Zwei Männer prügeln sich im Staub vor einer Menschengruppe, beim peruanischen Takanakuy-Fest lösen Dorfbewohner ihre Konflikte mit Gewalt.
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Menschen

Fotos: Bei diesem peruanischen Fest löst man Konflikte mit Fäusten

Beim Takanakuy wird der soziale Status aufgehoben: Angestellte kämpfen gegen ihre Chefs, Kellner gegen Kaufmänner, Schwestern gegen Schwestern.

4.000 Meter über dem Meeresspiegel in den peruanischen Anden liegt das Dorf Santo Tomás, die Hauptstadt der Provinz Chumbivilcas. Hier leben rund 8.000 Menschen, zählt man die umliegenden Siedlungen hinzu, sind es knapp 10.000. Die Bevölkerung ist überwiegend indigen und spricht Quechua, die am weitesten verbreitete präkoloniale Sprache Südamerikas. Vom peruanischen Staat merkt man in Santo Tomás wenig, so abgelegen liegt der Ort. Die Gegend ist bekannt für ihren Widerstand gegen Einflüsse aus der peruanischen Hauptstadt und die Wahrung indigener Traditionen.

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In Santo Tomás gibt es insgesamt drei Polizisten. Das nächste Gericht ist eine zwölf-stündige Autofahrt entfernt und die Chumbivilcanos, wie sich die Einwohner nennen, haben weder die Zeit noch das Geld für langwierige Gerichtsverfahren. Also kommen sie einmal im Jahr zur Weihnachtszeit zu einem Fest zusammen, um ihre Streitigkeiten beizulegen, indem sie gegeneinander kämpfen.

Das Fest nennt sich Takanakuy und bedeutet übersetzt etwa "sich gegenseitig schlagen". Das Ziel der Tradition ist es, angestaute Aggressionen abzubauen und frisch ins neue Jahr zu starten. So beginnt und endet jeder Kampf mit einer Umarmung. Die Prügeleien sind Teil eines mehrtägigen Fests mit reichlich Alkohol, Paraden und Musik.

Ein Mann mit blutigem Gesicht

Takanakuy ist eine Mischung aus indigenem Fest, Sportveranstaltung, Machtdemonstration und Rechtssystem

Die Ursprünge sind nicht ganz geklärt. Einige sagen, das Takanakuy sei aus indigenen Ritualen entstanden, andere führen es auf die spanische Invasion im 16. Jahrhundert und den Kampf gegen die Kolonialmächte zurück. Ähnliche Kampftraditionen gibt es auch in anderen Teilen der peruanischen und bolivianischen Anden, aber sie finden nicht zur Weihnachtszeit statt.

Während der Feierlichkeiten tragen die Menschen traditionelle Kleidung. Sie essen und trinken viel. Wenn das Fest in vollem Gange ist, kommen die Dorfbewohner in einem Kreis zusammen, um ihre Nachbarn, Freunde und Familienmitglieder bei den Kämpfen anzufeuern. 

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In der staubigen Arena gibt es Regeln: Tritte und Schläge sind erlaubt, aber man darf nicht beißen, an den Haaren ziehen oder jemanden schlagen, der oder die schon am Boden liegt. Auch einander festhalten ist verboten. Damit alles in geordneten Bahnen abläuft, stehen mehrere Schiedsrichter mit Peitschen bereit. Sie greifen ein, wenn es zu hitzig wird – sowohl zwischen den Kämpfenden als auch im Publikum.

Zwei Männer mit Skimasken, einer trägt ein Huhn als Hut

Das Tragen von Skimasken begann, damit Menschen gegen jemanden mit mehr Macht als sie kämpfen konnten, wie zum Beispiel ihren Chef oder einen Großgrundbesitzer. Heute sind die Masken eine gängige Verkleidung für Männer. Häufig tragen sie dazu Lederjacken, Chaps und Kopfbedeckungen aus Tierschädeln oder Vögeln

Victor ist dieses Jahr einer der Kämpfer. "Wir Chumbivilcanos sind es gewohnt, gegen die Elemente anzukämpfen", sagt er. "Unser Blut kocht, der Kampf gibt dir ein Gefühl von Befriedigung." Das Leben in der hochgelegenen ländlichen Gegend ist hart. Neben dem Spannungsabbau dienen die Kämpfe auch dazu, der Gemeinschaft zu beweisen, dass man sich auf einen verlassen kann und man bereit ist, sich selbst und sein Umfeld gegen Ungerechtigkeiten zu verteidigen und den Widrigkeiten des Alltags zu trotzen.

Während des Takanakuys wird der soziale Status aufgehoben. Chefs kämpfen gegen ihre Angestellten, Kellner gegen Kaufleute und Geschwister gegen Geschwister. Menschen jedes Alters und Geschlechts können in der Arena gegeneinander antreten. Dass Frauen gegeneinander kämpfen dürfen, ist zwar relativ neu und in der Gemeinschaft noch etwas umstritten, aber schon sehr üblich.

Gewinner gibt es beim Takanakuy keine. Die Menschen lösen in der Arena ihre Spannungen und Konflikte, aber es wird nicht entschieden, wer im Recht war. Jeder kann die Kämpfe interpretieren, wie er oder sie mag: Sieg, Aggressionsabbau oder Rache. 

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Zwei Frauen in traditioneller Kleidung kämpfen vor einer Menschenmenge auf einem staubigen Platz

Frauen tragen beim Kampf häufig traditionelle handbestickte Kleidung

Ein Mann in weißem T-Shirt hält sich ein weißes Tuch vors Gesicht

Ausgespannte Partner, gestohlenes Eigentum, Probleme mit dem Chef – in der Arena werden alle möglichen Konflikte gelöst

Ein oberkörperfreier Mann mit einer gestrickten Skimaske mit indigenen Mustern

Die meisten Chumbivilcanos arbeiten im Goldbergbau oder in der Schafzucht