Foto: Matthias Steinbrecher
Als wir uns gestern um 18:30 Uhr vor dem Odeon Theater einfanden, um den Sonntagabend ausnahmsweise nicht auf der Couch zu verbringen, sondern mit einem Besuch bei ATV Meine Wahl das elfte Gebot “Du sollst nicht NICHT chillen” zu brechen, ahnten wir irgendwie schon, dass diese Ketzerei ungute Folgen nach sich ziehen würde.
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Nur das volle Ausmaß der kosmischen Bestrafung konnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschätzen, das da wäre: Unser Chefredakteur vergaß seinen Rucksack samt Macbook bei McDonald’s, unsere Praktikantin verpasste den Auftritt ihres Idols bei der Aftershow-Rauchparty und ich musste den Auftritt ihres Idols bei der Aftershow-Rauchparty ertragen. Aber alles der Reihe nach.
Das erste böse Omen erhielten wir schon, bevor wir das Odeon überhaupt nur betraten, und zwar in Form eines FPÖ-Stands direkt gegenüber vom Haupteingang. Der von links gesehen dritte Typ unter dem Pavillion ist unserer Praktikantin übrigens in der Nacht davor im Café Bendl begegnet. Dort hat er ihr erzählt, dass er für das Tragen des Partei-Shirts Geld kassiert und sie beschuldigt, die Intolerante zu sein, weil sie seine Intoleranz nicht toleriere. Man könnte auch sagen, er hat einen auf “Reichstagswahl 1932” gemacht.
Als wir dann drinnen waren, wurden wir einigen richtigen Journalisten als die Zukunft vorgestellt. Nett, dich kennenzulernen. Das ist übirgens nur ein Foto vom WLAN-Passwort, damit wir als geladene Onliner später nicht offline quer durchs Publikum danach fragen mussten. Falls ihr nächstes Jahr am Sonntag vor der Wahl übrigens ganz schnell WLAN braucht, um die 8 GB große 3D-Geruchs-Version von HC Straches Retro-Twerking-Song herunterzuladen, würde ich vorschlagen, ihr sucht euch einfach das ATV-Studio, in dem die Sendung gemacht wird, und probiert es mit “MeineWahl2014”.
Night of the Tweeting Dead: Einen Platz neben uns begann die ungebrochene Welle des WLAN-Erfolgs loszurollen. Man konnte die arrivierten Onliner daran erkennen, dass sie größere Displays hatten als wir. Das rosa Bändchen an ihren Armgelenken bedeutet übrigens, dass sie danach in die Garderobe zum Freibier durften. Wir hatten auch solche Bändchen, was mir sagt, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, zu den arrivierten Onlinern gehören zu müssen.
Als ich dann in einem Moment der “Selbstgewahrwerdung” an mir hinuntergeschaut habe, wurde mir auch ganz schnell klar, dass ich mir wegen dem Dazugehören keine Sorgen machen musste.
Dann ging auch schon der erste Teil der Wahldiskussionen los. Was als große Elefantenrunde angekündigt worden war, stellte sich vor Ort als Double-Main-Event heraus, wie wir Wrestling-Fans dazu sagen. Den Anfang machten Werner Faymann und Michael Spindelegger, die sich ihre “Nur noch einen Satz”-Reden nicht von der quängelnden Opposition kaputtmachen lassen wollten. Wenn Wahlkampfdiskussionen wirklich wie Wrestling sind, wie ich hier behaupte, dann war dieses Match das politische Äquivalent zu Hulk Hogan vs. André the Giant. Also scheißfad, bis es einen von beiden hinprackt.
Genau wie bei Hulk Hogan vs. André the Giant dauerte das mit dem Hinpracken aber ziemlich lange. Während die zwei alten Männer vorne also über kleine Kinder diskutierten (Schulreform), bemerkte ich weiter hinten, dass das Odeon eigentlich schon ein sehr schönes Theater ist. Mit sehr viel Stuck. Und schönem Licht. Und sind das da oben wirklich Logen?
Hinter uns ging es übrigens auch ziemlich weit hinunter. Ich schätze mindestens 6 Meter. Am oberen Ende der Bettenburg saßen die Tontechniker, die bezeichnenderweise am lautesten von allen redeten. Ich musste mich die ganze Zeit über sehr konzentrieren, um nicht “Pscht!” zu machen. Was hat das Fernsehen nur aus mir gemacht? Eigentlich hasse ich Leute, die andere pschten. Das erinnert mich an das Filmmuseum, wo eine mittelalte Rollkragenpulliträgerin einst mit Ö1-Stimme in unsere Richtung säuselte: “Bitte essen Sie ihre Naschereien jetzt noch auf, damit während des Films kein Rascheln stattfindet.” Diese Formulierung hat sie wirklich benutzt.
Ich war kaum eine volle Stunde abgedriftet, da war das Match Faymann gegen Spindelegger auch schon vorbei. Am Ende hat es übrigens den Spin(del)-Doctor hingeprackt, als man ihm die österreichische Überregulierung der Gewerbe am Beispiel einer Rigipswand vorführte (fürs Verfliesen, Tapezieren und Streichen braucht man bei uns scheinbar drei verschiedene Gewerbescheine). Gewonnen hat aus staatsmännisch-personeller Sicht eindeutig Faymann. Danach gab es aber Bussis und Handshakes für alle. Wie im Wrestling eben.
Ich glaube, bis die unheilige Dreifaltigkeit aus Strache, Glawischnig und Bucher auftauchte, haben manche wirklich noch darauf gehofft, dass bald die Emmys vergeben werden. Auch ich hatte fast schon vergessen, dass es eigentlich gar keinen Grund zur Freude gab. Das sind meine drei Erkenntnisse aus der Diskussion: 1. Strache dachte auch, dass es um die Emmys geht und hier noch schnell seine Performance für “Best Actor in a Comedy Series” nachgereicht, 2. irgendjemand muss den Geist von Jörg Haider aus Eva Glawischnig exorzieren, wenn sie den nächsten Disco-Besuch überleben will und 3. Ich wette, bis gestern hätte es niemand für möglich gehalten, dass Buchers Taferl jemals eine Ausgabe von DerStandard sein würde.
Ich musste ein bisschen heranzoomen, um Straches aufrechte Haltung ins Bild zu bekommen, aber wenn ihr mich fragt wird die optische Unschärfe durch die orthopädische Schärfe mehr als ausgeglichen. Da fällt mir natürlich auch DAS Zitat dieser Nationalratswahl ein, das zirka im selben Moment am anderen Ende des Tisches geäußert wurde: “Am besten steht man mit beiden Beinen auf. Das ist das Gesündeste für die Wirbelsäule.” Scheint fast, als hätte Rückendoktor Seppi Bucher in HC bereits einen ersten Jünger gefunden.
Zu diesem Zeitpunkt wollte ich eigentlich einen Tweet mit dem Inhalt “Alles eins. #Glawistrachbucheggmann #MeineWahl” verfassen, aber meine Feinmotorik war hier bereits an einem Punkt angekommen, wo ich nur noch die iPhone-Kamera bedienen konnte und deshalb lieber ein Bildexperiment mit dem Inhalt “He, Strache! Ziag amoi aun meim Finger!” unternahm.
So langsam, wie es begonnen hat, war es dann auch wieder vorbei. Zum Abschluss gab es noch eine Analyse mit den Experten Anneliese Rohrer, Thomas Hofer, Gernot Bauer und Peter Hajek. Ich muss sagen, dass es rückblickend schon ziemlich wild zugegangen ist. Nur die Kandidaten davor waren ein bisschen langweilig. Als wir dann den Saal verließen und ich noch einmal die vielen Menschen mit Liesinger Tennis-Outfits und Neuwaldegger Dirndln ansah, wurde mir schmerzlich bewusst, dass dieselben Leute wählen dürfen, wegen denen “Vorsicht, heiß” auf dem Mäcki-Kaffee steht. Aber der Schmerz war schnell wieder vergessen, weil wir jetzt endlich in die Eingeweide des Theaters abtauchen und Bier tanken durften.
Anneliese Rohrer ist nicht nur die coolste Sau im Fernsehen; sie ist auch hinter den Kulissen eine echte Königin, die von jedem still bewundert und mit verstohlenen Blicken aus respektvoller Distanz bedacht wird. Außerdem war sie eindeutig die geilste Schnitte dieses Wahldiskussionsabends und hatte die schönsten Farben von allen am Körper. Ich hoffe, bei der nächsten Wahl kandidiert sie statt Stronach, um den Altersschnitt zu halten und gleichzeitig den des rhetorischen Niveaus zu potenzieren. Hier raucht sie, lässt die Füße baumeln und checkt gerade Sachen auf ihrem Handy. Ich liebe sie.
Foto: Nina Nawara
Ich habe mal einen Vormittag lang mit LSD im Kopf auf einer Hundewiese verbracht. Damals kam ich mir weniger deplatziert vor als hier. Egal, so sah es jedenfalls in der Garderobe aus. ATV hat keine Kosten gescheut, um mit dieser Gesamtinstallation das Politikfernsehen der goldenen 70er-Ära heraufzubeschwören: In der Luft lag derselbe Geruch nach Zigarettenrauch und Alkohol wie in eurem Schlafzimmer am Sonntagmorgen und zu essen gab es Bagels mit fettigem Boden und so viel Salami und Melanzani, dass selbst die Kennedys mit ihrer “Work hard, play hard”-Attitüde stolz auf uns gewesen wären (mit so einer Unterlage im Magen muss man einfach weitertrinken).
Das mit dem Trinken wurde umso wahrer, je näher ich HC Strache kam. Mein persönliches Highlight und gleichzeitiger Hass-Moment. Keine Ahnung, wie er den Pulp Fiction-Trick mit dem Licht hinbekommen hat, aber ich war ziemlich beeindruckt. Außerdem hat er auch fast so viel geraucht wie Vincent Vega oder Alexander Van der Bellen. Wie es sich für einen echten Recken gehört, hat er sich mit seiner Gefolgschaft den prominentesten, erleuchtetsten Platz im Raum gesichert und dann ziemlich laut so getan, als würde er NICHT um die Aufmerksamkeit aller Gäste buhlen. Ebenfalls ziemlich stilecht und klischeetreu gab sich auch seine Entourage, die sofort den einzigen Kellner in Sichtweite ungut anmachte.
Foto: Nina Nawara (eigentlich für ihre Mitstudenten, auf mein Drängen hin aber auch für euch)
Irgendwie wurde ich dann auch noch aufgefordert, dem Politikexperten Thomas Hofer einen Tweet nachzuerzählen, den ich zuvor verfasst hatte und der wie folgt lautete:
Herr Hofer wollte lieber “kudern” verstehen und wechselte das Thema schnell zu HC Straches Auftritt bei der ORF Wahlfahrt, zu dem er meinte, es wäre “leichter, an Schaas aus ana Kua” herauszuholen, als ein bisschen Echtheit oder Privates aus Heinz-Christian. Ich meinte, ich hätte schon Wrestling-Matches gesehen, die weniger Fake waren (weil ich nicht wusste, was rund um mich geschah und ich dann immer über Wrestling rede).
Strache hat dann übrigens sehr schnell wieder mit dem Lachen aufgehört. Wenn mich meine Ohren nicht täuschen, hat er sich und seine Protestbewegung zu allem Überfluss auch noch mit dem Beinahe-Erfolg des AfD in Deutschland verglichen. Allerdings war das, bevor klar wurde, dass diese nicht in den Bundestag einziehen würden. Blöd. Und es gibt noch ein Happy End: Unser Chefboy David hat sein Macbook auch wieder zurückbekommen.
Markus auf Twitter: @wurstzombie
Mehr zur Nationalratswahl gibt’s hier.