Wenn Menschen beim Feiern “mal so richtig ausrasten”, passiert zum Glück meistens etwas anderes als am Wochenende in Frankfurt am Main. In der Nacht zum Sonntag warfen Menschen dort am Opernplatz aus einer Menge von 500 bis 800 Leuten heraus Flaschen auf Polizisten und verletzten dabei fünf Beamte. Zuschauende applaudieren, die Polizei nahm 39 Tatverdächtige vorläufig fest.
Neben den Randalen von Stuttgart, bei denen im Juni 19 Polizisten verletzt und 30 Geschäfte beschädigt wurden, ist diese Nacht in Frankfurt der Negativhöhepunkt einer Entwicklung der letzten Monate: Weil Clubs und Diskotheken wegen Corona geschlossen sind, feiern Menschen häufiger in der Öffentlichkeit. Meist bedeutet das am Morgen danach höchstens Kopfschmerzen, aber manchmal auch zerbrochene Scheiben und Verletzte.
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Die Randale ist nicht zu entschuldigen. Aber es ist nur allzu durchschaubar, sie mit Integrationsproblemen zu begründen oder steigenden Hass gegen die Polizei zu beschwören. Auch wer jetzt schärfere Gesetze und mehr Beamte in Innenstädten fordert, macht es sich zu einfach. Damit bekämpft man nur Symptome. Stattdessen muss man auf die Ursachen schauen.
Arbeitslosigkeit und mehr häusliche Gewalt zählen zu den sichtbarsten sozialen Folgen des eingeschränkten öffentlichen Lebens während der Corona-Krise. Dass Menschen nicht ausgehen und feiern können, erscheint im Vergleich weniger schlimm. Doch ein starkes Bedürfnis nach Gemeinschaft gibt es trotzdem – gerade bei jungen Menschen, egal ob sie an der Dorfbushaltestelle oder dem Frankfurter Opernplatz Wodka-Mische verkosten. Und wenn es dabei zu Ausschreitungen kommt, wie sie sowohl der Stuttgarter als auch der Frankfurter Polizeipräsident “noch nicht erlebt” haben, sollte das der Politik zu denken geben. Was also soll man tun?
Dass aus Partys keine Randale wird, ist eine politische und eine stadtplanerische Aufgabe. Einkaufsstraßen und zentrale Stadtparks sind keine Orte für spontane Zusammenkünfte Tausender Betrunkener. Dort schränkt der Spaß der einen die Ruhe der anderen ein, treffen Gruppen aufeinander, die ihre Abende lieber getrennt verbringen sollten. In Frankfurt war der Grund für den Polizeieinsatz eine Schlägerei.
Damit keine Konflikte entstehen, die sich auf der Straße entladen, müssen Städte Möglichkeiten zum sicheren Feiern im Freien schaffen. Nicht nur in der Corona-Krise.
Feiern in der Corona-Krise: Städte müssen Open-Air-Flächen zur Verfügung stellen
Berlin sammelt schon seit den 90ern Erfahrung mit nicht-kommerziellen Open Airs und illegalen Raves, die es auch in den letzten Monaten gab – trotz Corona. Anfang Juni feierten Hunderte Menschen in Schlauchbooten auf dem Berliner Landwehrkanal, als gebe es keine Kontaktbeschränkungen. Und bei unangemeldeten Partys in Parks wie der Hasenheide muss die Polizei regelmäßig einschreiten, weil Hunderte Teilnehmer an manchen Freitagen Müllberge zurückließen oder ebenfalls Mindestabstände nicht einhielten. Aber die jahrelange Erfahrung hat auch dazu geführt, dass es in Berlin gute Voraussetzungen für Feiern im Freien gibt, von denen auch andere Städte lernen können.
Statt abschätzig von einer “Partyszene” zu reden, treffen sich Veranstalter und Politik in Berlin regelmäßig, um zu klären, was rechtlich geht und was nicht, sagt Lutz Leichsenring von der Berliner Clubcommission, der Interessenvertretung für Berliner Clubs und Veranstalter. Außerdem gebe es IHK-Kurse für Free-Open-Air-Veranstaltende. Und 2018 hat die Clubcommission im Auftrag des Senats 65 Flächen in Berlin auf ihre Eignung für kostenlose Open Airs im Freien untersucht. Eine dieser Flächen ist das Gelände des Vereins HaselHorst13 in Spandau. Als nach langem Genehmigungsverfahren Anfang Juli dort eine Veranstaltung stattfinden sollte, beendete sie die Polizei jedoch nach zwei Stunden. Trotz eines umfangreichen Hygienekonzepts des Veranstalters.
Auch in Berlin gibt es also noch viel zu tun. Trotzdem sei diese Vorarbeit in der Krise hilfreich, sagt Lutz Leichsenring. Solange die Ansteckungsgefahr in Clubs besonders hoch ist, sei es wichtig, dass die Stadt im Sommer Außenflächen für Veranstaltungen zur Verfügung stelle. Und dass die rot-rot-grüne Regierung Orte im öffentlichen Raum entwickeln will, “die unbürokratisch für nicht-kommerzielle Musik und Partyveranstaltungen unter freiem Himmel genutzt werden können”, steht sogar in ihrem Koalitionsvertrag.
Auch wenn das politisch in anderen Städten schwieriger sein dürfte, kann man sich zumindest stadtplanerisch etwas von Berlin abschauen. Da gebe es laut Leichsenring vor allem drei Voraussetzungen zu bedenken, damit Partys im öffentlichen Raum in Corona-Zeiten reibungslos verlaufen: Erstens müssen passende Flächen mit ausreichend Toiletten zur Verfügung stehen, die die gestiegenen Sicherheitsansprüche erfüllen, wie zum Beispiel Zugangskontrollen, damit es auch unter freiem Himmel nicht zu eng wird. Zweites brauche es professionelle Veranstalter, die Ansprechpartner für Behörden sind. Drittens müsse man bei Themen wie Alkoholausschank, Lärmschutz und Müll unbürokratisch und schnell Genehmigungen erteilen. In Berlin haben sich so schon einige Clubs auf ihren Außenflächen als Biergärten neu erfunden. Auch das dürfte zumindest einen kleinen Teil dazu beitragen, dass Menschenaufläufe wie in Frankfurt erst gar nicht entstehen. Und auch wenn die Veranstalter selbst sicherstellen müssen, dass der Infektionsschutz eingehalten wird, kann die Politik zumindest Flächen an Orten bereitstellen, wo der Lärm niemanden nervt. “Es muss jetzt eine Sonderregelung geben, wie wir sie auch bei der Fußball-WM hatten. Public Viewing war damals in ganz Berlin unkompliziert möglich”, sagt Leichsenring.
Die Antwort auf eskalierende Freiluftbesäufnisse kann in der laufenden Pandemie nicht lauten, einfach die Clubs wieder zu öffnen. Deshalb muss die Politik dafür sorgen, dass es Alternativen gibt. Und für die Zeit nach der Pandemie das Überleben der Clubs mit nachhaltigen Finanzhilfen und Mietenerlass sichern. Denn vom subkulturellen Technoschuppen bis hin zur Großraumdisko sind Clubs immer auch Orte, die Konfliktpotential aus der Gesellschaft nehmen. Weil dort eine bestimmte Gruppe unter sich sein kann und – wie schön – anderen nicht auf die Nerven geht.
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