die Goldwaage und hatte unangenehme Gedanken, die gar nichts bringen, außer mich verrückt zu machen. Nicht nur ich sollte das also lassen, sondern wir alle.

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Denn was ich hier lapidar beschreibe, kann tödlich fürs Dating sein. Mitunter kann es sogar so krank machen, dass die Psychologie einen eigenen Namen dafür fand. Psychiater nennen das krankhafte Wiederkäuen von Gedanken eine Rumination. Wenn's so hart kommt, gilt dieses Verhalten offiziell als eine Form der Zwangsstörung.

Hat Eva Illouz also recht? Legen wir es als Gesellschaft darauf an, dass wir vereinsamen? Haben wir wirklich ein strukturelles Problem, das wir nicht organisatorisch oder technisch lösen können? Und wenn ja, will ich mich dem einfach unterordnen und mein Glück davon bestimmen lassen? Ich glaube nicht.

Für mich bedeuten Illouz' Erkenntnisse und die Aussagen der Partygäste vor allem eins: Single zu sein, ist OK. Solange man nicht einsam ist und Schaden nimmt, kann es total normal sein, alleine zu sein.

Wenn ihr eh auf Staat, Nation und Kapital einen Scheiß gebt, wie viele junge Menschen in dieser Zeit, dann doch wohl auch hier! Ignoriert die gesellschaftlichen Zwänge hin zu Ehe, Kinder, Rente, Grab. Seid Single oder in einer offenen Beziehung oder macht halt doch diesen Heiratsantrag. Aber macht euer Ding und nicht das, was andere wollen.

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